Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Denkmale.

1.
Kepler.
Arm, preisgegeben jeglicher Beschwerde,
Vom undankbaren Heimatland vertrieben,
Sah er empor von dieser kalten Erde,
Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.
Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,
War ihm die hell're Heimat doch geblieben,
Von Sonnengold sein hehres Haupt umflossen,
Standen die Himmel all' ihm aufgeschlossen.

2.
Frischlin.
Ihn schlossen sie in starre Felsen ein,
Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.
Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felsenstein,
Und ließ sich abwärts am unsichern Bande.
Da fanden sie im bleichen Mondenschein
Zerschmettert ihn, zerrissen die Gewande.
Weh! Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht auffiengst, schützend, voll Erbarmen.

Denkmale.

1.
Kepler.
Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde,
Vom undankbaren Heimatland vertrieben,
Sah er empor von dieſer kalten Erde,
Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.
Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,
War ihm die hell're Heimat doch geblieben,
Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen,
Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen.

2.
Friſchlin.
Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein,
Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.
Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein,
Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande.
Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein
Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande.
Weh! Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0111" n="99"/>
      <lg type="poem">
        <head><hi rendition="#g">Denkmale</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem" n="1">
          <head>1.<lb/><hi rendition="#g">Kepler</hi>.</head><lb/>
          <l>Arm, preisgegeben jeglicher Be&#x017F;chwerde,</l><lb/>
          <l>Vom undankbaren Heimatland vertrieben,</l><lb/>
          <l>Sah er empor von die&#x017F;er kalten Erde,</l><lb/>
          <l>Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.</l><lb/>
          <l>Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,</l><lb/>
          <l>War ihm die hell're Heimat doch geblieben,</l><lb/>
          <l>Von Sonnengold &#x017F;ein hehres Haupt umflo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Standen die Himmel all' ihm aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem" n="2">
          <head>2.<lb/><hi rendition="#g">Fri&#x017F;chlin</hi>.</head><lb/>
          <l>Ihn &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie in &#x017F;tarre Fel&#x017F;en ein,</l><lb/>
          <l>Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.</l><lb/>
          <l>Er doch, voll Kraft, zerbrach den Fel&#x017F;en&#x017F;tein,</l><lb/>
          <l>Und ließ &#x017F;ich abwa&#x0364;rts am un&#x017F;ichern Bande.</l><lb/>
          <l>Da fanden &#x017F;ie im bleichen Monden&#x017F;chein</l><lb/>
          <l>Zer&#x017F;chmettert ihn, zerri&#x017F;&#x017F;en die Gewande.</l><lb/>
          <l>Weh! Muttererde, daß mit linden Armen</l><lb/>
          <l>Du ihn nicht auffieng&#x017F;t, &#x017F;chu&#x0364;tzend, voll Erbarmen.</l>
        </lg><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0111] Denkmale. 1. Kepler. Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde, Vom undankbaren Heimatland vertrieben, Sah er empor von dieſer kalten Erde, Und lernte recht die warmen Sonnen lieben. Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte, War ihm die hell're Heimat doch geblieben, Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen, Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen. 2. Friſchlin. Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein, Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande. Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein, Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande. Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande. Weh! Muttererde, daß mit linden Armen Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/111
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/111>, abgerufen am 21.11.2024.