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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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chen umherstanden, ließen den Concertmeister bezweifeln, daß hier eine Kunstgenossin wohnen könne. In der Meinung, daß eine Namensverwechselung obwalte, wollte er eben umkehren, als er ein paar mächtige Accordfolgen auf einem vorzüglichen Instrumente hörte, die als Eingang zu einer Toccata von Scarlatti improvisirt wurden. Horchend blieb er stehen und fand den Vortrag des sehr bedeutenden Musikwerks völlig tadellos. Sobald es geendet, trat er ins Haus und fand Ida in einem niedrigen Zimmer, dessen Fenster von einem außen angepflanzten Rebstock verdunkelt waren. Nur die nothdürftigsten Möbel und Geräthe enthielt der Raum, dessen geweißte Wände sehr gegen das prächtige Pianoforte abstachen. Die Bewohnerin sah leidend und etwas vernachlässigt aus und erschien auf den ersten Blick nichts weniger als anziehend.

Als der Concertmeister Selvar's Namen nannte, überzog eine Fieberröthe ihre Wangen, und sie war so verlegen, daß Jener kaum wußte, wie er die Unterhaltung weiter spinnen sollte. Er meinte, mit einem Gespräch über ihr gemeinschaftliches Fach müsse es doch endlich gelingen. Er fragte, was sie von Mendelssohn, von Chopin spiele? Sie hatte von Keinem je eine Note angerührt. Die Opern von Spohr, Weber, Spontini waren ihr fremd. In ihrem Geburtsorte war keine Bühne, und in der Residenz hatte man nur das Modernste aufgeführt. Aus Clavierauszügen hatte sie das studirt, was mindestens seit einem halben Menschenalter

chen umherstanden, ließen den Concertmeister bezweifeln, daß hier eine Kunstgenossin wohnen könne. In der Meinung, daß eine Namensverwechselung obwalte, wollte er eben umkehren, als er ein paar mächtige Accordfolgen auf einem vorzüglichen Instrumente hörte, die als Eingang zu einer Toccata von Scarlatti improvisirt wurden. Horchend blieb er stehen und fand den Vortrag des sehr bedeutenden Musikwerks völlig tadellos. Sobald es geendet, trat er ins Haus und fand Ida in einem niedrigen Zimmer, dessen Fenster von einem außen angepflanzten Rebstock verdunkelt waren. Nur die nothdürftigsten Möbel und Geräthe enthielt der Raum, dessen geweißte Wände sehr gegen das prächtige Pianoforte abstachen. Die Bewohnerin sah leidend und etwas vernachlässigt aus und erschien auf den ersten Blick nichts weniger als anziehend.

Als der Concertmeister Selvar's Namen nannte, überzog eine Fieberröthe ihre Wangen, und sie war so verlegen, daß Jener kaum wußte, wie er die Unterhaltung weiter spinnen sollte. Er meinte, mit einem Gespräch über ihr gemeinschaftliches Fach müsse es doch endlich gelingen. Er fragte, was sie von Mendelssohn, von Chopin spiele? Sie hatte von Keinem je eine Note angerührt. Die Opern von Spohr, Weber, Spontini waren ihr fremd. In ihrem Geburtsorte war keine Bühne, und in der Residenz hatte man nur das Modernste aufgeführt. Aus Clavierauszügen hatte sie das studirt, was mindestens seit einem halben Menschenalter

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/50>, abgerufen am 23.11.2024.