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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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daran, daß ihm das rettende Heilmittel fehlt. Und nun haltet mich nicht mehr; ich gehe.

Sie nahm eine Laterne vom Wandbrett, weil der Mond erst spät aufging, schlug eine Decke um Schultern und Brust und band sie, damit die Arme frei blieben, auf den Rücken zusammen. Dann nahm sie das Kind aus dem Bettchen - ach, sie wußte ja nicht, ob sie es lebend wiederfand! - küßte es und übergab es der Obhut der alten Frau, die gleich wieder mit kalten Umschlägen anzufangen versprach.

So trat Margret vor die Thüre auf den Hof hinaus. Ein leiser Schauder sträubte ihr Haar, als sie zuerst in die furchtbar kalte Sturmnacht hinausblickte. In der Ecke des Hofes sah sie eine große Holzaxt stehen; die ergriff sie, um eine Stütze und zugleich für alle möglichen Fälle eine Waffe zu haben. Am Mühlbach verließ sie den Fahrweg durchs Thal, weil sie ihn vom verwehten Schnee ungangbar wußte, und stieg durch den sausenden Forst auf dem kleinen nähern Fußweg empor. Erst schlug ihr Herz hörbar; aber an alles Grausen gewöhnt sich der Mensch, und oben auf der Bergesplatte angelangt, wo der Weg, von Gebüsch nicht mehr so eng umschlossen, ebener und breiter hinlief, schritt sie zwar langsam und in schwerem Kampfe gegen den Sturm, aber mit muthvoller Seele vorwärts. Der gefrorne Schnee, vom Winde aus allen Sträuchern und kleinen Schluchten aufgefegt, rieselte

daran, daß ihm das rettende Heilmittel fehlt. Und nun haltet mich nicht mehr; ich gehe.

Sie nahm eine Laterne vom Wandbrett, weil der Mond erst spät aufging, schlug eine Decke um Schultern und Brust und band sie, damit die Arme frei blieben, auf den Rücken zusammen. Dann nahm sie das Kind aus dem Bettchen – ach, sie wußte ja nicht, ob sie es lebend wiederfand! – küßte es und übergab es der Obhut der alten Frau, die gleich wieder mit kalten Umschlägen anzufangen versprach.

So trat Margret vor die Thüre auf den Hof hinaus. Ein leiser Schauder sträubte ihr Haar, als sie zuerst in die furchtbar kalte Sturmnacht hinausblickte. In der Ecke des Hofes sah sie eine große Holzaxt stehen; die ergriff sie, um eine Stütze und zugleich für alle möglichen Fälle eine Waffe zu haben. Am Mühlbach verließ sie den Fahrweg durchs Thal, weil sie ihn vom verwehten Schnee ungangbar wußte, und stieg durch den sausenden Forst auf dem kleinen nähern Fußweg empor. Erst schlug ihr Herz hörbar; aber an alles Grausen gewöhnt sich der Mensch, und oben auf der Bergesplatte angelangt, wo der Weg, von Gebüsch nicht mehr so eng umschlossen, ebener und breiter hinlief, schritt sie zwar langsam und in schwerem Kampfe gegen den Sturm, aber mit muthvoller Seele vorwärts. Der gefrorne Schnee, vom Winde aus allen Sträuchern und kleinen Schluchten aufgefegt, rieselte

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[0055] daran, daß ihm das rettende Heilmittel fehlt. Und nun haltet mich nicht mehr; ich gehe. Sie nahm eine Laterne vom Wandbrett, weil der Mond erst spät aufging, schlug eine Decke um Schultern und Brust und band sie, damit die Arme frei blieben, auf den Rücken zusammen. Dann nahm sie das Kind aus dem Bettchen – ach, sie wußte ja nicht, ob sie es lebend wiederfand! – küßte es und übergab es der Obhut der alten Frau, die gleich wieder mit kalten Umschlägen anzufangen versprach. So trat Margret vor die Thüre auf den Hof hinaus. Ein leiser Schauder sträubte ihr Haar, als sie zuerst in die furchtbar kalte Sturmnacht hinausblickte. In der Ecke des Hofes sah sie eine große Holzaxt stehen; die ergriff sie, um eine Stütze und zugleich für alle möglichen Fälle eine Waffe zu haben. Am Mühlbach verließ sie den Fahrweg durchs Thal, weil sie ihn vom verwehten Schnee ungangbar wußte, und stieg durch den sausenden Forst auf dem kleinen nähern Fußweg empor. Erst schlug ihr Herz hörbar; aber an alles Grausen gewöhnt sich der Mensch, und oben auf der Bergesplatte angelangt, wo der Weg, von Gebüsch nicht mehr so eng umschlossen, ebener und breiter hinlief, schritt sie zwar langsam und in schwerem Kampfe gegen den Sturm, aber mit muthvoller Seele vorwärts. Der gefrorne Schnee, vom Winde aus allen Sträuchern und kleinen Schluchten aufgefegt, rieselte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/55>, abgerufen am 23.11.2024.