Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Abtheilung.
stab nach einem Sprachwerkzeug benennet werden soll,
so muß dieser immer der thätigste, oder derjenige
seyn, der zu seiner Hervorbringung am meisten mit-
wirket. Nun sind aber in unserem Falle die Lip-
pen in ihrem natürlichen ruhigen Stande, das ist,
geschlossen, wie sie es meist sind, wann man nicht
spricht. Sie können also hier nicht wie wirkende,
sondern sie müßen vielmehr nur wie leidende Werk-
zeuge betrachtet werden. Unentbehrlich (conditio si-
ne qua non
) sind sie immer, denn sie müßen den
Mund verschließen. Allein auch die Augen sind un-
entbehrlich, wenn man etwas zeichnet, und dennoch
nennt man eine Zeichnung nie Augenzeichnung,
sondern Handzeichnung; man sagt: Hand-
schrift, Handarbeit;
denn die Hand hat sie ge-
macht, und die Augen haben nur mitgewirket. Ei-
ne ganz andere Bewandtniß hat es mit den wahren
Lippenlauten; da sind die Lippen in wirklicher Be-
wegung, folglich thätig, wie bey B und P; oder sie
beschränken die Oeffnung, durch die der Laut durch
zugehen hat, wie bey W und V. Bey dem M
wirkt ein ganz anderer Werkzeug. Wenn ich ganz
ruhig, und mit geschlossenem Munde da sitze, und

nun

IV. Abtheilung.
ſtab nach einem Sprachwerkzeug benennet werden ſoll,
ſo muß dieſer immer der thaͤtigſte, oder derjenige
ſeyn, der zu ſeiner Hervorbringung am meiſten mit-
wirket. Nun ſind aber in unſerem Falle die Lip-
pen in ihrem natuͤrlichen ruhigen Stande, das iſt,
geſchloſſen, wie ſie es meiſt ſind, wann man nicht
ſpricht. Sie koͤnnen alſo hier nicht wie wirkende,
ſondern ſie muͤßen vielmehr nur wie leidende Werk-
zeuge betrachtet werden. Unentbehrlich (conditio ſi-
ne qua non
) ſind ſie immer, denn ſie muͤßen den
Mund verſchließen. Allein auch die Augen ſind un-
entbehrlich, wenn man etwas zeichnet, und dennoch
nennt man eine Zeichnung nie Augenzeichnung,
ſondern Handzeichnung; man ſagt: Hand-
ſchrift, Handarbeit;
denn die Hand hat ſie ge-
macht, und die Augen haben nur mitgewirket. Ei-
ne ganz andere Bewandtniß hat es mit den wahren
Lippenlauten; da ſind die Lippen in wirklicher Be-
wegung, folglich thaͤtig, wie bey B und P; oder ſie
beſchraͤnken die Oeffnung, durch die der Laut durch
zugehen hat, wie bey W und V. Bey dem M
wirkt ein ganz anderer Werkzeug. Wenn ich ganz
ruhig, und mit geſchloſſenem Munde da ſitze, und

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0364" n="304"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV</hi>. Abtheilung.</hi></fw><lb/>
&#x017F;tab nach einem Sprachwerkzeug benennet werden &#x017F;oll,<lb/>
&#x017F;o muß die&#x017F;er immer der tha&#x0364;tig&#x017F;te, oder derjenige<lb/>
&#x017F;eyn, der zu &#x017F;einer Hervorbringung am mei&#x017F;ten mit-<lb/>
wirket. Nun &#x017F;ind aber in un&#x017F;erem Falle die Lip-<lb/>
pen in ihrem natu&#x0364;rlichen ruhigen Stande, das i&#x017F;t,<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie es mei&#x017F;t &#x017F;ind, wann man nicht<lb/>
&#x017F;pricht. Sie ko&#x0364;nnen al&#x017F;o hier nicht wie wirkende,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie mu&#x0364;ßen vielmehr nur wie leidende Werk-<lb/>
zeuge betrachtet werden. Unentbehrlich (<hi rendition="#aq">conditio &#x017F;i-<lb/>
ne qua non</hi>) &#x017F;ind &#x017F;ie immer, denn &#x017F;ie mu&#x0364;ßen den<lb/>
Mund ver&#x017F;chließen. Allein auch die Augen &#x017F;ind un-<lb/>
entbehrlich, wenn man etwas zeichnet, und dennoch<lb/>
nennt man eine Zeichnung nie <hi rendition="#b">Augenzeichnung</hi>,<lb/>
&#x017F;ondern <hi rendition="#b">Handzeichnung</hi>; man &#x017F;agt: <hi rendition="#b">Hand-<lb/>
&#x017F;chrift, Handarbeit;</hi> denn die Hand hat &#x017F;ie ge-<lb/>
macht, und die Augen haben nur mitgewirket. Ei-<lb/>
ne ganz andere Bewandtniß hat es mit den wahren<lb/><hi rendition="#b">Lippenlauten</hi>; da &#x017F;ind die Lippen in wirklicher Be-<lb/>
wegung, folglich tha&#x0364;tig, wie bey <hi rendition="#aq">B</hi> und <hi rendition="#aq">P</hi>; oder &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;chra&#x0364;nken die Oeffnung, durch die der Laut durch<lb/>
zugehen hat, wie bey <hi rendition="#aq">W</hi> und <hi rendition="#aq">V</hi>. Bey dem <hi rendition="#aq">M</hi><lb/>
wirkt ein ganz anderer Werkzeug. Wenn ich ganz<lb/>
ruhig, und mit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enem Munde da &#x017F;itze, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0364] IV. Abtheilung. ſtab nach einem Sprachwerkzeug benennet werden ſoll, ſo muß dieſer immer der thaͤtigſte, oder derjenige ſeyn, der zu ſeiner Hervorbringung am meiſten mit- wirket. Nun ſind aber in unſerem Falle die Lip- pen in ihrem natuͤrlichen ruhigen Stande, das iſt, geſchloſſen, wie ſie es meiſt ſind, wann man nicht ſpricht. Sie koͤnnen alſo hier nicht wie wirkende, ſondern ſie muͤßen vielmehr nur wie leidende Werk- zeuge betrachtet werden. Unentbehrlich (conditio ſi- ne qua non) ſind ſie immer, denn ſie muͤßen den Mund verſchließen. Allein auch die Augen ſind un- entbehrlich, wenn man etwas zeichnet, und dennoch nennt man eine Zeichnung nie Augenzeichnung, ſondern Handzeichnung; man ſagt: Hand- ſchrift, Handarbeit; denn die Hand hat ſie ge- macht, und die Augen haben nur mitgewirket. Ei- ne ganz andere Bewandtniß hat es mit den wahren Lippenlauten; da ſind die Lippen in wirklicher Be- wegung, folglich thaͤtig, wie bey B und P; oder ſie beſchraͤnken die Oeffnung, durch die der Laut durch zugehen hat, wie bey W und V. Bey dem M wirkt ein ganz anderer Werkzeug. Wenn ich ganz ruhig, und mit geſchloſſenem Munde da ſitze, und nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/364
Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/364>, abgerufen am 23.11.2024.