von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].Noch war sie jedem Nerv, jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis. Aber schon der Gedanke, daß das anders kommen könnte, nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen. Günther lebte in dem grauen, herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben, das ihm selbst zuwider war. Allein, was sollte er mit einem Leben anfangen, in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte? Er spielte und trank. Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile. Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel. Er liebte sie, wie wir unsere Sünde lieben, und es kränkte ihn, daß sie ruhig, stark, harmonisch sein wollte. Krank am Leben, wie er, sollte sie sein. Sie sollte sich für ihn verderben, wie er sich für sie verdarb. "Ich weiß nicht," sagte er eines Nachmittags, als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute, "zuweilen ist's bei dir so - so -" "Sag's nur," meinte Mareile und lächelte. Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün, mit großen, fliederfarbenen Mohnblüten gemustert, stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage. Günther suchte nach dem rechten Wort. "Wie - wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe." Er wollte Mareile ärgern, aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte: "Du Armer!" Das machte Günther weich. "Ach, wollen wir fortgehen - irgendwohin, wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist." Mareile schüttelte den Kopf. "Warum?" fragte er böse. "Weil ich arbeiten muß," meinte sie. Noch war sie jedem Nerv, jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis. Aber schon der Gedanke, daß das anders kommen könnte, nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen. Günther lebte in dem grauen, herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben, das ihm selbst zuwider war. Allein, was sollte er mit einem Leben anfangen, in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte? Er spielte und trank. Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile. Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel. Er liebte sie, wie wir unsere Sünde lieben, und es kränkte ihn, daß sie ruhig, stark, harmonisch sein wollte. Krank am Leben, wie er, sollte sie sein. Sie sollte sich für ihn verderben, wie er sich für sie verdarb. „Ich weiß nicht,“ sagte er eines Nachmittags, als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute, „zuweilen ist’s bei dir so – so –“ „Sag’s nur,“ meinte Mareile und lächelte. Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün, mit großen, fliederfarbenen Mohnblüten gemustert, stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage. Günther suchte nach dem rechten Wort. „Wie – wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe.“ Er wollte Mareile ärgern, aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte: „Du Armer!“ Das machte Günther weich. „Ach, wollen wir fortgehen – irgendwohin, wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist.“ Mareile schüttelte den Kopf. „Warum?“ fragte er böse. „Weil ich arbeiten muß,“ meinte sie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="128"/> Noch war sie jedem Nerv, jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis. Aber schon der Gedanke, daß das anders kommen könnte, nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen.</p> <p>Günther lebte in dem grauen, herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben, das ihm selbst zuwider war. Allein, was sollte er mit einem Leben anfangen, in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte? Er spielte und trank. Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile. Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel. Er liebte sie, wie wir unsere Sünde lieben, und es kränkte ihn, daß sie ruhig, stark, harmonisch sein wollte. Krank am Leben, wie er, sollte sie sein. Sie sollte sich für ihn verderben, wie er sich für sie verdarb.</p> <p>„Ich weiß nicht,“ sagte er eines Nachmittags, als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute, „zuweilen ist’s bei dir so – so –“</p> <p>„Sag’s nur,“ meinte Mareile und lächelte. Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün, mit großen, fliederfarbenen Mohnblüten gemustert, stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage. Günther suchte nach dem rechten Wort. „Wie – wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe.“ Er wollte Mareile ärgern, aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte: „Du Armer!“ Das machte Günther weich.</p> <p>„Ach, wollen wir fortgehen – irgendwohin, wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist.“</p> <p>Mareile schüttelte den Kopf.</p> <p>„Warum?“ fragte er böse.</p> <p>„Weil ich arbeiten muß,“ meinte sie.</p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0130]
Noch war sie jedem Nerv, jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis. Aber schon der Gedanke, daß das anders kommen könnte, nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen.
Günther lebte in dem grauen, herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben, das ihm selbst zuwider war. Allein, was sollte er mit einem Leben anfangen, in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte? Er spielte und trank. Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile. Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel. Er liebte sie, wie wir unsere Sünde lieben, und es kränkte ihn, daß sie ruhig, stark, harmonisch sein wollte. Krank am Leben, wie er, sollte sie sein. Sie sollte sich für ihn verderben, wie er sich für sie verdarb.
„Ich weiß nicht,“ sagte er eines Nachmittags, als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute, „zuweilen ist’s bei dir so – so –“
„Sag’s nur,“ meinte Mareile und lächelte. Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün, mit großen, fliederfarbenen Mohnblüten gemustert, stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage. Günther suchte nach dem rechten Wort. „Wie – wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe.“ Er wollte Mareile ärgern, aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte: „Du Armer!“ Das machte Günther weich.
„Ach, wollen wir fortgehen – irgendwohin, wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist.“
Mareile schüttelte den Kopf.
„Warum?“ fragte er böse.
„Weil ich arbeiten muß,“ meinte sie.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeEduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr] Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |