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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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bescheidene Blick fortwährend ihr folgte. Sie begrüßte
den Gast, ohne die Augen aufzuschlagen, und verschwand
dann gleich wieder in die Küche.

Nun unterhielten ihn Vater und Mutter ausschließlich
von den Schicksalen ihres Hauses und verriethen eine
wundersame Ordnungsliebe in diesem Punkte; denn sie
hatten alle ihre kleinen Erfahrungen und Vorkommnisse
auf das Genaueste eingereiht und abgetheilt, die an¬
genehmen von den betrübenden abgesondert und jedes
Einzelne in sein rechtes Licht gesetzt und in reinliche
Beziehung zum Andern gebracht. Der Hausherr gab
dann dem Ganzen die höhere Weihe und Beleuchtung,
wobei er merken ließ, daß ihm die berufliche Meisterschaft
im Gottvertrauen gar wohl zu Statten käme bei der
Lenkung einer so wunderbarlichen Lebensfahrt. Die Frau
unterstützte ihn eifrigst und schloß Klagen wie Lob¬
preisungen mit dem Ruhme ihres Mannes und mit dem
gebührenden Danke gegen den lieben Gott, der in dieser
kleinen, friedlich bewegten Familie ein besonderes, fein
ausgearbeitetes Kunstwerk seiner Weltregierung zu erhalten
schien, durchsichtig und klar wie Glas in allen seinen
Theilen, worin nicht ein dunkles Gefühlchen im Ver¬
borgenen stürmen konnte.

Dem entsprachen auch die vielen Glasglocken, welche
mannichfache Familiendenkmale vor Staub schützten, sowie
die zahlreichen Rähmchen an der Wand mit Silhouetten,
Glückwünschen, Liedersprüchen, Epitaphien, Blumenkränzen

beſcheidene Blick fortwährend ihr folgte. Sie begrüßte
den Gaſt, ohne die Augen aufzuſchlagen, und verſchwand
dann gleich wieder in die Küche.

Nun unterhielten ihn Vater und Mutter ausſchließlich
von den Schickſalen ihres Hauſes und verriethen eine
wunderſame Ordnungsliebe in dieſem Punkte; denn ſie
hatten alle ihre kleinen Erfahrungen und Vorkommniſſe
auf das Genaueſte eingereiht und abgetheilt, die an¬
genehmen von den betrübenden abgeſondert und jedes
Einzelne in ſein rechtes Licht geſetzt und in reinliche
Beziehung zum Andern gebracht. Der Hausherr gab
dann dem Ganzen die höhere Weihe und Beleuchtung,
wobei er merken ließ, daß ihm die berufliche Meiſterſchaft
im Gottvertrauen gar wohl zu Statten käme bei der
Lenkung einer ſo wunderbarlichen Lebensfahrt. Die Frau
unterſtützte ihn eifrigſt und ſchloß Klagen wie Lob¬
preiſungen mit dem Ruhme ihres Mannes und mit dem
gebührenden Danke gegen den lieben Gott, der in dieſer
kleinen, friedlich bewegten Familie ein beſonderes, fein
ausgearbeitetes Kunſtwerk ſeiner Weltregierung zu erhalten
ſchien, durchſichtig und klar wie Glas in allen ſeinen
Theilen, worin nicht ein dunkles Gefühlchen im Ver¬
borgenen ſtürmen konnte.

Dem entſprachen auch die vielen Glasglocken, welche
mannichfache Familiendenkmale vor Staub ſchützten, ſowie
die zahlreichen Rähmchen an der Wand mit Silhouetten,
Glückwünſchen, Liederſprüchen, Epitaphien, Blumenkränzen

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[16/0026] beſcheidene Blick fortwährend ihr folgte. Sie begrüßte den Gaſt, ohne die Augen aufzuſchlagen, und verſchwand dann gleich wieder in die Küche. Nun unterhielten ihn Vater und Mutter ausſchließlich von den Schickſalen ihres Hauſes und verriethen eine wunderſame Ordnungsliebe in dieſem Punkte; denn ſie hatten alle ihre kleinen Erfahrungen und Vorkommniſſe auf das Genaueſte eingereiht und abgetheilt, die an¬ genehmen von den betrübenden abgeſondert und jedes Einzelne in ſein rechtes Licht geſetzt und in reinliche Beziehung zum Andern gebracht. Der Hausherr gab dann dem Ganzen die höhere Weihe und Beleuchtung, wobei er merken ließ, daß ihm die berufliche Meiſterſchaft im Gottvertrauen gar wohl zu Statten käme bei der Lenkung einer ſo wunderbarlichen Lebensfahrt. Die Frau unterſtützte ihn eifrigſt und ſchloß Klagen wie Lob¬ preiſungen mit dem Ruhme ihres Mannes und mit dem gebührenden Danke gegen den lieben Gott, der in dieſer kleinen, friedlich bewegten Familie ein beſonderes, fein ausgearbeitetes Kunſtwerk ſeiner Weltregierung zu erhalten ſchien, durchſichtig und klar wie Glas in allen ſeinen Theilen, worin nicht ein dunkles Gefühlchen im Ver¬ borgenen ſtürmen konnte. Dem entſprachen auch die vielen Glasglocken, welche mannichfache Familiendenkmale vor Staub ſchützten, ſowie die zahlreichen Rähmchen an der Wand mit Silhouetten, Glückwünſchen, Liederſprüchen, Epitaphien, Blumenkränzen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/26>, abgerufen am 29.04.2024.