Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit alledem waren das Wesen und die Seele der
Feniza selbst nicht weiter aufgeklärt, als die Thatsachen
gingen. Der Vergleich mit dem schönen weichen Fell
einer geschmeidigen Tigerkatze, oder mit der blauen stillen
Oberfläche eines tiefen Gewässers, auf dessen Grunde
häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, u. dgl. hätte zu
nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder
auch ihr Schicksal. Wäre es ihr möglich gewesen, in der
letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit
dem sie sich doch verbunden hatte, so wäre sie ohne Zweifel
mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für
einmal; denn nachher würde sie es nicht über sich ge¬
bracht haben, die Selbstsucht, Willkür, die Liebe zum Laster
und die vollendeten Künste der Heuchelei zu unterdrücken,
die ihre Lebenslust waren.

Jetzt war sie aber ärger zerbrochen, als die Schulter¬
knochen ihres Buhlgesellen. Als Correa seine Aussage
thun mußte, blickte er sie nicht an; dennoch erschien er
ihr auf seinem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße
feine Kinn, das einst so vornehm auf dem Halskragen
geruht hatte, zitterte fahl und schlaff ohne Unterlaß,
während ihre scheuen Augen an seinem Munde hingen,
und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles
dies quälte den Admiral fast so viel, wie sie selbst. Denn
war sie schuldiger, weil das Geschöpf den wahren Men¬
schen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der
Bestie in ihr gerade so ergangen war?

Mit alledem waren das Weſen und die Seele der
Feniza ſelbſt nicht weiter aufgeklärt, als die Thatſachen
gingen. Der Vergleich mit dem ſchönen weichen Fell
einer geſchmeidigen Tigerkatze, oder mit der blauen ſtillen
Oberfläche eines tiefen Gewäſſers, auf deſſen Grunde
häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, u. dgl. hätte zu
nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder
auch ihr Schickſal. Wäre es ihr möglich geweſen, in der
letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit
dem ſie ſich doch verbunden hatte, ſo wäre ſie ohne Zweifel
mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für
einmal; denn nachher würde ſie es nicht über ſich ge¬
bracht haben, die Selbſtſucht, Willkür, die Liebe zum Laſter
und die vollendeten Künſte der Heuchelei zu unterdrücken,
die ihre Lebensluſt waren.

Jetzt war ſie aber ärger zerbrochen, als die Schulter¬
knochen ihres Buhlgeſellen. Als Correa ſeine Ausſage
thun mußte, blickte er ſie nicht an; dennoch erſchien er
ihr auf ſeinem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße
feine Kinn, das einſt ſo vornehm auf dem Halskragen
geruht hatte, zitterte fahl und ſchlaff ohne Unterlaß,
während ihre ſcheuen Augen an ſeinem Munde hingen,
und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles
dies quälte den Admiral faſt ſo viel, wie ſie ſelbſt. Denn
war ſie ſchuldiger, weil das Geſchöpf den wahren Men¬
ſchen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der
Beſtie in ihr gerade ſo ergangen war?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0310" n="300"/>
          <p>Mit alledem waren das We&#x017F;en und die Seele der<lb/>
Feniza &#x017F;elb&#x017F;t nicht weiter aufgeklärt, als die That&#x017F;achen<lb/>
gingen. Der Vergleich mit dem &#x017F;chönen weichen Fell<lb/>
einer ge&#x017F;chmeidigen Tigerkatze, oder mit der blauen &#x017F;tillen<lb/>
Oberfläche eines tiefen Gewä&#x017F;&#x017F;ers, auf de&#x017F;&#x017F;en Grunde<lb/>
häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, u. dgl. hätte zu<lb/>
nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder<lb/>
auch ihr Schick&#x017F;al. Wäre es ihr möglich gewe&#x017F;en, in der<lb/>
letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit<lb/>
dem &#x017F;ie &#x017F;ich doch verbunden hatte, &#x017F;o wäre &#x017F;ie ohne Zweifel<lb/>
mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für<lb/>
einmal; denn nachher würde &#x017F;ie es nicht über &#x017F;ich ge¬<lb/>
bracht haben, die Selb&#x017F;t&#x017F;ucht, Willkür, die Liebe zum La&#x017F;ter<lb/>
und die vollendeten Kün&#x017F;te der Heuchelei zu unterdrücken,<lb/>
die ihre Lebenslu&#x017F;t waren.</p><lb/>
          <p>Jetzt war &#x017F;ie aber ärger zerbrochen, als die Schulter¬<lb/>
knochen ihres Buhlge&#x017F;ellen. Als Correa &#x017F;eine Aus&#x017F;age<lb/>
thun mußte, blickte er &#x017F;ie nicht an; dennoch er&#x017F;chien er<lb/>
ihr auf &#x017F;einem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße<lb/>
feine Kinn, das ein&#x017F;t &#x017F;o vornehm auf dem Halskragen<lb/>
geruht hatte, zitterte fahl und &#x017F;chlaff ohne Unterlaß,<lb/>
während ihre &#x017F;cheuen Augen an &#x017F;einem Munde hingen,<lb/>
und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles<lb/>
dies quälte den Admiral fa&#x017F;t &#x017F;o viel, wie &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t. Denn<lb/>
war &#x017F;ie &#x017F;chuldiger, weil das Ge&#x017F;chöpf den wahren Men¬<lb/>
&#x017F;chen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der<lb/>
Be&#x017F;tie in ihr gerade &#x017F;o ergangen war?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0310] Mit alledem waren das Weſen und die Seele der Feniza ſelbſt nicht weiter aufgeklärt, als die Thatſachen gingen. Der Vergleich mit dem ſchönen weichen Fell einer geſchmeidigen Tigerkatze, oder mit der blauen ſtillen Oberfläche eines tiefen Gewäſſers, auf deſſen Grunde häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, u. dgl. hätte zu nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder auch ihr Schickſal. Wäre es ihr möglich geweſen, in der letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit dem ſie ſich doch verbunden hatte, ſo wäre ſie ohne Zweifel mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für einmal; denn nachher würde ſie es nicht über ſich ge¬ bracht haben, die Selbſtſucht, Willkür, die Liebe zum Laſter und die vollendeten Künſte der Heuchelei zu unterdrücken, die ihre Lebensluſt waren. Jetzt war ſie aber ärger zerbrochen, als die Schulter¬ knochen ihres Buhlgeſellen. Als Correa ſeine Ausſage thun mußte, blickte er ſie nicht an; dennoch erſchien er ihr auf ſeinem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße feine Kinn, das einſt ſo vornehm auf dem Halskragen geruht hatte, zitterte fahl und ſchlaff ohne Unterlaß, während ihre ſcheuen Augen an ſeinem Munde hingen, und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles dies quälte den Admiral faſt ſo viel, wie ſie ſelbſt. Denn war ſie ſchuldiger, weil das Geſchöpf den wahren Men¬ ſchen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der Beſtie in ihr gerade ſo ergangen war?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/310
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/310>, abgerufen am 22.11.2024.