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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag zum
förmlichen Eigenthum machen, ihren Willen mit
seiner Macht vereinigen, dadurch gegen die ge-
wöhnlichen Gesetze der Natur handeln und auf
vielfältige aber geheime Weise Unheil und Scha-
den stiften kann
.

Für den Zauber hat das Evangelium keine Beweisstel-
len, wie für die Besitzung; nur die Apostelgeschichte spricht
von dem Zauberer Simon, welcher das samaritische Volk
verzaubert habe und in großem Ansehen stand. Allein, das
Evangelium konnte auch in dem Sinne, wie jetzt der Zau-
ber angenommen ist, nicht von demselben handeln. Wie
Paulus dem Tisch und dem Kelch des Herrn den Tisch und
den Kelch der Teufel entgegensetzt, so wird auch der Bund
mit Christo dem Bund mit dem Satan entgegengesetzt. Nach
allen Beschreibungen besteht dieser Bund in der feyerlichen
Absagung des Taufbundes, in der Abschwörung der Sa-
cramente, in der Verfluchung der h. Dreyfaltigkeit und in
einer Menge Ceremonien, die alle dem Satan geweiht sind.

Und nun fragt sich: kann die menschliche Natur sich bis
zu diesem Grad verschlimmern, und können die besondern
Wirkungen, welche man dem Zauber zuschreibt, daraus
hervorgehen?

Auch zu Erklärung des Zaubers kann nur die Kraft der
Unnatur ausreichen, wie sie aus ihrem Abgrunde herauf-
ragt in die menschliche Natur, und nun Wirkungen her-
vorbringt, welche die Gesetze unserer Natur weit über-
schreiten.

Die menschliche Natur ist kein blos einseitiges Verhält-
niß zwischen Endlichem und Unendlichem, Zeitlichem und
Ewigem, Irdischem und Himmlischem, sondern eine volle
Proportion, in welcher sie zwischen zwey Extremen in der
Mitte erscheint. Und so stellt auch das Evangelium
den Menschen zwischen die Versuchung des Sa-
tans und die Erleuchtung des Geistes Gottes
.

ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden Vertrag zum
förmlichen Eigenthum machen, ihren Willen mit
ſeiner Macht vereinigen, dadurch gegen die ge-
wöhnlichen Geſetze der Natur handeln und auf
vielfältige aber geheime Weiſe Unheil und Scha-
den ſtiften kann
.

Für den Zauber hat das Evangelium keine Beweisſtel-
len, wie für die Beſitzung; nur die Apoſtelgeſchichte ſpricht
von dem Zauberer Simon, welcher das ſamaritiſche Volk
verzaubert habe und in großem Anſehen ſtand. Allein, das
Evangelium konnte auch in dem Sinne, wie jetzt der Zau-
ber angenommen iſt, nicht von demſelben handeln. Wie
Paulus dem Tiſch und dem Kelch des Herrn den Tiſch und
den Kelch der Teufel entgegenſetzt, ſo wird auch der Bund
mit Chriſto dem Bund mit dem Satan entgegengeſetzt. Nach
allen Beſchreibungen beſteht dieſer Bund in der feyerlichen
Abſagung des Taufbundes, in der Abſchwörung der Sa-
cramente, in der Verfluchung der h. Dreyfaltigkeit und in
einer Menge Ceremonien, die alle dem Satan geweiht ſind.

Und nun fragt ſich: kann die menſchliche Natur ſich bis
zu dieſem Grad verſchlimmern, und können die beſondern
Wirkungen, welche man dem Zauber zuſchreibt, daraus
hervorgehen?

Auch zu Erklärung des Zaubers kann nur die Kraft der
Unnatur ausreichen, wie ſie aus ihrem Abgrunde herauf-
ragt in die menſchliche Natur, und nun Wirkungen her-
vorbringt, welche die Geſetze unſerer Natur weit über-
ſchreiten.

Die menſchliche Natur iſt kein blos einſeitiges Verhält-
niß zwiſchen Endlichem und Unendlichem, Zeitlichem und
Ewigem, Irdiſchem und Himmliſchem, ſondern eine volle
Proportion, in welcher ſie zwiſchen zwey Extremen in der
Mitte erſcheint. Und ſo ſtellt auch das Evangelium
den Menſchen zwiſchen die Verſuchung des Sa-
tans und die Erleuchtung des Geiſtes Gottes
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[164/0178] ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden Vertrag zum förmlichen Eigenthum machen, ihren Willen mit ſeiner Macht vereinigen, dadurch gegen die ge- wöhnlichen Geſetze der Natur handeln und auf vielfältige aber geheime Weiſe Unheil und Scha- den ſtiften kann. Für den Zauber hat das Evangelium keine Beweisſtel- len, wie für die Beſitzung; nur die Apoſtelgeſchichte ſpricht von dem Zauberer Simon, welcher das ſamaritiſche Volk verzaubert habe und in großem Anſehen ſtand. Allein, das Evangelium konnte auch in dem Sinne, wie jetzt der Zau- ber angenommen iſt, nicht von demſelben handeln. Wie Paulus dem Tiſch und dem Kelch des Herrn den Tiſch und den Kelch der Teufel entgegenſetzt, ſo wird auch der Bund mit Chriſto dem Bund mit dem Satan entgegengeſetzt. Nach allen Beſchreibungen beſteht dieſer Bund in der feyerlichen Abſagung des Taufbundes, in der Abſchwörung der Sa- cramente, in der Verfluchung der h. Dreyfaltigkeit und in einer Menge Ceremonien, die alle dem Satan geweiht ſind. Und nun fragt ſich: kann die menſchliche Natur ſich bis zu dieſem Grad verſchlimmern, und können die beſondern Wirkungen, welche man dem Zauber zuſchreibt, daraus hervorgehen? Auch zu Erklärung des Zaubers kann nur die Kraft der Unnatur ausreichen, wie ſie aus ihrem Abgrunde herauf- ragt in die menſchliche Natur, und nun Wirkungen her- vorbringt, welche die Geſetze unſerer Natur weit über- ſchreiten. Die menſchliche Natur iſt kein blos einſeitiges Verhält- niß zwiſchen Endlichem und Unendlichem, Zeitlichem und Ewigem, Irdiſchem und Himmliſchem, ſondern eine volle Proportion, in welcher ſie zwiſchen zwey Extremen in der Mitte erſcheint. Und ſo ſtellt auch das Evangelium den Menſchen zwiſchen die Verſuchung des Sa- tans und die Erleuchtung des Geiſtes Gottes.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/178>, abgerufen am 23.11.2024.