Aufenthalt nicht verlassen; denn wie Du weißt, kann ich noch nicht weit marschieren."
"Verzeih', lieber Onkel," sagte die Lux, "daß ich das im Gefechtseifer vergessen habe! Es versteht sich von selbst, was Du wünschest! Ich wollte nur der Ungeduld unsers Gastes entgegen kommen, der mir etwas unruhig zu werden scheint und vielleicht gerne den Ort verändert!"
"Achten Sie nicht darauf!" antwortete Reinhart, "warum soll ich nicht unruhig sein, wenn ich ein Geschütz auf mich richten sehe, dessen Trefffähigkeit und Ladung ich noch nicht kenne? Also fangen Sie gütigst an und seien Sie nicht zu grausam!"
Lucie räusperte sich zum Scherz ein wenig und sagte: "Anfangen! Das hab' ich gar nicht bedacht, daß man anfangen muß! Warum soll ich mich eigentlich abquälen, um eine Sache zu blasen, die mich nicht brennt? Nun, ich springe gleich hinein!"
Zur Zeit, da Marie Antoinette sich nach Frankreich verheirathete, gab es in der Touraine einen hübschen guten Jungen, der noch gar nicht flügge war und keinem Menschen etwas zu Leide gethan hatte. Er hieß Thibaut von Vallormes und war Fahnenjunker in einer Compagnie eines Fußregimentes, das ich nicht näher zu bezeichnen wüßte, indem ich den Namen desselben nicht angezeigt fand. Trotz seiner kriegerischen Stellung war er, wie gesagt, noch halb kindisch und hielt sich, wenn er nicht Dienst hatte, immer bei alten Tanten, Basen und andern
Aufenthalt nicht verlaſſen; denn wie Du weißt, kann ich noch nicht weit marſchieren.“
„Verzeih', lieber Onkel,“ ſagte die Lux, „daß ich das im Gefechtseifer vergeſſen habe! Es verſteht ſich von ſelbſt, was Du wünſcheſt! Ich wollte nur der Ungeduld unſers Gaſtes entgegen kommen, der mir etwas unruhig zu werden ſcheint und vielleicht gerne den Ort verändert!“
„Achten Sie nicht darauf!“ antwortete Reinhart, „warum ſoll ich nicht unruhig ſein, wenn ich ein Geſchütz auf mich richten ſehe, deſſen Trefffähigkeit und Ladung ich noch nicht kenne? Alſo fangen Sie gütigſt an und ſeien Sie nicht zu grauſam!“
Lucie räuſperte ſich zum Scherz ein wenig und ſagte: „Anfangen! Das hab' ich gar nicht bedacht, daß man anfangen muß! Warum ſoll ich mich eigentlich abquälen, um eine Sache zu blaſen, die mich nicht brennt? Nun, ich ſpringe gleich hinein!“
Zur Zeit, da Marie Antoinette ſich nach Frankreich verheirathete, gab es in der Touraine einen hübſchen guten Jungen, der noch gar nicht flügge war und keinem Menſchen etwas zu Leide gethan hatte. Er hieß Thibaut von Vallormes und war Fahnenjunker in einer Compagnie eines Fußregimentes, das ich nicht näher zu bezeichnen wüßte, indem ich den Namen deſſelben nicht angezeigt fand. Trotz ſeiner kriegeriſchen Stellung war er, wie geſagt, noch halb kindiſch und hielt ſich, wenn er nicht Dienſt hatte, immer bei alten Tanten, Baſen und andern
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Aufenthalt nicht verlaſſen; denn wie Du weißt, kann ich
noch nicht weit marſchieren.“
„Verzeih', lieber Onkel,“ ſagte die Lux, „daß ich das
im Gefechtseifer vergeſſen habe! Es verſteht ſich von
ſelbſt, was Du wünſcheſt! Ich wollte nur der Ungeduld
unſers Gaſtes entgegen kommen, der mir etwas unruhig
zu werden ſcheint und vielleicht gerne den Ort verändert!“
„Achten Sie nicht darauf!“ antwortete Reinhart,
„warum ſoll ich nicht unruhig ſein, wenn ich ein Geſchütz
auf mich richten ſehe, deſſen Trefffähigkeit und Ladung
ich noch nicht kenne? Alſo fangen Sie gütigſt an und
ſeien Sie nicht zu grauſam!“
Lucie räuſperte ſich zum Scherz ein wenig und ſagte:
„Anfangen! Das hab' ich gar nicht bedacht, daß man
anfangen muß! Warum ſoll ich mich eigentlich abquälen,
um eine Sache zu blaſen, die mich nicht brennt? Nun,
ich ſpringe gleich hinein!“
Zur Zeit, da Marie Antoinette ſich nach Frankreich
verheirathete, gab es in der Touraine einen hübſchen
guten Jungen, der noch gar nicht flügge war und keinem
Menſchen etwas zu Leide gethan hatte. Er hieß Thibaut
von Vallormes und war Fahnenjunker in einer Compagnie
eines Fußregimentes, das ich nicht näher zu bezeichnen
wüßte, indem ich den Namen deſſelben nicht angezeigt
fand. Trotz ſeiner kriegeriſchen Stellung war er, wie
geſagt, noch halb kindiſch und hielt ſich, wenn er nicht
Dienſt hatte, immer bei alten Tanten, Baſen und andern
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/355>, abgerufen am 22.11.2024.
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