Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

der politischen Lehensherrschaft über die Welt, worüber
aber Gott sich das Gericht vorbehalten hat.

Der Hauptpunkt, um den es sich dreht, ist, daß der
Satan für sich keine Macht hat, der Menschheit zu scha-
den, sondern nur durch den bösen Willen des Einen auf
den Andern. Er ist nur der Verführer und Versucher,
aber nicht der unmittelbare Thäter. Der böse Wille der
Menschen aber muß zugelassen seyn, wenn der Geist
frey seyn und nach seinen Werken gerichtet werden soll.
Die Fragen um die göttliche Zulassung stehen daher ein-
ander überall parallel. Fragt man, wie mag es Gott
dulden, daß unschuldige Menschen der Besitzung und Zau-
bermacht unterworfen sind? -- so erwiedere ich: Warum
fragt ihr nicht, warum es Gott dulde, daß Hunderttau-
sende einem politischen Wahn zu lieb geopfert werden?
Oder auch nur, warum er dulde, daß ein Mensch den
andern beraubt und mordet? Die Antwort ist immer
die gleiche, weil, wenn die Freiheit das höchste Gut ist,
auch die Macht, Böses zu thun, damit bestehen muß. Es
bleiben freilich zuletzt Geheimnisse zurück, die wir nicht er-
gründen können, weil sie ihren Zusammenhang mehr mit
der Heiligkeit Gottes als mit seiner Güte und Gerechtig-
keit haben. Um diesen Zusammenhang zu fassen, dazu ge-
hört, daß wir den Geschichtsplan nicht nur der Erde, son-
dern des Weltalls verstehen müßten, was für uns unmög-
liche Werthe sind.

Fragen, wie diese, warum der Teufel nicht die vorneh-
men Sünder und Gottesläugner ergreife? beantworten sich
von selbst, -- weil er sie schon hat.

Wie sollte er diejenigen plagen, die sich ihm ergeben?
Da wäre ja das Reich uneins und würde in sich zerfallen.
Was kann dem Satan willkommener seyn, als daß der
Glaube an Besitzung und Zauber aufgehört hat und er über-
all freies Quartier findet, das wie mit Besen gekehret und
geschmücket ist?


Kerner, über Besessensenn. 13

der politiſchen Lehensherrſchaft über die Welt, worüber
aber Gott ſich das Gericht vorbehalten hat.

Der Hauptpunkt, um den es ſich dreht, iſt, daß der
Satan für ſich keine Macht hat, der Menſchheit zu ſcha-
den, ſondern nur durch den böſen Willen des Einen auf
den Andern. Er iſt nur der Verführer und Verſucher,
aber nicht der unmittelbare Thäter. Der böſe Wille der
Menſchen aber muß zugelaſſen ſeyn, wenn der Geiſt
frey ſeyn und nach ſeinen Werken gerichtet werden ſoll.
Die Fragen um die göttliche Zulaſſung ſtehen daher ein-
ander überall parallel. Fragt man, wie mag es Gott
dulden, daß unſchuldige Menſchen der Beſitzung und Zau-
bermacht unterworfen ſind? — ſo erwiedere ich: Warum
fragt ihr nicht, warum es Gott dulde, daß Hunderttau-
ſende einem politiſchen Wahn zu lieb geopfert werden?
Oder auch nur, warum er dulde, daß ein Menſch den
andern beraubt und mordet? Die Antwort iſt immer
die gleiche, weil, wenn die Freiheit das höchſte Gut iſt,
auch die Macht, Böſes zu thun, damit beſtehen muß. Es
bleiben freilich zuletzt Geheimniſſe zurück, die wir nicht er-
gründen können, weil ſie ihren Zuſammenhang mehr mit
der Heiligkeit Gottes als mit ſeiner Güte und Gerechtig-
keit haben. Um dieſen Zuſammenhang zu faſſen, dazu ge-
hört, daß wir den Geſchichtsplan nicht nur der Erde, ſon-
dern des Weltalls verſtehen müßten, was für uns unmög-
liche Werthe ſind.

Fragen, wie dieſe, warum der Teufel nicht die vorneh-
men Sünder und Gottesläugner ergreife? beantworten ſich
von ſelbſt, — weil er ſie ſchon hat.

Wie ſollte er diejenigen plagen, die ſich ihm ergeben?
Da wäre ja das Reich uneins und würde in ſich zerfallen.
Was kann dem Satan willkommener ſeyn, als daß der
Glaube an Beſitzung und Zauber aufgehört hat und er über-
all freies Quartier findet, das wie mit Beſen gekehret und
geſchmücket iſt?


Kerner, über Beſeſſenſenn. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="185"/>
der politi&#x017F;chen Lehensherr&#x017F;chaft über die Welt, worüber<lb/>
aber Gott &#x017F;ich das Gericht vorbehalten hat.</p><lb/>
          <p>Der Hauptpunkt, um den es &#x017F;ich dreht, i&#x017F;t, daß der<lb/>
Satan für &#x017F;ich keine Macht hat, der Men&#x017F;chheit zu &#x017F;cha-<lb/>
den, &#x017F;ondern nur durch den bö&#x017F;en Willen des Einen auf<lb/>
den Andern. Er i&#x017F;t nur der Verführer und Ver&#x017F;ucher,<lb/>
aber nicht der unmittelbare Thäter. Der bö&#x017F;e Wille der<lb/>
Men&#x017F;chen aber muß zugela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn, wenn der Gei&#x017F;t<lb/>
frey &#x017F;eyn und nach &#x017F;einen Werken gerichtet werden &#x017F;oll.<lb/>
Die Fragen um die göttliche Zula&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;tehen daher ein-<lb/>
ander überall parallel. Fragt man, wie mag es Gott<lb/>
dulden, daß un&#x017F;chuldige Men&#x017F;chen der Be&#x017F;itzung und Zau-<lb/>
bermacht unterworfen &#x017F;ind? &#x2014; &#x017F;o erwiedere ich: Warum<lb/>
fragt ihr nicht, warum es Gott dulde, daß Hunderttau-<lb/>
&#x017F;ende einem politi&#x017F;chen Wahn zu lieb geopfert werden?<lb/>
Oder auch nur, warum er dulde, daß ein Men&#x017F;ch den<lb/>
andern beraubt und mordet? Die Antwort i&#x017F;t immer<lb/>
die gleiche, weil, wenn die Freiheit das höch&#x017F;te Gut i&#x017F;t,<lb/>
auch die Macht, Bö&#x017F;es zu thun, damit be&#x017F;tehen muß. Es<lb/>
bleiben freilich zuletzt Geheimni&#x017F;&#x017F;e zurück, die wir nicht er-<lb/>
gründen können, weil &#x017F;ie ihren Zu&#x017F;ammenhang mehr mit<lb/>
der Heiligkeit Gottes als mit &#x017F;einer Güte und Gerechtig-<lb/>
keit haben. Um die&#x017F;en Zu&#x017F;ammenhang zu fa&#x017F;&#x017F;en, dazu ge-<lb/>
hört, daß wir den Ge&#x017F;chichtsplan nicht nur der Erde, &#x017F;on-<lb/>
dern des Weltalls ver&#x017F;tehen müßten, was für uns unmög-<lb/>
liche Werthe &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Fragen, wie die&#x017F;e, warum der Teufel nicht die vorneh-<lb/>
men Sünder und Gottesläugner ergreife? beantworten &#x017F;ich<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t, &#x2014; weil er &#x017F;ie &#x017F;chon hat.</p><lb/>
          <p>Wie &#x017F;ollte er diejenigen plagen, die &#x017F;ich ihm ergeben?<lb/>
Da wäre ja das Reich uneins und würde in &#x017F;ich zerfallen.<lb/>
Was kann dem Satan willkommener &#x017F;eyn, als daß der<lb/>
Glaube an Be&#x017F;itzung und Zauber aufgehört hat und er über-<lb/>
all freies Quartier findet, das wie mit Be&#x017F;en gekehret und<lb/>
ge&#x017F;chmücket i&#x017F;t?</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Kerner</hi>, über Be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en&#x017F;enn. 13</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0199] der politiſchen Lehensherrſchaft über die Welt, worüber aber Gott ſich das Gericht vorbehalten hat. Der Hauptpunkt, um den es ſich dreht, iſt, daß der Satan für ſich keine Macht hat, der Menſchheit zu ſcha- den, ſondern nur durch den böſen Willen des Einen auf den Andern. Er iſt nur der Verführer und Verſucher, aber nicht der unmittelbare Thäter. Der böſe Wille der Menſchen aber muß zugelaſſen ſeyn, wenn der Geiſt frey ſeyn und nach ſeinen Werken gerichtet werden ſoll. Die Fragen um die göttliche Zulaſſung ſtehen daher ein- ander überall parallel. Fragt man, wie mag es Gott dulden, daß unſchuldige Menſchen der Beſitzung und Zau- bermacht unterworfen ſind? — ſo erwiedere ich: Warum fragt ihr nicht, warum es Gott dulde, daß Hunderttau- ſende einem politiſchen Wahn zu lieb geopfert werden? Oder auch nur, warum er dulde, daß ein Menſch den andern beraubt und mordet? Die Antwort iſt immer die gleiche, weil, wenn die Freiheit das höchſte Gut iſt, auch die Macht, Böſes zu thun, damit beſtehen muß. Es bleiben freilich zuletzt Geheimniſſe zurück, die wir nicht er- gründen können, weil ſie ihren Zuſammenhang mehr mit der Heiligkeit Gottes als mit ſeiner Güte und Gerechtig- keit haben. Um dieſen Zuſammenhang zu faſſen, dazu ge- hört, daß wir den Geſchichtsplan nicht nur der Erde, ſon- dern des Weltalls verſtehen müßten, was für uns unmög- liche Werthe ſind. Fragen, wie dieſe, warum der Teufel nicht die vorneh- men Sünder und Gottesläugner ergreife? beantworten ſich von ſelbſt, — weil er ſie ſchon hat. Wie ſollte er diejenigen plagen, die ſich ihm ergeben? Da wäre ja das Reich uneins und würde in ſich zerfallen. Was kann dem Satan willkommener ſeyn, als daß der Glaube an Beſitzung und Zauber aufgehört hat und er über- all freies Quartier findet, das wie mit Beſen gekehret und geſchmücket iſt? Kerner, über Beſeſſenſenn. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/199
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/199>, abgerufen am 18.05.2024.