Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ein rheinisches Dorf ihm folgen könne. Eine zierlich gestochene Karte meldete ihm endlich Adelaidens Verlobung: als er immer und immer eine Erklärung zurückhielt, hatte sie endlich in halbem Verdruß den Antrag eines Wittwers aus Schlesien angenommen, der in ihr nicht eine Frau, sondern eine städtisch gebildete Gouvernante für seine Töchter heirathete. Aus dieser Gleichgültigkeit, die Nikola's Jugendmuth langsam untergrub, riß ihn denn im Herbst seines ersten Dienstjahres ein starkes Briefpacket von seinem Dorfe heraus. Der alte Schultheiß, sein Vater, war gestorben: ihm fiel ein schuldenfreier großer Landbesitz zu, und seine Gegenwart daheim wurde jetzt, wo er gleich für die Bestellung seines Erbgutes sorgen mußte, ganz unerläßlich. Die Bescheinigungen von Seiten der Behörden lagen gleich bei dem Briefe, und in zwei Tagen hatte er seinen Urlaub, der einer völligen Dienstentlassung gleich stand. Seinen Unteroffizieren und dem modischen Pöbel, mit dem er anfangs zusammengekommen war, gönnte er noch an einem Abende die Freude, für sein Geld in Rheinwein sich zu baden; an Adelaidens Wohnung gab er, da er sie selbst nicht zu Hause fand, sehr ruhig eine Abschiedskarte ab, und warf dann die Visitenkarten (selbst diese Mode hatte er mitgemacht) von der Königsbrücke in die Spree, sammt dem gestickten Täschchen, das er irgendwo als Vielliebchen geschenkt bekommen hatte; mit ihm schwamm sein ganzer städtischer Modetraum auf der schwarzen ein rheinisches Dorf ihm folgen könne. Eine zierlich gestochene Karte meldete ihm endlich Adelaidens Verlobung: als er immer und immer eine Erklärung zurückhielt, hatte sie endlich in halbem Verdruß den Antrag eines Wittwers aus Schlesien angenommen, der in ihr nicht eine Frau, sondern eine städtisch gebildete Gouvernante für seine Töchter heirathete. Aus dieser Gleichgültigkeit, die Nikola's Jugendmuth langsam untergrub, riß ihn denn im Herbst seines ersten Dienstjahres ein starkes Briefpacket von seinem Dorfe heraus. Der alte Schultheiß, sein Vater, war gestorben: ihm fiel ein schuldenfreier großer Landbesitz zu, und seine Gegenwart daheim wurde jetzt, wo er gleich für die Bestellung seines Erbgutes sorgen mußte, ganz unerläßlich. Die Bescheinigungen von Seiten der Behörden lagen gleich bei dem Briefe, und in zwei Tagen hatte er seinen Urlaub, der einer völligen Dienstentlassung gleich stand. Seinen Unteroffizieren und dem modischen Pöbel, mit dem er anfangs zusammengekommen war, gönnte er noch an einem Abende die Freude, für sein Geld in Rheinwein sich zu baden; an Adelaidens Wohnung gab er, da er sie selbst nicht zu Hause fand, sehr ruhig eine Abschiedskarte ab, und warf dann die Visitenkarten (selbst diese Mode hatte er mitgemacht) von der Königsbrücke in die Spree, sammt dem gestickten Täschchen, das er irgendwo als Vielliebchen geschenkt bekommen hatte; mit ihm schwamm sein ganzer städtischer Modetraum auf der schwarzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046"/> ein rheinisches Dorf ihm folgen könne. Eine zierlich gestochene Karte meldete ihm endlich Adelaidens Verlobung: als er immer und immer eine Erklärung zurückhielt, hatte sie endlich in halbem Verdruß den Antrag eines Wittwers aus Schlesien angenommen, der in ihr nicht eine Frau, sondern eine städtisch gebildete Gouvernante für seine Töchter heirathete.</p><lb/> <p>Aus dieser Gleichgültigkeit, die Nikola's Jugendmuth langsam untergrub, riß ihn denn im Herbst seines ersten Dienstjahres ein starkes Briefpacket von seinem Dorfe heraus. Der alte Schultheiß, sein Vater, war gestorben: ihm fiel ein schuldenfreier großer Landbesitz zu, und seine Gegenwart daheim wurde jetzt, wo er gleich für die Bestellung seines Erbgutes sorgen mußte, ganz unerläßlich. Die Bescheinigungen von Seiten der Behörden lagen gleich bei dem Briefe, und in zwei Tagen hatte er seinen Urlaub, der einer völligen Dienstentlassung gleich stand. Seinen Unteroffizieren und dem modischen Pöbel, mit dem er anfangs zusammengekommen war, gönnte er noch an einem Abende die Freude, für sein Geld in Rheinwein sich zu baden; an Adelaidens Wohnung gab er, da er sie selbst nicht zu Hause fand, sehr ruhig eine Abschiedskarte ab, und warf dann die Visitenkarten (selbst diese Mode hatte er mitgemacht) von der Königsbrücke in die Spree, sammt dem gestickten Täschchen, das er irgendwo als Vielliebchen geschenkt bekommen hatte; mit ihm schwamm sein ganzer städtischer Modetraum auf der schwarzen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
ein rheinisches Dorf ihm folgen könne. Eine zierlich gestochene Karte meldete ihm endlich Adelaidens Verlobung: als er immer und immer eine Erklärung zurückhielt, hatte sie endlich in halbem Verdruß den Antrag eines Wittwers aus Schlesien angenommen, der in ihr nicht eine Frau, sondern eine städtisch gebildete Gouvernante für seine Töchter heirathete.
Aus dieser Gleichgültigkeit, die Nikola's Jugendmuth langsam untergrub, riß ihn denn im Herbst seines ersten Dienstjahres ein starkes Briefpacket von seinem Dorfe heraus. Der alte Schultheiß, sein Vater, war gestorben: ihm fiel ein schuldenfreier großer Landbesitz zu, und seine Gegenwart daheim wurde jetzt, wo er gleich für die Bestellung seines Erbgutes sorgen mußte, ganz unerläßlich. Die Bescheinigungen von Seiten der Behörden lagen gleich bei dem Briefe, und in zwei Tagen hatte er seinen Urlaub, der einer völligen Dienstentlassung gleich stand. Seinen Unteroffizieren und dem modischen Pöbel, mit dem er anfangs zusammengekommen war, gönnte er noch an einem Abende die Freude, für sein Geld in Rheinwein sich zu baden; an Adelaidens Wohnung gab er, da er sie selbst nicht zu Hause fand, sehr ruhig eine Abschiedskarte ab, und warf dann die Visitenkarten (selbst diese Mode hatte er mitgemacht) von der Königsbrücke in die Spree, sammt dem gestickten Täschchen, das er irgendwo als Vielliebchen geschenkt bekommen hatte; mit ihm schwamm sein ganzer städtischer Modetraum auf der schwarzen
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