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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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mich nach Brasilien begleiten. Jetzt spute Dich, ein
schickliches Festgewand anzulegen, und wenn Du zögerst,
werde ich Deinen unglücklichen Possen ein Ende machen
und Deine weiße Kehle mit diesem Eisen durchbohren!"
Er erhob die lange Degenklinge. Das Auge vom Meere
abwendend, wo sie nur einen schwachen Lichtschimmer
hatte entdecken können, warf sie den Blick auf das glän¬
zende Eisen. Plötzlich umschlang sie mit den Armen
seinen Hals und bedeckte ihm den Mund mit so feurigen
Küssen, als sie im jemals gegeben.

"Warum sollte ich Dir nicht gehorchen, da ich er¬
fahren, wie Du an mir hängst?" flüsterte sie in zärtlichen
Lauten; "Alles ist vorüber und ich gehe mit Dir bis
an das Ende der Welt. Aber ich kann mich nicht allein
ankleiden und die Kammerfrau hast Du mir vertrieben,
also wirst Du mir ein wenig helfen müssen!"

Sie ergriff süß lächelnd seine Hand und er folgte ohne
Widerstand in ihre Kammer, in der Hoffnung, seine Ehre
mindestens vor der Welt noch zu retten. Doch behielt er
den gezogenen Degen in der Hand, da die Drohung so
schnell gewirkt.

Nun begann sie aber die kostbare Zeit zu verzetteln,
indem sie erst mit verstellter Unentschlossenheit ein Staats¬
kleid aussuchte und mit niedlichem Geplauder seinen Rath
verlangte, dann das Oberkleid, das sie trug, von ihm
aufnesteln ließ, tausend Kleinigkeiten herbeiholte, dazwischen
mit Kosen und Schmeicheln sich zu schaffen machte, bis

mich nach Braſilien begleiten. Jetzt ſpute Dich, ein
ſchickliches Feſtgewand anzulegen, und wenn Du zögerſt,
werde ich Deinen unglücklichen Poſſen ein Ende machen
und Deine weiße Kehle mit dieſem Eiſen durchbohren!“
Er erhob die lange Degenklinge. Das Auge vom Meere
abwendend, wo ſie nur einen ſchwachen Lichtſchimmer
hatte entdecken können, warf ſie den Blick auf das glän¬
zende Eiſen. Plötzlich umſchlang ſie mit den Armen
ſeinen Hals und bedeckte ihm den Mund mit ſo feurigen
Küſſen, als ſie im jemals gegeben.

„Warum ſollte ich Dir nicht gehorchen, da ich er¬
fahren, wie Du an mir hängſt?“ flüſterte ſie in zärtlichen
Lauten; „Alles iſt vorüber und ich gehe mit Dir bis
an das Ende der Welt. Aber ich kann mich nicht allein
ankleiden und die Kammerfrau haſt Du mir vertrieben,
alſo wirſt Du mir ein wenig helfen müſſen!“

Sie ergriff ſüß lächelnd ſeine Hand und er folgte ohne
Widerſtand in ihre Kammer, in der Hoffnung, ſeine Ehre
mindeſtens vor der Welt noch zu retten. Doch behielt er
den gezogenen Degen in der Hand, da die Drohung ſo
ſchnell gewirkt.

Nun begann ſie aber die koſtbare Zeit zu verzetteln,
indem ſie erſt mit verſtellter Unentſchloſſenheit ein Staats¬
kleid ausſuchte und mit niedlichem Geplauder ſeinen Rath
verlangte, dann das Oberkleid, das ſie trug, von ihm
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[293/0303] mich nach Braſilien begleiten. Jetzt ſpute Dich, ein ſchickliches Feſtgewand anzulegen, und wenn Du zögerſt, werde ich Deinen unglücklichen Poſſen ein Ende machen und Deine weiße Kehle mit dieſem Eiſen durchbohren!“ Er erhob die lange Degenklinge. Das Auge vom Meere abwendend, wo ſie nur einen ſchwachen Lichtſchimmer hatte entdecken können, warf ſie den Blick auf das glän¬ zende Eiſen. Plötzlich umſchlang ſie mit den Armen ſeinen Hals und bedeckte ihm den Mund mit ſo feurigen Küſſen, als ſie im jemals gegeben. „Warum ſollte ich Dir nicht gehorchen, da ich er¬ fahren, wie Du an mir hängſt?“ flüſterte ſie in zärtlichen Lauten; „Alles iſt vorüber und ich gehe mit Dir bis an das Ende der Welt. Aber ich kann mich nicht allein ankleiden und die Kammerfrau haſt Du mir vertrieben, alſo wirſt Du mir ein wenig helfen müſſen!“ Sie ergriff ſüß lächelnd ſeine Hand und er folgte ohne Widerſtand in ihre Kammer, in der Hoffnung, ſeine Ehre mindeſtens vor der Welt noch zu retten. Doch behielt er den gezogenen Degen in der Hand, da die Drohung ſo ſchnell gewirkt. Nun begann ſie aber die koſtbare Zeit zu verzetteln, indem ſie erſt mit verſtellter Unentſchloſſenheit ein Staats¬ kleid ausſuchte und mit niedlichem Geplauder ſeinen Rath verlangte, dann das Oberkleid, das ſie trug, von ihm aufneſteln ließ, tauſend Kleinigkeiten herbeiholte, dazwiſchen mit Koſen und Schmeicheln ſich zu ſchaffen machte, bis

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/303>, abgerufen am 22.11.2024.