Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ah, unsere Nachtigall singt wieder," meinte die Baronin freundlich.

"Du, Peter," sagte Günther, "öffne die Türe und verschwinde, deine Gestalt stört jetzt."

"Ich weiß ja," meinte Peter.

Lange hielt es Günther jedoch nicht aus, stille dazuliegen, er mußte dem neuen Ereignisse näher sein. Er eilte in den Musiksaal, streckte sich in einem Sessel aus, schloß die Augen, hörte zu. Das war gut. Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen. Aber was sang sie denn? War das nicht Isoldens Liebestod? Es klang jedoch fremd. Das Dämmerige, die süße Tiefe dieser Klage, in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen, das fehlte. Diese Musik war eine scharfe, klare, fast böse Leidenschaft. "Seltsam," dachte Günther, "wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne. Ja, gerade so! Was hat die Frau nur, um das so zu singen?" Er schaute sie an. Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges. Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor, wie Widerschein von Gold lag es auf ihm. Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln. In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-junges, lag etwas, das zum Volk gehörte, an Arbeit denken ließ.

Mareile sang:

"Wie sie schwellen,
Mich umrauschen,
Soll ich atmen?
Soll ich lauschen?

„Ah, unsere Nachtigall singt wieder,“ meinte die Baronin freundlich.

„Du, Peter,“ sagte Günther, „öffne die Türe und verschwinde, deine Gestalt stört jetzt.“

„Ich weiß ja,“ meinte Peter.

Lange hielt es Günther jedoch nicht aus, stille dazuliegen, er mußte dem neuen Ereignisse näher sein. Er eilte in den Musiksaal, streckte sich in einem Sessel aus, schloß die Augen, hörte zu. Das war gut. Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen. Aber was sang sie denn? War das nicht Isoldens Liebestod? Es klang jedoch fremd. Das Dämmerige, die süße Tiefe dieser Klage, in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen, das fehlte. Diese Musik war eine scharfe, klare, fast böse Leidenschaft. „Seltsam,“ dachte Günther, „wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne. Ja, gerade so! Was hat die Frau nur, um das so zu singen?“ Er schaute sie an. Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges. Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor, wie Widerschein von Gold lag es auf ihm. Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln. In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-junges, lag etwas, das zum Volk gehörte, an Arbeit denken ließ.

Mareile sang:

„Wie sie schwellen,
Mich umrauschen,
Soll ich atmen?
Soll ich lauschen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="78"/>
        <p>&#x201E;Ah, unsere Nachtigall singt wieder,&#x201C; meinte die Baronin freundlich.</p>
        <p>&#x201E;Du, Peter,&#x201C; sagte Günther, &#x201E;öffne die Türe und verschwinde, deine Gestalt stört jetzt.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ich weiß ja,&#x201C; meinte Peter.</p>
        <p>Lange hielt es Günther jedoch nicht aus, stille dazuliegen, er mußte dem neuen Ereignisse näher sein. Er eilte in den Musiksaal, streckte sich in einem Sessel aus, schloß die Augen, hörte zu. Das war gut. Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen. Aber was sang sie denn? War das nicht Isoldens Liebestod? Es klang jedoch fremd. Das Dämmerige, die süße Tiefe dieser Klage, in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen, das fehlte. Diese Musik war eine scharfe, klare, fast böse Leidenschaft. &#x201E;Seltsam,&#x201C; dachte Günther, &#x201E;wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne. Ja, gerade so! Was hat die Frau nur, um das so zu singen?&#x201C; Er schaute sie an. Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges. Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor, wie Widerschein von Gold lag es auf ihm. Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln. In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-junges, lag etwas, das zum Volk gehörte, an Arbeit denken ließ.</p>
        <p>Mareile sang:</p>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Wie sie schwellen,</l><lb/>
          <l>Mich umrauschen,</l><lb/>
          <l>Soll ich atmen?</l><lb/>
          <l>Soll ich lauschen?</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0080] „Ah, unsere Nachtigall singt wieder,“ meinte die Baronin freundlich. „Du, Peter,“ sagte Günther, „öffne die Türe und verschwinde, deine Gestalt stört jetzt.“ „Ich weiß ja,“ meinte Peter. Lange hielt es Günther jedoch nicht aus, stille dazuliegen, er mußte dem neuen Ereignisse näher sein. Er eilte in den Musiksaal, streckte sich in einem Sessel aus, schloß die Augen, hörte zu. Das war gut. Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen. Aber was sang sie denn? War das nicht Isoldens Liebestod? Es klang jedoch fremd. Das Dämmerige, die süße Tiefe dieser Klage, in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen, das fehlte. Diese Musik war eine scharfe, klare, fast böse Leidenschaft. „Seltsam,“ dachte Günther, „wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne. Ja, gerade so! Was hat die Frau nur, um das so zu singen?“ Er schaute sie an. Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges. Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor, wie Widerschein von Gold lag es auf ihm. Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln. In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-junges, lag etwas, das zum Volk gehörte, an Arbeit denken ließ. Mareile sang: „Wie sie schwellen, Mich umrauschen, Soll ich atmen? Soll ich lauschen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Eduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr]

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/80
Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/80>, abgerufen am 18.05.2024.