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Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

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IV. Abtheilung.

Noch ein anderer, aber ziemlich seltner Fehler
kömmt von einem Naturgebrechen her. Wenn näm-
lich bey jemanden die zwey vorderen oberen Schnei-
dezähne zu weit von einander stehen, so lassen sie
zu viel Luft durch, und können folglich das scharfe
Sausen nicht verursachen. Solche Leute nehmen
entweder ihre Zuflucht zu dem erstbeschriebenen um-
gekehrten F, oder wenn sie es doch mit den oberen

Zäh-
Sie hatten den Gebrauch der oberen Zähne ganz ver-
lernt. Noch als erwachsenen Jünglingen hieng ihnen
dieser Sprachfehler an, und sie würden ihn vielleicht
bis in ihr hohes Alter behalten haben, wenn ich nicht
vor einigen Jahren, als ich mich schon mit der Unter-
suchung der Sprache abgab, es versucht hätte, sie von
diesem Fehler abzubringen. Jch erklärte ihnen die Bil-
dung dieses Buchstaben ungefähr so, wie ich sie hier
beschrieben habe, und ich hatte das Vergnügen sie in
wenig Augenblicken auf dem rechten Wege zu sehen.
Der Jüngere, der etwas mehr Lebhaftigkeit und Ehr-
geitz besaß, war von der ersten Stunde an geheilt,
und fiel nur die ersteren Tage noch zuweilen in seinen
vorigen Fehler; mit dem Aelteren braucht' es einige
Monathe Zeit. Jtzt spricht auch dieser das F wie jeder-
mann aus.
IV. Abtheilung.

Noch ein anderer, aber ziemlich ſeltner Fehler
koͤmmt von einem Naturgebrechen her. Wenn naͤm-
lich bey jemanden die zwey vorderen oberen Schnei-
dezaͤhne zu weit von einander ſtehen, ſo laſſen ſie
zu viel Luft durch, und koͤnnen folglich das ſcharfe
Sauſen nicht verurſachen. Solche Leute nehmen
entweder ihre Zuflucht zu dem erſtbeſchriebenen um-
gekehrten F, oder wenn ſie es doch mit den oberen

Zaͤh-
Sie hatten den Gebrauch der oberen Zaͤhne ganz ver-
lernt. Noch als erwachſenen Juͤnglingen hieng ihnen
dieſer Sprachfehler an, und ſie wuͤrden ihn vielleicht
bis in ihr hohes Alter behalten haben, wenn ich nicht
vor einigen Jahren, als ich mich ſchon mit der Unter-
ſuchung der Sprache abgab, es verſucht haͤtte, ſie von
dieſem Fehler abzubringen. Jch erklaͤrte ihnen die Bil-
dung dieſes Buchſtaben ungefaͤhr ſo, wie ich ſie hier
beſchrieben habe, und ich hatte das Vergnuͤgen ſie in
wenig Augenblicken auf dem rechten Wege zu ſehen.
Der Juͤngere, der etwas mehr Lebhaftigkeit und Ehr-
geitz beſaß, war von der erſten Stunde an geheilt,
und fiel nur die erſteren Tage noch zuweilen in ſeinen
vorigen Fehler; mit dem Aelteren braucht' es einige
Monathe Zeit. Jtzt ſpricht auch dieſer das F wie jeder-
mann aus.
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[260/0316] IV. Abtheilung. Noch ein anderer, aber ziemlich ſeltner Fehler koͤmmt von einem Naturgebrechen her. Wenn naͤm- lich bey jemanden die zwey vorderen oberen Schnei- dezaͤhne zu weit von einander ſtehen, ſo laſſen ſie zu viel Luft durch, und koͤnnen folglich das ſcharfe Sauſen nicht verurſachen. Solche Leute nehmen entweder ihre Zuflucht zu dem erſtbeſchriebenen um- gekehrten F, oder wenn ſie es doch mit den oberen Zaͤh- (*) (*) Sie hatten den Gebrauch der oberen Zaͤhne ganz ver- lernt. Noch als erwachſenen Juͤnglingen hieng ihnen dieſer Sprachfehler an, und ſie wuͤrden ihn vielleicht bis in ihr hohes Alter behalten haben, wenn ich nicht vor einigen Jahren, als ich mich ſchon mit der Unter- ſuchung der Sprache abgab, es verſucht haͤtte, ſie von dieſem Fehler abzubringen. Jch erklaͤrte ihnen die Bil- dung dieſes Buchſtaben ungefaͤhr ſo, wie ich ſie hier beſchrieben habe, und ich hatte das Vergnuͤgen ſie in wenig Augenblicken auf dem rechten Wege zu ſehen. Der Juͤngere, der etwas mehr Lebhaftigkeit und Ehr- geitz beſaß, war von der erſten Stunde an geheilt, und fiel nur die erſteren Tage noch zuweilen in ſeinen vorigen Fehler; mit dem Aelteren braucht' es einige Monathe Zeit. Jtzt ſpricht auch dieſer das F wie jeder- mann aus.

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Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/316>, abgerufen am 23.11.2024.