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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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Nein, er will das Stimmrecht für die Frauen erkämpfen,
und das ist ein sehr reales, auf dem Boden der Wirklichkeit stehendes
Ziel. Und nur logisch ist's, zu fragen: Welches ist dein Weg?
Welches Stimmrecht willst du erkämpfen?
Und so hat man
gefragt von rechts und von links laut Fräulein Heymanns Bericht, und
der Verband hat geantwortet mit dem allgemeinen, gleichen, geheimen
und direkten Wahlrecht.

Wir kommen aus Nord und Süd, aus Ost und West, aus sechs-
undzwanzig Staaten mit beinahe ebensoviel verschiedenen Wahlsystemen.
Soll nun jede Frau etwa für das spezielle Wahlrecht ihres Staates
oder Städtchens begeistert werden? Oder bedürfen wir bei der Ver-
schiedenheit in den politischen Organisationen der Einzelstaaten eines
starken, einigenden Bandes, das alle umschlingt? "Wahlrecht an sich"
ist eine leere Abstraktion, mit der niemand einen bestimmten Begriff
verbinden kann, es schwebt in der Luft. Bismarck fand das einigende
Band für alle deutschen Länder in der Reichsverfassung, der er in dem
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht eine feste Basis
gab. - So handelte der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht schon
rein äußerlich ganz logisch, indem er die Grundlage der Einigung
unsres deutschen Vaterlandes auch zu seinem Grundprinzip erhob.

So gut vor nun bald fünfzig Jahren Männer aller politischen
Schattierungen. -Sozialdemokraten waren damals bekanntlich noch
eine ganz kleine Minorität und nicht ausschlaggebend - sich unbedenklich
auf dies Grundprinzip festlegten, so gut meine ich, könnten auch heute
alle Frauen unter diesem Zeichen sich einigen, wenn sie nur das Jnter-
esse der Allgemeinheit über ihre Sonder- und Klasseninteressen
stellen wollten
. Parteipolitik treibt nicht der Verband, der allen Frauen
die Beteiligung am politischen Leben erkämpfen will, der konservativen
so gut der Sozialdemokratin, der Zentrumsfrau wie der liberalen.
Klassenpolitik treiben die Vereine, die sich dieses guten und großen
Prinzips halber, das allen Parteien gerecht wird, absplitterten vom
großen Ganzen. "Um auch konservativen und nationalliberalen Frauen
Gelegenheit zu geben, sich zu organisieren," heißt es in der Begründung
ihres Vorgehens. Nun, ich meine: wenn konservative und liberale
Frauen nicht zu haben sind da, wo man den gerechten Kampf für alle
Frauen führt, dann sind sie eben noch nicht reif für die Frauen-
stimmrechtsidee. Dann sollte man sie aufklären und zum Stimmrecht
erziehen, anstatt für sie gewissermaßen, wie Frau Vogt es einmal sehr
treffend bezeichnet, in den Gegenverbänden "Asyle für Obdachlose zu
gründen und durch Zersplitterung die nationale Organisation zu schädigen".

Nein, er will das Stimmrecht für die Frauen erkämpfen,
und das ist ein sehr reales, auf dem Boden der Wirklichkeit stehendes
Ziel. Und nur logisch ist's, zu fragen: Welches ist dein Weg?
Welches Stimmrecht willst du erkämpfen?
Und so hat man
gefragt von rechts und von links laut Fräulein Heymanns Bericht, und
der Verband hat geantwortet mit dem allgemeinen, gleichen, geheimen
und direkten Wahlrecht.

Wir kommen aus Nord und Süd, aus Ost und West, aus sechs-
undzwanzig Staaten mit beinahe ebensoviel verschiedenen Wahlsystemen.
Soll nun jede Frau etwa für das spezielle Wahlrecht ihres Staates
oder Städtchens begeistert werden? Oder bedürfen wir bei der Ver-
schiedenheit in den politischen Organisationen der Einzelstaaten eines
starken, einigenden Bandes, das alle umschlingt? „Wahlrecht an sich
ist eine leere Abstraktion, mit der niemand einen bestimmten Begriff
verbinden kann, es schwebt in der Luft. Bismarck fand das einigende
Band für alle deutschen Länder in der Reichsverfassung, der er in dem
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht eine feste Basis
gab. – So handelte der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht schon
rein äußerlich ganz logisch, indem er die Grundlage der Einigung
unsres deutschen Vaterlandes auch zu seinem Grundprinzip erhob.

So gut vor nun bald fünfzig Jahren Männer aller politischen
Schattierungen. –Sozialdemokraten waren damals bekanntlich noch
eine ganz kleine Minorität und nicht ausschlaggebend – sich unbedenklich
auf dies Grundprinzip festlegten, so gut meine ich, könnten auch heute
alle Frauen unter diesem Zeichen sich einigen, wenn sie nur das Jnter-
esse der Allgemeinheit über ihre Sonder- und Klasseninteressen
stellen wollten
. Parteipolitik treibt nicht der Verband, der allen Frauen
die Beteiligung am politischen Leben erkämpfen will, der konservativen
so gut der Sozialdemokratin, der Zentrumsfrau wie der liberalen.
Klassenpolitik treiben die Vereine, die sich dieses guten und großen
Prinzips halber, das allen Parteien gerecht wird, absplitterten vom
großen Ganzen. „Um auch konservativen und nationalliberalen Frauen
Gelegenheit zu geben, sich zu organisieren,“ heißt es in der Begründung
ihres Vorgehens. Nun, ich meine: wenn konservative und liberale
Frauen nicht zu haben sind da, wo man den gerechten Kampf für alle
Frauen führt, dann sind sie eben noch nicht reif für die Frauen-
stimmrechtsidee. Dann sollte man sie aufklären und zum Stimmrecht
erziehen, anstatt für sie gewissermaßen, wie Frau Vogt es einmal sehr
treffend bezeichnet, in den Gegenverbänden „Asyle für Obdachlose zu
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[25/0025] Nein, er will das Stimmrecht für die Frauen erkämpfen, und das ist ein sehr reales, auf dem Boden der Wirklichkeit stehendes Ziel. Und nur logisch ist's, zu fragen: Welches ist dein Weg? Welches Stimmrecht willst du erkämpfen? Und so hat man gefragt von rechts und von links laut Fräulein Heymanns Bericht, und der Verband hat geantwortet mit dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht. Wir kommen aus Nord und Süd, aus Ost und West, aus sechs- undzwanzig Staaten mit beinahe ebensoviel verschiedenen Wahlsystemen. Soll nun jede Frau etwa für das spezielle Wahlrecht ihres Staates oder Städtchens begeistert werden? Oder bedürfen wir bei der Ver- schiedenheit in den politischen Organisationen der Einzelstaaten eines starken, einigenden Bandes, das alle umschlingt? „Wahlrecht an sich“ ist eine leere Abstraktion, mit der niemand einen bestimmten Begriff verbinden kann, es schwebt in der Luft. Bismarck fand das einigende Band für alle deutschen Länder in der Reichsverfassung, der er in dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht eine feste Basis gab. – So handelte der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht schon rein äußerlich ganz logisch, indem er die Grundlage der Einigung unsres deutschen Vaterlandes auch zu seinem Grundprinzip erhob. So gut vor nun bald fünfzig Jahren Männer aller politischen Schattierungen. –Sozialdemokraten waren damals bekanntlich noch eine ganz kleine Minorität und nicht ausschlaggebend – sich unbedenklich auf dies Grundprinzip festlegten, so gut meine ich, könnten auch heute alle Frauen unter diesem Zeichen sich einigen, wenn sie nur das Jnter- esse der Allgemeinheit über ihre Sonder- und Klasseninteressen stellen wollten. Parteipolitik treibt nicht der Verband, der allen Frauen die Beteiligung am politischen Leben erkämpfen will, der konservativen so gut der Sozialdemokratin, der Zentrumsfrau wie der liberalen. Klassenpolitik treiben die Vereine, die sich dieses guten und großen Prinzips halber, das allen Parteien gerecht wird, absplitterten vom großen Ganzen. „Um auch konservativen und nationalliberalen Frauen Gelegenheit zu geben, sich zu organisieren,“ heißt es in der Begründung ihres Vorgehens. Nun, ich meine: wenn konservative und liberale Frauen nicht zu haben sind da, wo man den gerechten Kampf für alle Frauen führt, dann sind sie eben noch nicht reif für die Frauen- stimmrechtsidee. Dann sollte man sie aufklären und zum Stimmrecht erziehen, anstatt für sie gewissermaßen, wie Frau Vogt es einmal sehr treffend bezeichnet, in den Gegenverbänden „Asyle für Obdachlose zu gründen und durch Zersplitterung die nationale Organisation zu schädigen“.

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Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/25>, abgerufen am 21.11.2024.