Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Im selben Augenblick war sie auf dem Wege zu ihm. Da sie einige Personen um seinen Theetisch versammelt fand, beschloß sie diesmal recht an sich zu halten und die Stimmung der Anderen gegen sie genau zu beobachten.

Da ließ sich denn nicht abläugnen, daß Einige mit spöttischem Lächeln einander ansahen, wenn ihr Blick schüchtern den Geliebten gesucht und wieder geflohen hatte; daß Andere sie zwar fein, aber dennoch verletzend aufzogen; daß die junge Gräfin sich mühsam bezwang, um ihre Antipathie gegen eine Persönlichkeit im Zaume zu halten, die ihren Platz im Vaterherzen zu verengen schien; und daß -- dies war das Bitterste -- er mehr auf seiner Hut war, nicht lächerlich zu erscheinen, als sie zu kränken. Und sie war tief gekränkt, daß er nicht mehr so hingerissen, so rücksichtslos sich zeigte, wie an den ersten unvergeßlichen Abenden in Waldheim.

Mit jeder Zusammenkunft ward der Riß tiefer; denn Ida verlor ihre Lebhaftigkeit und erschien in der Gesellschaft stumpf und unmuthig. Ihre Gegenwart wurde mehr ein Druck als eine Aufheiterung für den Grafen. Daheim weinte sie unaufhaltsame Thränenströme ihrem schönen Traume nach, der sich nicht mehr neu gestalten wollte. Dann verzweifelte sie an Selvar's Liebe; dann hoffte sie die alten Zauberformeln wiederzufinden, die sie frisch entfachen sollten. Hatte sie geschworen, ihn nicht wieder zu sehen, so ward sie des Lebens überdrüssig, und sie folgte bald wieder dem

Im selben Augenblick war sie auf dem Wege zu ihm. Da sie einige Personen um seinen Theetisch versammelt fand, beschloß sie diesmal recht an sich zu halten und die Stimmung der Anderen gegen sie genau zu beobachten.

Da ließ sich denn nicht abläugnen, daß Einige mit spöttischem Lächeln einander ansahen, wenn ihr Blick schüchtern den Geliebten gesucht und wieder geflohen hatte; daß Andere sie zwar fein, aber dennoch verletzend aufzogen; daß die junge Gräfin sich mühsam bezwang, um ihre Antipathie gegen eine Persönlichkeit im Zaume zu halten, die ihren Platz im Vaterherzen zu verengen schien; und daß — dies war das Bitterste — er mehr auf seiner Hut war, nicht lächerlich zu erscheinen, als sie zu kränken. Und sie war tief gekränkt, daß er nicht mehr so hingerissen, so rücksichtslos sich zeigte, wie an den ersten unvergeßlichen Abenden in Waldheim.

Mit jeder Zusammenkunft ward der Riß tiefer; denn Ida verlor ihre Lebhaftigkeit und erschien in der Gesellschaft stumpf und unmuthig. Ihre Gegenwart wurde mehr ein Druck als eine Aufheiterung für den Grafen. Daheim weinte sie unaufhaltsame Thränenströme ihrem schönen Traume nach, der sich nicht mehr neu gestalten wollte. Dann verzweifelte sie an Selvar's Liebe; dann hoffte sie die alten Zauberformeln wiederzufinden, die sie frisch entfachen sollten. Hatte sie geschworen, ihn nicht wieder zu sehen, so ward sie des Lebens überdrüssig, und sie folgte bald wieder dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0036"/>
        <p>Im selben Augenblick war sie auf dem Wege zu ihm. Da sie einige Personen um seinen Theetisch      versammelt fand, beschloß sie diesmal recht an sich zu halten und die Stimmung der Anderen      gegen sie genau zu beobachten.</p><lb/>
        <p>Da ließ sich denn nicht abläugnen, daß Einige mit spöttischem Lächeln einander ansahen, wenn      ihr Blick schüchtern den Geliebten gesucht und wieder geflohen hatte; daß Andere sie zwar fein,      aber dennoch verletzend aufzogen; daß die junge Gräfin sich mühsam bezwang, um ihre Antipathie      gegen eine Persönlichkeit im Zaume zu halten, die ihren Platz im Vaterherzen zu verengen      schien; und daß &#x2014; dies war das Bitterste &#x2014; er mehr auf seiner Hut war, nicht lächerlich zu      erscheinen, als sie zu kränken. Und sie war tief gekränkt, daß er nicht mehr so hingerissen, so      rücksichtslos sich zeigte, wie an den ersten unvergeßlichen Abenden in Waldheim.</p><lb/>
        <p>Mit jeder Zusammenkunft ward der Riß tiefer; denn Ida verlor ihre Lebhaftigkeit und erschien      in der Gesellschaft stumpf und unmuthig. Ihre Gegenwart wurde mehr ein Druck als eine      Aufheiterung für den Grafen. Daheim weinte sie unaufhaltsame Thränenströme ihrem schönen Traume      nach, der sich nicht mehr neu gestalten wollte. Dann verzweifelte sie an Selvar's Liebe; dann      hoffte sie die alten Zauberformeln wiederzufinden, die sie frisch entfachen sollten. Hatte sie      geschworen, ihn nicht wieder zu sehen, so ward sie des Lebens überdrüssig, und sie folgte bald      wieder dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] Im selben Augenblick war sie auf dem Wege zu ihm. Da sie einige Personen um seinen Theetisch versammelt fand, beschloß sie diesmal recht an sich zu halten und die Stimmung der Anderen gegen sie genau zu beobachten. Da ließ sich denn nicht abläugnen, daß Einige mit spöttischem Lächeln einander ansahen, wenn ihr Blick schüchtern den Geliebten gesucht und wieder geflohen hatte; daß Andere sie zwar fein, aber dennoch verletzend aufzogen; daß die junge Gräfin sich mühsam bezwang, um ihre Antipathie gegen eine Persönlichkeit im Zaume zu halten, die ihren Platz im Vaterherzen zu verengen schien; und daß — dies war das Bitterste — er mehr auf seiner Hut war, nicht lächerlich zu erscheinen, als sie zu kränken. Und sie war tief gekränkt, daß er nicht mehr so hingerissen, so rücksichtslos sich zeigte, wie an den ersten unvergeßlichen Abenden in Waldheim. Mit jeder Zusammenkunft ward der Riß tiefer; denn Ida verlor ihre Lebhaftigkeit und erschien in der Gesellschaft stumpf und unmuthig. Ihre Gegenwart wurde mehr ein Druck als eine Aufheiterung für den Grafen. Daheim weinte sie unaufhaltsame Thränenströme ihrem schönen Traume nach, der sich nicht mehr neu gestalten wollte. Dann verzweifelte sie an Selvar's Liebe; dann hoffte sie die alten Zauberformeln wiederzufinden, die sie frisch entfachen sollten. Hatte sie geschworen, ihn nicht wieder zu sehen, so ward sie des Lebens überdrüssig, und sie folgte bald wieder dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/36
Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/36>, abgerufen am 21.11.2024.