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Kirchhoff, Auguste: Zur Entwicklung der Frauenstimmrechts-Bewegung. Bremen, [1916].

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An wichtigen Wendepunkten des Lebens pflegt der Mensch
einmal stillstehend Rückschau zu halten aus den durchmessenen
Weg: aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen pflegt er dann
das Facit zu ziehen, das ihm aus seiner ferneren Lebensreife
gar oft Richtschnur und Wegweiser sein kann.

Was aber für das Einzelleben gilt, ist auch für die Gemein-
schaft nicht bedeutungslos. Zweifellos ist in unserer politischen
Frauenbewegung das Jahr 1916 ein Markstein am Wege. Die
längst sich vorbereitende Neuorientierung des deutschen Ver-
bandes für Frauenstimmrecht hat sich vollzogen. Durch seine
Auflösung und Verschmelzung mit der deutschen Vereinigung
zum deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht ist eine
Klärung der Lage und damit eine Gesundung der verworrenen
Verhältnisse angebahnt. Die zielbewußten demokratischen
Elemente haben sich vom Verbande gelöst und zum großen
Teil dem deutschen Frauenstimmrechtsbunde angeschlossen. Bei
dieser Gelegenheit dürfte ein kurzer Rückblick auf die Ent-
wickelung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung nicht
ohne Wert und Jnteresse sein, damit auch wir, aus der Ver-
gangenheit lernend, "rückwärts blickend vorwärts schauen"
können.

Herausgeboren aus den Stürmen des Revolutionsjahres
1848, sank die deutsche Stimmrechtsbewegung in den nachfol-
genden Jahren finsterer Reaktion wieder in tiefen Schlummer,
aus dem erst unsere alte Vorkämpferin, Hedwig Dohm sie im
Jahr 1870 durch ihre Kampfschrift: "Der Frauen Natur und
Recht" zu neuem Leben weckte. Der Entrüstungssturm, den
sie damit heraufbeschwor, hinderte Hedwig Dohm nicht, immer
aufs neue in Streitschriften und Broschüren die Frage zu er-

An wichtigen Wendepunkten des Lebens pflegt der Mensch
einmal stillstehend Rückschau zu halten aus den durchmessenen
Weg: aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen pflegt er dann
das Facit zu ziehen, das ihm aus seiner ferneren Lebensreife
gar oft Richtschnur und Wegweiser sein kann.

Was aber für das Einzelleben gilt, ist auch für die Gemein-
schaft nicht bedeutungslos. Zweifellos ist in unserer politischen
Frauenbewegung das Jahr 1916 ein Markstein am Wege. Die
längst sich vorbereitende Neuorientierung des deutschen Ver-
bandes für Frauenstimmrecht hat sich vollzogen. Durch seine
Auflösung und Verschmelzung mit der deutschen Vereinigung
zum deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht ist eine
Klärung der Lage und damit eine Gesundung der verworrenen
Verhältnisse angebahnt. Die zielbewußten demokratischen
Elemente haben sich vom Verbande gelöst und zum großen
Teil dem deutschen Frauenstimmrechtsbunde angeschlossen. Bei
dieser Gelegenheit dürfte ein kurzer Rückblick auf die Ent-
wickelung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung nicht
ohne Wert und Jnteresse sein, damit auch wir, aus der Ver-
gangenheit lernend, „rückwärts blickend vorwärts schauen“
können.

Herausgeboren aus den Stürmen des Revolutionsjahres
1848, sank die deutsche Stimmrechtsbewegung in den nachfol-
genden Jahren finsterer Reaktion wieder in tiefen Schlummer,
aus dem erst unsere alte Vorkämpferin, Hedwig Dohm sie im
Jahr 1870 durch ihre Kampfschrift: „Der Frauen Natur und
Recht“ zu neuem Leben weckte. Der Entrüstungssturm, den
sie damit heraufbeschwor, hinderte Hedwig Dohm nicht, immer
aufs neue in Streitschriften und Broschüren die Frage zu er-

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[3/0003] An wichtigen Wendepunkten des Lebens pflegt der Mensch einmal stillstehend Rückschau zu halten aus den durchmessenen Weg: aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen pflegt er dann das Facit zu ziehen, das ihm aus seiner ferneren Lebensreife gar oft Richtschnur und Wegweiser sein kann. Was aber für das Einzelleben gilt, ist auch für die Gemein- schaft nicht bedeutungslos. Zweifellos ist in unserer politischen Frauenbewegung das Jahr 1916 ein Markstein am Wege. Die längst sich vorbereitende Neuorientierung des deutschen Ver- bandes für Frauenstimmrecht hat sich vollzogen. Durch seine Auflösung und Verschmelzung mit der deutschen Vereinigung zum deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht ist eine Klärung der Lage und damit eine Gesundung der verworrenen Verhältnisse angebahnt. Die zielbewußten demokratischen Elemente haben sich vom Verbande gelöst und zum großen Teil dem deutschen Frauenstimmrechtsbunde angeschlossen. Bei dieser Gelegenheit dürfte ein kurzer Rückblick auf die Ent- wickelung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung nicht ohne Wert und Jnteresse sein, damit auch wir, aus der Ver- gangenheit lernend, „rückwärts blickend vorwärts schauen“ können. Herausgeboren aus den Stürmen des Revolutionsjahres 1848, sank die deutsche Stimmrechtsbewegung in den nachfol- genden Jahren finsterer Reaktion wieder in tiefen Schlummer, aus dem erst unsere alte Vorkämpferin, Hedwig Dohm sie im Jahr 1870 durch ihre Kampfschrift: „Der Frauen Natur und Recht“ zu neuem Leben weckte. Der Entrüstungssturm, den sie damit heraufbeschwor, hinderte Hedwig Dohm nicht, immer aufs neue in Streitschriften und Broschüren die Frage zu er-  

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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Zur Entwicklung der Frauenstimmrechts-Bewegung. Bremen, [1916], S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_entwicklung_1916/3>, abgerufen am 28.04.2024.