obschon Thibaut ein wenig in ihre Augen hinauf blicken mußte, war er doch nicht zu stolz, sich in sie zu verlieben, zumal er an ihrem Halse ein Herz von rothen Korallen hängen sah, das ihm außerordentlich in die Augen stach. Es war ungefähr so groß wie ein holländischer Ducaten und konnte geöffnet werden. Inwendig saß ein grünes Spinnlein, sehr kunstreich aus einem kleinen Smaragd¬ steine gemacht, die Aeuglein von winzigen Brillanten, und die länglichen Füße von feinem Golde. Die Spinne zitterte und bewegte sich aber unaufhörlich sammt ihren acht Beinchen, weil sie mit künstlichen Gelenken von der heikelsten Arbeit versehen und außerdem auf einer kleinen, unsichtbaren Spiralfeder befestigt war. Dieses Herz hatte die schöne Guillemette von ihrem Bräutigam zum Geschenk erhalten; denn sie war mit einem höheren Offiziere ver¬ lobt, der in den amerikanischen Besitzungen Frankreichs verwendet wurde und den Zeitpunkt der Vermählung bis nach seiner Rückkehr verschoben hatte. Als er ihr vor der Abreise das Herz gab, sagte er wie im Scherz, er wolle sehen, ob sie so Sorge dazu trüge, daß das unruhige Spinnlein noch unzerbrochen sei, wenn er wieder käme; nota bene aber setze er voraus, daß sie das Kleinod nicht etwa beiseite lege, sondern es beständig am Halse trage. Er sprach vielleicht damit die Hoffnung aus, sie werde sich während der Zeit seiner Abwesenheit recht ruhig und gleichmüthig verhalten und ihr eigenes Herz sammt dem Korallenherzen ungefährdet bleiben.
obſchon Thibaut ein wenig in ihre Augen hinauf blicken mußte, war er doch nicht zu ſtolz, ſich in ſie zu verlieben, zumal er an ihrem Halſe ein Herz von rothen Korallen hängen ſah, das ihm außerordentlich in die Augen ſtach. Es war ungefähr ſo groß wie ein holländiſcher Ducaten und konnte geöffnet werden. Inwendig ſaß ein grünes Spinnlein, ſehr kunſtreich aus einem kleinen Smaragd¬ ſteine gemacht, die Aeuglein von winzigen Brillanten, und die länglichen Füße von feinem Golde. Die Spinne zitterte und bewegte ſich aber unaufhörlich ſammt ihren acht Beinchen, weil ſie mit künſtlichen Gelenken von der heikelſten Arbeit verſehen und außerdem auf einer kleinen, unſichtbaren Spiralfeder befeſtigt war. Dieſes Herz hatte die ſchöne Guillemette von ihrem Bräutigam zum Geſchenk erhalten; denn ſie war mit einem höheren Offiziere ver¬ lobt, der in den amerikaniſchen Beſitzungen Frankreichs verwendet wurde und den Zeitpunkt der Vermählung bis nach ſeiner Rückkehr verſchoben hatte. Als er ihr vor der Abreiſe das Herz gab, ſagte er wie im Scherz, er wolle ſehen, ob ſie ſo Sorge dazu trüge, daß das unruhige Spinnlein noch unzerbrochen ſei, wenn er wieder käme; nota bene aber ſetze er voraus, daß ſie das Kleinod nicht etwa beiſeite lege, ſondern es beſtändig am Halſe trage. Er ſprach vielleicht damit die Hoffnung aus, ſie werde ſich während der Zeit ſeiner Abweſenheit recht ruhig und gleichmüthig verhalten und ihr eigenes Herz ſammt dem Korallenherzen ungefährdet bleiben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0359"n="349"/>
obſchon Thibaut ein wenig in ihre Augen hinauf blicken<lb/>
mußte, war er doch nicht zu ſtolz, ſich in ſie zu verlieben,<lb/>
zumal er an ihrem Halſe ein Herz von rothen Korallen<lb/>
hängen ſah, das ihm außerordentlich in die Augen ſtach.<lb/>
Es war ungefähr ſo groß wie ein holländiſcher Ducaten<lb/>
und konnte geöffnet werden. Inwendig ſaß ein grünes<lb/>
Spinnlein, ſehr kunſtreich aus einem kleinen Smaragd¬<lb/>ſteine gemacht, die Aeuglein von winzigen Brillanten,<lb/>
und die länglichen Füße von feinem Golde. Die Spinne<lb/>
zitterte und bewegte ſich aber unaufhörlich ſammt ihren<lb/>
acht Beinchen, weil ſie mit künſtlichen Gelenken von der<lb/>
heikelſten Arbeit verſehen und außerdem auf einer kleinen,<lb/>
unſichtbaren Spiralfeder befeſtigt war. Dieſes Herz hatte<lb/>
die ſchöne Guillemette von ihrem Bräutigam zum Geſchenk<lb/>
erhalten; denn ſie war mit einem höheren Offiziere ver¬<lb/>
lobt, der in den amerikaniſchen Beſitzungen Frankreichs<lb/>
verwendet wurde und den Zeitpunkt der Vermählung bis<lb/>
nach ſeiner Rückkehr verſchoben hatte. Als er ihr vor<lb/>
der Abreiſe das Herz gab, ſagte er wie im Scherz, er<lb/>
wolle ſehen, ob ſie ſo Sorge dazu trüge, daß das unruhige<lb/>
Spinnlein noch unzerbrochen ſei, wenn er wieder käme;<lb/><hirendition="#aq">nota bene</hi> aber ſetze er voraus, daß ſie das Kleinod nicht<lb/>
etwa beiſeite lege, ſondern es beſtändig am Halſe trage.<lb/>
Er ſprach vielleicht damit die Hoffnung aus, ſie werde<lb/>ſich während der Zeit ſeiner Abweſenheit recht ruhig und<lb/>
gleichmüthig verhalten und ihr eigenes Herz ſammt dem<lb/>
Korallenherzen ungefährdet bleiben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[349/0359]
obſchon Thibaut ein wenig in ihre Augen hinauf blicken
mußte, war er doch nicht zu ſtolz, ſich in ſie zu verlieben,
zumal er an ihrem Halſe ein Herz von rothen Korallen
hängen ſah, das ihm außerordentlich in die Augen ſtach.
Es war ungefähr ſo groß wie ein holländiſcher Ducaten
und konnte geöffnet werden. Inwendig ſaß ein grünes
Spinnlein, ſehr kunſtreich aus einem kleinen Smaragd¬
ſteine gemacht, die Aeuglein von winzigen Brillanten,
und die länglichen Füße von feinem Golde. Die Spinne
zitterte und bewegte ſich aber unaufhörlich ſammt ihren
acht Beinchen, weil ſie mit künſtlichen Gelenken von der
heikelſten Arbeit verſehen und außerdem auf einer kleinen,
unſichtbaren Spiralfeder befeſtigt war. Dieſes Herz hatte
die ſchöne Guillemette von ihrem Bräutigam zum Geſchenk
erhalten; denn ſie war mit einem höheren Offiziere ver¬
lobt, der in den amerikaniſchen Beſitzungen Frankreichs
verwendet wurde und den Zeitpunkt der Vermählung bis
nach ſeiner Rückkehr verſchoben hatte. Als er ihr vor
der Abreiſe das Herz gab, ſagte er wie im Scherz, er
wolle ſehen, ob ſie ſo Sorge dazu trüge, daß das unruhige
Spinnlein noch unzerbrochen ſei, wenn er wieder käme;
nota bene aber ſetze er voraus, daß ſie das Kleinod nicht
etwa beiſeite lege, ſondern es beſtändig am Halſe trage.
Er ſprach vielleicht damit die Hoffnung aus, ſie werde
ſich während der Zeit ſeiner Abweſenheit recht ruhig und
gleichmüthig verhalten und ihr eigenes Herz ſammt dem
Korallenherzen ungefährdet bleiben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/359>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.