und gerichtlich verhörten Personen aus allen Zeitaltern, so weit die Geschichte sich mit diesem Gegenstand befaßt, ist nicht erklärbar ohne die Conformität der Thatsachen, ob- gleich Vieles davon in den Nebel des Aberglaubens, der Vorurtheile und der Schwärmereien eingehüllt seyn mag.
Das Mittelalter war in Hinsicht von Besitzung und Zau- ber reich an Thatsachen, aber sie wurden nicht verstanden und geprüft, und darum wurde der furchtbarste Misbrauch damit getrieben. Die Brutalität der Inquisitionsgerichte und der Torturen schien vielmehr, statt den Teufel auszu- treiben, ihn nachzuahmen, so daß es unentschieden blieb, auf welcher Seite der stärkere Bund mit dem Teufel war. Durch die Tortur wird das Recht mitten entzwey gerissen, und der Delinquent kommt über seinen Richter zu stehen; denn dieser begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit überhaupt, jener verletzt nur einzelne Glieder der Gesell- schaft.
Der Zauber verletzt zwar auch unmittelbar die göttliche Ordnung, aber eben hier hat der menschliche Richter Vie- les dem göttlichen zu überlassen, und auf keine Weise mit gewaltsamen Mitteln, die Gott eben so wenig angenehm sind, zu verfahren. Indirecte hat daher Christian Thoma- sius, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, übri- gens mit wenig besagenden Gründen, die Meinung ver- theidigte, "es gebe keinen Bund mit dem Teufel," das Verdienst, dem Unfug gesteuert zu haben, und es war fast besser, dem Zauber freyes Feld einzuräumen, als die Gefahr zu haben, daß auch unschuldige Personen im förm- lichen Rechtsweg verurtheilt werden konnten.
Zur Reife einer Sache müssen immer zwey Momente zu- sammentreffen: 1) die Weckung des Interesses durch eine gediegene, im Gefolge wichtiger Erscheinungen auftretende Thatsache, und 2) das Urtheil, welches sie zu prüfen ver- steht, und ihr in der großen Sphäre des Wissens und Glaubens ihr Gebiet anweist.
und gerichtlich verhörten Perſonen aus allen Zeitaltern, ſo weit die Geſchichte ſich mit dieſem Gegenſtand befaßt, iſt nicht erklärbar ohne die Conformität der Thatſachen, ob- gleich Vieles davon in den Nebel des Aberglaubens, der Vorurtheile und der Schwärmereien eingehüllt ſeyn mag.
Das Mittelalter war in Hinſicht von Beſitzung und Zau- ber reich an Thatſachen, aber ſie wurden nicht verſtanden und geprüft, und darum wurde der furchtbarſte Misbrauch damit getrieben. Die Brutalität der Inquiſitionsgerichte und der Torturen ſchien vielmehr, ſtatt den Teufel auszu- treiben, ihn nachzuahmen, ſo daß es unentſchieden blieb, auf welcher Seite der ſtärkere Bund mit dem Teufel war. Durch die Tortur wird das Recht mitten entzwey geriſſen, und der Delinquent kommt über ſeinen Richter zu ſtehen; denn dieſer begeht ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit überhaupt, jener verletzt nur einzelne Glieder der Geſell- ſchaft.
Der Zauber verletzt zwar auch unmittelbar die göttliche Ordnung, aber eben hier hat der menſchliche Richter Vie- les dem göttlichen zu überlaſſen, und auf keine Weiſe mit gewaltſamen Mitteln, die Gott eben ſo wenig angenehm ſind, zu verfahren. Indirecte hat daher Chriſtian Thoma- ſius, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, übri- gens mit wenig beſagenden Gründen, die Meinung ver- theidigte, „es gebe keinen Bund mit dem Teufel,“ das Verdienſt, dem Unfug geſteuert zu haben, und es war faſt beſſer, dem Zauber freyes Feld einzuräumen, als die Gefahr zu haben, daß auch unſchuldige Perſonen im förm- lichen Rechtsweg verurtheilt werden konnten.
Zur Reife einer Sache müſſen immer zwey Momente zu- ſammentreffen: 1) die Weckung des Intereſſes durch eine gediegene, im Gefolge wichtiger Erſcheinungen auftretende Thatſache, und 2) das Urtheil, welches ſie zu prüfen ver- ſteht, und ihr in der großen Sphäre des Wiſſens und Glaubens ihr Gebiet anweist.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0176"n="162"/>
und gerichtlich verhörten Perſonen aus allen Zeitaltern, ſo<lb/>
weit die Geſchichte ſich mit dieſem Gegenſtand befaßt, iſt<lb/>
nicht erklärbar ohne die Conformität der Thatſachen, ob-<lb/>
gleich Vieles davon in den Nebel des Aberglaubens, der<lb/>
Vorurtheile und der Schwärmereien eingehüllt ſeyn mag.</p><lb/><p>Das Mittelalter war in Hinſicht von Beſitzung und Zau-<lb/>
ber reich an Thatſachen, aber ſie wurden nicht verſtanden<lb/>
und geprüft, und darum wurde der furchtbarſte Misbrauch<lb/>
damit getrieben. Die Brutalität der Inquiſitionsgerichte<lb/>
und der Torturen ſchien vielmehr, ſtatt den Teufel auszu-<lb/>
treiben, ihn nachzuahmen, ſo daß es unentſchieden blieb,<lb/>
auf welcher Seite der ſtärkere Bund mit dem Teufel war.<lb/>
Durch die Tortur wird das Recht mitten entzwey geriſſen,<lb/>
und der Delinquent kommt über ſeinen Richter zu ſtehen;<lb/>
denn dieſer begeht ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit<lb/>
überhaupt, jener verletzt nur einzelne Glieder der Geſell-<lb/>ſchaft.</p><lb/><p>Der Zauber verletzt zwar auch unmittelbar die göttliche<lb/>
Ordnung, aber eben hier hat der menſchliche Richter Vie-<lb/>
les dem göttlichen zu überlaſſen, und auf keine Weiſe mit<lb/>
gewaltſamen Mitteln, die Gott eben ſo wenig angenehm<lb/>ſind, zu verfahren. Indirecte hat daher Chriſtian Thoma-<lb/>ſius, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, übri-<lb/>
gens mit wenig beſagenden Gründen, die Meinung ver-<lb/>
theidigte, „<hirendition="#g">es gebe keinen Bund mit dem Teufel</hi>,“<lb/>
das Verdienſt, dem Unfug geſteuert zu haben, und es war<lb/>
faſt beſſer, dem Zauber freyes Feld einzuräumen, als die<lb/>
Gefahr zu haben, daß auch unſchuldige Perſonen im förm-<lb/>
lichen Rechtsweg verurtheilt werden konnten.</p><lb/><p>Zur Reife einer Sache müſſen immer zwey Momente zu-<lb/>ſammentreffen: 1) die Weckung des Intereſſes durch eine<lb/>
gediegene, im Gefolge wichtiger Erſcheinungen auftretende<lb/>
Thatſache, und 2) das Urtheil, welches ſie zu prüfen ver-<lb/>ſteht, und ihr in der großen Sphäre des Wiſſens und<lb/>
Glaubens ihr Gebiet anweist.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[162/0176]
und gerichtlich verhörten Perſonen aus allen Zeitaltern, ſo
weit die Geſchichte ſich mit dieſem Gegenſtand befaßt, iſt
nicht erklärbar ohne die Conformität der Thatſachen, ob-
gleich Vieles davon in den Nebel des Aberglaubens, der
Vorurtheile und der Schwärmereien eingehüllt ſeyn mag.
Das Mittelalter war in Hinſicht von Beſitzung und Zau-
ber reich an Thatſachen, aber ſie wurden nicht verſtanden
und geprüft, und darum wurde der furchtbarſte Misbrauch
damit getrieben. Die Brutalität der Inquiſitionsgerichte
und der Torturen ſchien vielmehr, ſtatt den Teufel auszu-
treiben, ihn nachzuahmen, ſo daß es unentſchieden blieb,
auf welcher Seite der ſtärkere Bund mit dem Teufel war.
Durch die Tortur wird das Recht mitten entzwey geriſſen,
und der Delinquent kommt über ſeinen Richter zu ſtehen;
denn dieſer begeht ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit
überhaupt, jener verletzt nur einzelne Glieder der Geſell-
ſchaft.
Der Zauber verletzt zwar auch unmittelbar die göttliche
Ordnung, aber eben hier hat der menſchliche Richter Vie-
les dem göttlichen zu überlaſſen, und auf keine Weiſe mit
gewaltſamen Mitteln, die Gott eben ſo wenig angenehm
ſind, zu verfahren. Indirecte hat daher Chriſtian Thoma-
ſius, welcher zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, übri-
gens mit wenig beſagenden Gründen, die Meinung ver-
theidigte, „es gebe keinen Bund mit dem Teufel,“
das Verdienſt, dem Unfug geſteuert zu haben, und es war
faſt beſſer, dem Zauber freyes Feld einzuräumen, als die
Gefahr zu haben, daß auch unſchuldige Perſonen im förm-
lichen Rechtsweg verurtheilt werden konnten.
Zur Reife einer Sache müſſen immer zwey Momente zu-
ſammentreffen: 1) die Weckung des Intereſſes durch eine
gediegene, im Gefolge wichtiger Erſcheinungen auftretende
Thatſache, und 2) das Urtheil, welches ſie zu prüfen ver-
ſteht, und ihr in der großen Sphäre des Wiſſens und
Glaubens ihr Gebiet anweist.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/176>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.