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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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burg im April d. J. zur Orientierung der Mitglieder an die Landes-
vereine und Ortsgruppen des Deutschen Verbandes geschickt haben.
Nachdem sie in sechs Thesen energisch gegen die Forderung des allgemeinen,
gleichen Wahlrechts vonseiten des Verbandes als "parteipolitisch" protestiert,
sie für schädigend für die Sache, für unannehmbar für die rechtsstehenden
Frauen erklärt haben, führen sie in der siebenten These folgendes aus:

"Wir selbst berauben uns dadurch (d. h. durch den § 3,
Absatz 2) der Möglichkeit, die Frauen, die sich noch keine politische
Meinung gebildet haben, und die durch ihre berufliche und soziale
Tätigkeit zur Frauenstimmrechtsforderung kommen, für das all-
gemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu gewinnen. Wir
treiben sie in die Gegenorganisationen, in denen sie hauptsächlich
mit teils konservativen, teils unerfahrenen Genossinnen zusammen
sind und leicht zu Anhängerinnen eines beschränkten Wahlrechts
werden."

Jch meine, auch diese eigentümliche Art der Propaganda für das
allgemeine Wahlrecht sollte uns eine Warnung sein, unsern klaren
Standpunkt auch nur um eines Haares Breite zu verschieben. Man
verwischt auf der Fahne die Jnschrift "allgemeines, gleiches Wahlrecht",
überklebt sie mit dem Worte "Neutralität", um dann die, die der
Neutralität halber in die Reihen treten, für das allgemeine, gleiche
Wahlrecht zu gewinnen! Mir kommt dabei unwillkürlich der Gedanke:
"Mit Speck fängt man Mäuse und mit Neutralität Aspirantinnen fürs
allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht". Gewinnen sollte
man die Leute vor ihrem Eintritt in die Organisation; im Beruf und
in der sozialen Arbeit ist dazu Gelegenheit in Hülle und Fülle.

Wir Frauen haben immer so stolz verkündet:

"Wenn wir erst einmal mitzubestimmen haben, dann beginnt
eine Politik der reinen Hand. Wir haben Mut und Jdealismus
genug, treu zu unsrer Fahne zu stehen!"

Nun, ich muß sagen, wenn schon vor unserm Eintritt ins politische Leben
eine jesuitische Verschleierungspolitik uns wünschenswert erscheint,
dann muß es um diese "Politik der reinen Hand" schlecht bestellt sein.
Dann scheint mir Frauenstimmrecht doch nicht den Kulturwert zu ver-
körpern, den wir ihm zugeschrieben haben. Dann ist es nicht ein
Siegespreis, des Kampfes wert, den wir führen, der Anfeindungen, die
wir um seinetwillen erduldet haben. Wollen wir Sieger bleiben im
Kampf, dann darf nicht ein dehnbarer Kautschukbegriff unsere
Losung sein, dann heißt es: mutig und tapfer die Fahne hoch!

burg im April d. J. zur Orientierung der Mitglieder an die Landes-
vereine und Ortsgruppen des Deutschen Verbandes geschickt haben.
Nachdem sie in sechs Thesen energisch gegen die Forderung des allgemeinen,
gleichen Wahlrechts vonseiten des Verbandes als „parteipolitisch“ protestiert,
sie für schädigend für die Sache, für unannehmbar für die rechtsstehenden
Frauen erklärt haben, führen sie in der siebenten These folgendes aus:

„Wir selbst berauben uns dadurch (d. h. durch den § 3,
Absatz 2) der Möglichkeit, die Frauen, die sich noch keine politische
Meinung gebildet haben, und die durch ihre berufliche und soziale
Tätigkeit zur Frauenstimmrechtsforderung kommen, für das all-
gemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu gewinnen. Wir
treiben sie in die Gegenorganisationen, in denen sie hauptsächlich
mit teils konservativen, teils unerfahrenen Genossinnen zusammen
sind und leicht zu Anhängerinnen eines beschränkten Wahlrechts
werden.“

Jch meine, auch diese eigentümliche Art der Propaganda für das
allgemeine Wahlrecht sollte uns eine Warnung sein, unsern klaren
Standpunkt auch nur um eines Haares Breite zu verschieben. Man
verwischt auf der Fahne die Jnschrift „allgemeines, gleiches Wahlrecht“,
überklebt sie mit dem Worte „Neutralität“, um dann die, die der
Neutralität halber in die Reihen treten, für das allgemeine, gleiche
Wahlrecht zu gewinnen! Mir kommt dabei unwillkürlich der Gedanke:
„Mit Speck fängt man Mäuse und mit Neutralität Aspirantinnen fürs
allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht“. Gewinnen sollte
man die Leute vor ihrem Eintritt in die Organisation; im Beruf und
in der sozialen Arbeit ist dazu Gelegenheit in Hülle und Fülle.

Wir Frauen haben immer so stolz verkündet:

„Wenn wir erst einmal mitzubestimmen haben, dann beginnt
eine Politik der reinen Hand. Wir haben Mut und Jdealismus
genug, treu zu unsrer Fahne zu stehen!“

Nun, ich muß sagen, wenn schon vor unserm Eintritt ins politische Leben
eine jesuitische Verschleierungspolitik uns wünschenswert erscheint,
dann muß es um diese „Politik der reinen Hand“ schlecht bestellt sein.
Dann scheint mir Frauenstimmrecht doch nicht den Kulturwert zu ver-
körpern, den wir ihm zugeschrieben haben. Dann ist es nicht ein
Siegespreis, des Kampfes wert, den wir führen, der Anfeindungen, die
wir um seinetwillen erduldet haben. Wollen wir Sieger bleiben im
Kampf, dann darf nicht ein dehnbarer Kautschukbegriff unsere
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[32/0032] burg im April d. J. zur Orientierung der Mitglieder an die Landes- vereine und Ortsgruppen des Deutschen Verbandes geschickt haben. Nachdem sie in sechs Thesen energisch gegen die Forderung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts vonseiten des Verbandes als „parteipolitisch“ protestiert, sie für schädigend für die Sache, für unannehmbar für die rechtsstehenden Frauen erklärt haben, führen sie in der siebenten These folgendes aus: „Wir selbst berauben uns dadurch (d. h. durch den § 3, Absatz 2) der Möglichkeit, die Frauen, die sich noch keine politische Meinung gebildet haben, und die durch ihre berufliche und soziale Tätigkeit zur Frauenstimmrechtsforderung kommen, für das all- gemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu gewinnen. Wir treiben sie in die Gegenorganisationen, in denen sie hauptsächlich mit teils konservativen, teils unerfahrenen Genossinnen zusammen sind und leicht zu Anhängerinnen eines beschränkten Wahlrechts werden.“ Jch meine, auch diese eigentümliche Art der Propaganda für das allgemeine Wahlrecht sollte uns eine Warnung sein, unsern klaren Standpunkt auch nur um eines Haares Breite zu verschieben. Man verwischt auf der Fahne die Jnschrift „allgemeines, gleiches Wahlrecht“, überklebt sie mit dem Worte „Neutralität“, um dann die, die der Neutralität halber in die Reihen treten, für das allgemeine, gleiche Wahlrecht zu gewinnen! Mir kommt dabei unwillkürlich der Gedanke: „Mit Speck fängt man Mäuse und mit Neutralität Aspirantinnen fürs allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht“. Gewinnen sollte man die Leute vor ihrem Eintritt in die Organisation; im Beruf und in der sozialen Arbeit ist dazu Gelegenheit in Hülle und Fülle. Wir Frauen haben immer so stolz verkündet: „Wenn wir erst einmal mitzubestimmen haben, dann beginnt eine Politik der reinen Hand. Wir haben Mut und Jdealismus genug, treu zu unsrer Fahne zu stehen!“ Nun, ich muß sagen, wenn schon vor unserm Eintritt ins politische Leben eine jesuitische Verschleierungspolitik uns wünschenswert erscheint, dann muß es um diese „Politik der reinen Hand“ schlecht bestellt sein. Dann scheint mir Frauenstimmrecht doch nicht den Kulturwert zu ver- körpern, den wir ihm zugeschrieben haben. Dann ist es nicht ein Siegespreis, des Kampfes wert, den wir führen, der Anfeindungen, die wir um seinetwillen erduldet haben. Wollen wir Sieger bleiben im Kampf, dann darf nicht ein dehnbarer Kautschukbegriff unsere Losung sein, dann heißt es: mutig und tapfer die Fahne hoch!

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Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/32>, abgerufen am 21.11.2024.