Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6).
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
liche
Meinung. Das sind nur Zukunftsträumereien allerdings! Aber ent
wickelt
sich nicht die Zukunft aus der Gegenwart? Hat nicht eine Gene
ration die
Pflicht, für die andere zu arbeiten? Und sollten wir diese
Pflicht nicht
mit Begeisterung erfüllen, wenn die Generationen, für die
wir arbeiten,
unsere eigenen Kinder und Kindeskinder sind! Keine echte
deutsche Mutter
wird sich dieser Pflicht entziehen wollen, denn sie vermöchte
ja ihre
Teilnahmslosigkeit nicht einmal mit der bekannten Hausfrauenausrede
zu
entschuldigen: "Bedaure sehr, ich habe keine Zeit dazu, ich muß für
meine Kinder sorgen." Denn gerade weil sie für
ihre Kinder sorgen muß,
gerade darum muß sie an deren Zukunft mitbauen
helfen und nicht jener
guten thörichten Frau ähnlich sein, von der
Gottfried Keller in seinem
"Grünen Heinrich" sagt:
"Sie hoffte einen großen Mann aus ihrem Sohn
zu machen, indem sie
Strümpfe für ihn strickte."
Die Zeit ist hin, wo die Frau dem Manne zutrauen und der Mann
sich einbilden
durfte, das Wohl der Familie allein in der Hand zu haben,
nachdem jeder,
der sehen will, sich davon hat überzeugen können, daß die
Aufgabe des ganzen Menschengeschlechts nicht von der Hälfte
desselben
gelöst worden ist; und zwar nicht von ihr gelöst worden ist, weil
sie nicht
von ihr gelöst werden konnte.
"Die Stütze des Staats ist die Familie" sagt man, und man sagt es
mit
Recht. Nun denn, wenn man will, daß dieser Staat gesund sei, dann
sorge
man doch dafür, daß diese Stütze des Staats gesund werde, daß man
sie
von der schweren Krankheit befreie, an der noch heute die Gattin,
die
Mutter, die Tochter, der ganze weibliche Teil der Familie leidet: von
dem
Anachronismus der Erziehung. Wie kann man nur glauben, eine Nation
in Blüte zu erhalten, wenn man ihre eine ganze Hälfte täglich und stündlich
zum Tode verurteilt; ich meine das an dieser Hälfte, was in einem zivili
sierten Staate an erster Stelle stehen soll: ihren Geist, ihre Seele! Eine
Nation, welche so wenig Jntelligenz hat, daß sie die Jntelligenz ihrer
einen
ganzen Hälfte systematisch zu Grunde richtet, beweist damit, daß sie
noch
lange nicht intelligent genug ist, um die Jntelligenz dieser einen
ganzen
Hälfte entbehren zu können! So gut die
Familie der Frau bedarf,
so gut bedarf ihrer der ganze Staat, diese Gesamtheit der Familien!
"Aus der
Kraft der Familie erwächst die Kraft des Staats," sagt man.
Nun
wohl, so muß der Staat, der sich selber kräftigen will,
die Familie
kräftigen! Aber man kräftigt die Familie nicht, indem man ihre
Frauen
zu schwachen unmündigen Kindern erzieht.
Wem das noch nie klar geworden, nun, dem wird es wohl überhaupt
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
liche
Meinung. Das sind nur Zukunftsträumereien allerdings! Aber ent
wickelt
sich nicht die Zukunft aus der Gegenwart? Hat nicht eine Gene
ration die
Pflicht, für die andere zu arbeiten? Und sollten wir diese
Pflicht nicht
mit Begeisterung erfüllen, wenn die Generationen, für die
wir arbeiten,
unsere eigenen Kinder und Kindeskinder sind! Keine echte
deutsche Mutter
wird sich dieser Pflicht entziehen wollen, denn sie vermöchte
ja ihre
Teilnahmslosigkeit nicht einmal mit der bekannten Hausfrauenausrede
zu
entschuldigen: „Bedaure sehr, ich habe keine Zeit dazu, ich muß für
meine Kinder sorgen.“ Denn gerade weil sie für
ihre Kinder sorgen muß,
gerade darum muß sie an deren Zukunft mitbauen
helfen und nicht jener
guten thörichten Frau ähnlich sein, von der
Gottfried Keller in seinem
„Grünen Heinrich“ sagt:
„Sie hoffte einen großen Mann aus ihrem Sohn
zu machen, indem sie
Strümpfe für ihn strickte.“
Die Zeit ist hin, wo die Frau dem Manne zutrauen und der Mann
sich einbilden
durfte, das Wohl der Familie allein in der Hand zu haben,
nachdem jeder,
der sehen will, sich davon hat überzeugen können, daß die
Aufgabe des ganzen Menschengeschlechts nicht von der Hälfte
desselben
gelöst worden ist; und zwar nicht von ihr gelöst worden ist, weil
sie nicht
von ihr gelöst werden konnte.
„Die Stütze des Staats ist die Familie“ sagt man, und man sagt es
mit
Recht. Nun denn, wenn man will, daß dieser Staat gesund sei, dann
sorge
man doch dafür, daß diese Stütze des Staats gesund werde, daß man
sie
von der schweren Krankheit befreie, an der noch heute die Gattin,
die
Mutter, die Tochter, der ganze weibliche Teil der Familie leidet: von
dem
Anachronismus der Erziehung. Wie kann man nur glauben, eine Nation
in Blüte zu erhalten, wenn man ihre eine ganze Hälfte täglich und stündlich
zum Tode verurteilt; ich meine das an dieser Hälfte, was in einem zivili
sierten Staate an erster Stelle stehen soll: ihren Geist, ihre Seele! Eine
Nation, welche so wenig Jntelligenz hat, daß sie die Jntelligenz ihrer
einen
ganzen Hälfte systematisch zu Grunde richtet, beweist damit, daß sie
noch
lange nicht intelligent genug ist, um die Jntelligenz dieser einen
ganzen
Hälfte entbehren zu können! So gut die
Familie der Frau bedarf,
so gut bedarf ihrer der ganze Staat, diese Gesamtheit der Familien!
„Aus der
Kraft der Familie erwächst die Kraft des Staats,“ sagt man.
Nun
wohl, so muß der Staat, der sich selber kräftigen will,
die Familie
kräftigen! Aber man kräftigt die Familie nicht, indem man ihre
Frauen
zu schwachen unmündigen Kindern erzieht.
Wem das noch nie klar geworden, nun, dem wird es wohl überhaupt
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Keine echte deutsche Mutter wird sich dieser Pflicht entziehen wollen, denn sie vermöchte ja ihre Teilnahmslosigkeit nicht einmal mit der bekannten Hausfrauenausrede zu entschuldigen: „Bedaure sehr, ich habe keine Zeit dazu, ich muß für meine Kinder sorgen.“ Denn gerade weil sie für ihre Kinder sorgen muß, gerade darum muß sie an deren Zukunft mitbauen helfen und nicht jener guten thörichten Frau ähnlich sein, von der Gottfried Keller in seinem „Grünen Heinrich“ sagt: „Sie hoffte einen großen Mann aus ihrem Sohn zu machen, indem sie Strümpfe für ihn strickte.“ Die Zeit ist hin, wo die Frau dem Manne zutrauen und der Mann sich einbilden durfte, das Wohl der Familie allein in der Hand zu haben, nachdem jeder, der sehen will, sich davon hat überzeugen können, daß die Aufgabe des ganzen Menschengeschlechts nicht von der Hälfte desselben gelöst worden ist; und zwar nicht von ihr gelöst worden ist, weil sie nicht von ihr gelöst werden konnte. „Die Stütze des Staats ist die Familie“ sagt man, und man sagt es mit Recht. Nun denn, wenn man will, daß dieser Staat gesund sei, dann sorge man doch dafür, daß diese Stütze des Staats gesund werde, daß man sie von der schweren Krankheit befreie, an der noch heute die Gattin, die Mutter, die Tochter, der ganze weibliche Teil der Familie leidet: von dem Anachronismus der Erziehung. Wie kann man nur glauben, eine Nation in Blüte zu erhalten, wenn man ihre eine ganze Hälfte täglich und stündlich zum Tode verurteilt; ich meine das an dieser Hälfte, was in einem zivili sierten Staate an erster Stelle stehen soll: ihren Geist, ihre Seele! Eine Nation, welche so wenig Jntelligenz hat, daß sie die Jntelligenz ihrer einen ganzen Hälfte systematisch zu Grunde richtet, beweist damit, daß sie noch lange nicht intelligent genug ist, um die Jntelligenz dieser einen ganzen Hälfte entbehren zu können! So gut die Familie der Frau bedarf, so gut bedarf ihrer der ganze Staat, diese Gesamtheit der Familien! „Aus der Kraft der Familie erwächst die Kraft des Staats,“ sagt man. Nun wohl, so muß der Staat, der sich selber kräftigen will, die Familie kräftigen! Aber man kräftigt die Familie nicht, indem man ihre Frauen zu schwachen unmündigen Kindern erzieht. Wem das noch nie klar geworden, nun, dem wird es wohl überhaupt
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und JLU Gießen: Bereitstellung der
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(2022-02-08T18:24:57Z)
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