von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].Mareile sah auf. Sie war selbst erstaunt über den ruhig überlegten Ton, mit dem sie sagte: "O nein! Ich fürchte mich nicht." "Wollen Sie mit mir heute reiten?" Günther beugte den Kopf, um Mareile unter den Hut zu sehen. "Sie wollen nicht? Sehn Sie ..." "Doch, warum nicht?" erwiderte Mareile und lächelte; sie zwang sich zu diesem Lächeln, denn ihre schöne Sicherheit war fort. Günther aber triumphierte. Er schwenkte seinen Hut, rief: "Haio! dann ist ja alles gut!" Um drei Uhr ritten sie aus. Die Sonne stach durch leichte, graue Wolken. Es war windstill und schwül. Unter den Hufen der Pferde erhoben sich Staubwolken. Grane, von Fliegen belästigt, war unruhig, Mareile mußte achtgeben. Günther gab ihr kurze Verhaltungsmaßregeln: "Wenn sie ausfällt, die Peitsche." - "Gut im Zügel halten." Mareile war niedergeschlagen. Alles schien ihr bedrückend und feindlich: der heiße Staub, die großen Schnaken, das Schrillen der Feldgrillen. Sie wollte hübsche Gedanken denken, aber diese ließen sich nicht rufen. Eines nur lebte in ihr, niedrig, staubig, wie die Wegwarte am Feldrain, eines nur, ein freudloses, bohrendes, dumpfes Verlangen, von Günther genommen zu werden - nur das ... Sie schaute zu Günther hinüber. Sein Gesicht trug einen müden, gequälten Ausdruck. "Wir sind alle traurig," dachte Mareile, "der Wald und Günther und Grane und ich." Als sie einen Abhang hinabritten, spürten sie den kühlen Hauch des nahen Sees. Da lag er vor ihnen, schwarz und regungslos, eine stumme Trauer. Mareile sah auf. Sie war selbst erstaunt über den ruhig überlegten Ton, mit dem sie sagte: „O nein! Ich fürchte mich nicht.“ „Wollen Sie mit mir heute reiten?“ Günther beugte den Kopf, um Mareile unter den Hut zu sehen. „Sie wollen nicht? Sehn Sie …“ „Doch, warum nicht?“ erwiderte Mareile und lächelte; sie zwang sich zu diesem Lächeln, denn ihre schöne Sicherheit war fort. Günther aber triumphierte. Er schwenkte seinen Hut, rief: „Haio! dann ist ja alles gut!“ Um drei Uhr ritten sie aus. Die Sonne stach durch leichte, graue Wolken. Es war windstill und schwül. Unter den Hufen der Pferde erhoben sich Staubwolken. Grane, von Fliegen belästigt, war unruhig, Mareile mußte achtgeben. Günther gab ihr kurze Verhaltungsmaßregeln: „Wenn sie ausfällt, die Peitsche.“ – „Gut im Zügel halten.“ Mareile war niedergeschlagen. Alles schien ihr bedrückend und feindlich: der heiße Staub, die großen Schnaken, das Schrillen der Feldgrillen. Sie wollte hübsche Gedanken denken, aber diese ließen sich nicht rufen. Eines nur lebte in ihr, niedrig, staubig, wie die Wegwarte am Feldrain, eines nur, ein freudloses, bohrendes, dumpfes Verlangen, von Günther genommen zu werden – nur das … Sie schaute zu Günther hinüber. Sein Gesicht trug einen müden, gequälten Ausdruck. „Wir sind alle traurig,“ dachte Mareile, „der Wald und Günther und Grane und ich.“ Als sie einen Abhang hinabritten, spürten sie den kühlen Hauch des nahen Sees. Da lag er vor ihnen, schwarz und regungslos, eine stumme Trauer. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0099" n="97"/> <p>Mareile sah auf. Sie war selbst erstaunt über den ruhig überlegten Ton, mit dem sie sagte:</p> <p>„O nein! Ich fürchte mich nicht.“</p> <p>„Wollen Sie mit mir heute reiten?“ Günther beugte den Kopf, um Mareile unter den Hut zu sehen. „Sie wollen nicht? Sehn Sie …“</p> <p>„Doch, warum nicht?“ erwiderte Mareile und lächelte; sie zwang sich zu diesem Lächeln, denn ihre schöne Sicherheit war fort. Günther aber triumphierte. Er schwenkte seinen Hut, rief: „Haio! dann ist ja alles gut!“</p> <p>Um drei Uhr ritten sie aus. Die Sonne stach durch leichte, graue Wolken. Es war windstill und schwül. Unter den Hufen der Pferde erhoben sich Staubwolken. Grane, von Fliegen belästigt, war unruhig, Mareile mußte achtgeben. Günther gab ihr kurze Verhaltungsmaßregeln: „Wenn sie ausfällt, die Peitsche.“ – „Gut im Zügel halten.“ Mareile war niedergeschlagen. Alles schien ihr bedrückend und feindlich: der heiße Staub, die großen Schnaken, das Schrillen der Feldgrillen. Sie wollte hübsche Gedanken denken, aber diese ließen sich nicht rufen. Eines nur lebte in ihr, niedrig, staubig, wie die Wegwarte am Feldrain, eines nur, ein freudloses, bohrendes, dumpfes Verlangen, von Günther genommen zu werden – nur das … Sie schaute zu Günther hinüber. Sein Gesicht trug einen müden, gequälten Ausdruck. „Wir sind alle traurig,“ dachte Mareile, „der Wald und Günther und Grane und ich.“</p> <p>Als sie einen Abhang hinabritten, spürten sie den kühlen Hauch des nahen Sees. Da lag er vor ihnen, schwarz und regungslos, eine stumme Trauer.</p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0099]
Mareile sah auf. Sie war selbst erstaunt über den ruhig überlegten Ton, mit dem sie sagte:
„O nein! Ich fürchte mich nicht.“
„Wollen Sie mit mir heute reiten?“ Günther beugte den Kopf, um Mareile unter den Hut zu sehen. „Sie wollen nicht? Sehn Sie …“
„Doch, warum nicht?“ erwiderte Mareile und lächelte; sie zwang sich zu diesem Lächeln, denn ihre schöne Sicherheit war fort. Günther aber triumphierte. Er schwenkte seinen Hut, rief: „Haio! dann ist ja alles gut!“
Um drei Uhr ritten sie aus. Die Sonne stach durch leichte, graue Wolken. Es war windstill und schwül. Unter den Hufen der Pferde erhoben sich Staubwolken. Grane, von Fliegen belästigt, war unruhig, Mareile mußte achtgeben. Günther gab ihr kurze Verhaltungsmaßregeln: „Wenn sie ausfällt, die Peitsche.“ – „Gut im Zügel halten.“ Mareile war niedergeschlagen. Alles schien ihr bedrückend und feindlich: der heiße Staub, die großen Schnaken, das Schrillen der Feldgrillen. Sie wollte hübsche Gedanken denken, aber diese ließen sich nicht rufen. Eines nur lebte in ihr, niedrig, staubig, wie die Wegwarte am Feldrain, eines nur, ein freudloses, bohrendes, dumpfes Verlangen, von Günther genommen zu werden – nur das … Sie schaute zu Günther hinüber. Sein Gesicht trug einen müden, gequälten Ausdruck. „Wir sind alle traurig,“ dachte Mareile, „der Wald und Günther und Grane und ich.“
Als sie einen Abhang hinabritten, spürten sie den kühlen Hauch des nahen Sees. Da lag er vor ihnen, schwarz und regungslos, eine stumme Trauer.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeEduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr] Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |