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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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kürlichem Niederschlagen der Augen: "Ich bin nicht katholisch
geboren, ich bin es geworden!"

Hiermit lag die Sache freilich anders. Ein Religions¬
wechsel ist in dies scheinbar ruhige Leben gefallen; was
mag damit alles zusammenhangen! sprach es sogleich in
seinem Innern, und er blickte zu der unweit von ihm
stehenden Lucie mit der Ueberraschung empor, mit welcher
man sonst in einen unvermutheten Abgrund hinabschaut.
Sein Gesicht zeigte sogar einen etwas bekümmerten Aus¬
druck; es malten sich darin Mitleid und Sorge eines
Menschen, dem keineswegs gleichgültig ist, was ohne sein
Wissen geschah, als ob es ihn nichts anginge.

Die Augen plötzlich aufschlagend, sagte Lucie mit
wehmüthigem Lächeln: "Sehen Sie, da haben wir gleich
so eine Geschichte, von der man nicht weiß, ob man sie
bekennen oder verschweigen soll! Es wissen nur wenige
Personen darum und selbst mein Oheim ahnt nichts davon,
obgleich er auch katholisch ist."

"Mir aber," erwiderte Reinhart, "haben Sie nun
schon zu viel verrathen, als daß Sie mir nicht an¬
vertrauen sollten, um was es sich handelt!"

"Es ist im Grunde nichts als eine Kinderei, die Sie
erfahren dürfen", versetzte Lucie; "es ist mir sogar lieb,
wenn Sie es wissen, damit Sie eine gute Freundin, wie
ich bin, nicht gelegentlich unbewußt verletzen oder wenigstens
kleinen Verdrießlichkeiten aussetzen. Mein Vater war
Protestant, wie Jedermann in dieser Gegend, die Mutter

kürlichem Niederſchlagen der Augen: „Ich bin nicht katholiſch
geboren, ich bin es geworden!“

Hiermit lag die Sache freilich anders. Ein Religions¬
wechſel iſt in dies ſcheinbar ruhige Leben gefallen; was
mag damit alles zuſammenhangen! ſprach es ſogleich in
ſeinem Innern, und er blickte zu der unweit von ihm
ſtehenden Lucie mit der Ueberraſchung empor, mit welcher
man ſonſt in einen unvermutheten Abgrund hinabſchaut.
Sein Geſicht zeigte ſogar einen etwas bekümmerten Aus¬
druck; es malten ſich darin Mitleid und Sorge eines
Menſchen, dem keineswegs gleichgültig iſt, was ohne ſein
Wiſſen geſchah, als ob es ihn nichts anginge.

Die Augen plötzlich aufſchlagend, ſagte Lucie mit
wehmüthigem Lächeln: „Sehen Sie, da haben wir gleich
ſo eine Geſchichte, von der man nicht weiß, ob man ſie
bekennen oder verſchweigen ſoll! Es wiſſen nur wenige
Perſonen darum und ſelbſt mein Oheim ahnt nichts davon,
obgleich er auch katholiſch iſt.“

„Mir aber,“ erwiderte Reinhart, „haben Sie nun
ſchon zu viel verrathen, als daß Sie mir nicht an¬
vertrauen ſollten, um was es ſich handelt!“

„Es iſt im Grunde nichts als eine Kinderei, die Sie
erfahren dürfen“, verſetzte Lucie; „es iſt mir ſogar lieb,
wenn Sie es wiſſen, damit Sie eine gute Freundin, wie
ich bin, nicht gelegentlich unbewußt verletzen oder wenigſtens
kleinen Verdrießlichkeiten ausſetzen. Mein Vater war
Proteſtant, wie Jedermann in dieſer Gegend, die Mutter

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[378/0388] kürlichem Niederſchlagen der Augen: „Ich bin nicht katholiſch geboren, ich bin es geworden!“ Hiermit lag die Sache freilich anders. Ein Religions¬ wechſel iſt in dies ſcheinbar ruhige Leben gefallen; was mag damit alles zuſammenhangen! ſprach es ſogleich in ſeinem Innern, und er blickte zu der unweit von ihm ſtehenden Lucie mit der Ueberraſchung empor, mit welcher man ſonſt in einen unvermutheten Abgrund hinabſchaut. Sein Geſicht zeigte ſogar einen etwas bekümmerten Aus¬ druck; es malten ſich darin Mitleid und Sorge eines Menſchen, dem keineswegs gleichgültig iſt, was ohne ſein Wiſſen geſchah, als ob es ihn nichts anginge. Die Augen plötzlich aufſchlagend, ſagte Lucie mit wehmüthigem Lächeln: „Sehen Sie, da haben wir gleich ſo eine Geſchichte, von der man nicht weiß, ob man ſie bekennen oder verſchweigen ſoll! Es wiſſen nur wenige Perſonen darum und ſelbſt mein Oheim ahnt nichts davon, obgleich er auch katholiſch iſt.“ „Mir aber,“ erwiderte Reinhart, „haben Sie nun ſchon zu viel verrathen, als daß Sie mir nicht an¬ vertrauen ſollten, um was es ſich handelt!“ „Es iſt im Grunde nichts als eine Kinderei, die Sie erfahren dürfen“, verſetzte Lucie; „es iſt mir ſogar lieb, wenn Sie es wiſſen, damit Sie eine gute Freundin, wie ich bin, nicht gelegentlich unbewußt verletzen oder wenigſtens kleinen Verdrießlichkeiten ausſetzen. Mein Vater war Proteſtant, wie Jedermann in dieſer Gegend, die Mutter

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/388>, abgerufen am 22.11.2024.