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Kirchhoff, Auguste: Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer Parlament. In: Zeitschrift für Frauenstimmrecht (1914), S. 45-46.

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Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer
Parlament.

Wahlrechtsdebatten sind stets lehrreich für die um
ihre Rechte kämpfenden Frauen. Sie eröffnen Einblicke
und Ausblicke. Die Frauen sollten sie genau verfolgen,
um uns ein richtiges Urteil über den Stand der Dinge
zu bilden.

Sicher ist eins: so viel wie in den letzten beiden
Monaten ist das oft belachte, verspottete und gefürchtete
Wort "Frauenstimmrecht" wohl kaum je an maßgebender
Stelle unseres kleinen Freistaates erklungen. Aus den
verschiedensten Lagern drang es ans Ohr unserer Ge-
setzgeber, je nach seiner Herkunft bald in frohen, hell-
strahlenden Dur- bald in traurig warnenden Moll-Akkorden.

Den Wahlrechtsverhandlungen in unserer Bürger-
schaft, dem bremischen Parlament, vom 20. Mai 1914
lag ein sozialdemokratischer Antrag zu Grunde auf
Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und
direkten Wahlrechtes nach dem Verhältniswahlsystem
für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen. Be-
gründet wurde die uns hier besonders interessierende
Forderung des Frauenwahlrechtes damit, daß auch die
Frauen für den Staat Werte schaffen, daß durch die
veränderte Produktionsweise Millionen von Frauen ins
Erwerbsleben hinausgetrieben sind, die durch ihr Wirken
in der Oeffentlichkeit, wo sie den gleichen Bedingungen
unterstehen wie der männliche Arbeiter, auch ein In-
teresse an der Gestaltung dieser Oeffentlichkeit und
ein Recht zur Mitarbeit an Gesetzen und Arbeits-
bedingungen haben.

Von fortschrittlicher Seite lag zu diesem Antrag
ein Amendement vor, dahingehend, die Altersgrenze auf
25 Jahre zu erhöhen, "Männer" durch "Staatsbürger"
zu ersetzen und die Worte "und Frauen" zu streichen.

Der Bremer Verein für Frauenstimmrecht war
schon im März d. J. mit einer Petition um Anerkennung
der Staatsbürgerrechte der bremischen Frauen an Senat
und Bürgerschaft herangetreten. Mit dem sozialdemo-
kratischen Antrag deckte sie sich allerdings nicht.
Während dieser im Kampf gegen unser Achtklassen-
wahlrecht auf eine Gesetzesänderung zu Gunsten aller
Männer und Frauen hinauslief, suchte der petitionierende
Verein aus dem Wortlaut unserer heutigen Verfassung
und der Tatsache, daß diesem Wortlaut nach die
Frauen nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind, ein
Wahlrecht für die Frauen abzuleiten. Man übersah da-
bei, daß nicht der Wortlaut, sondern der Sinn des
Gesetzes und der Wille des Gesetzgebers ausschlag-[Spaltenumbruch] gebend sind. Noch einen anderen Irrtum enthielt
die Begründung, nämlich den, daß in Bremen die
allgemeine Wehrpflicht Voraussetzung für die Erlangung
politischer Rechte sei, und die Unmöglichkeit, Militär-
papiere beizubringen, der Grund des Ausschlusses der
Frauen von den Staatsbürgerrechten. Nirgendwo in
unserer Verfassung ist die Ableistung des Staatsbürger-
eides von der Beschaffung der Militärpapiere abhängig
gemacht. Auch ohne ihr Vorhandensein wird der Staats-
bürgereid abgenommen.

Im übrigen weist die Eingabe mit Fug und Recht
auf die Steuerleistung und die Erwerbstätigkeit der
Frauen, sowie als Ergänzung zur sozialdemokratischen
Begründung vor allem auch auf die Hausfrauen- und
Mutterschaftsleistung und auf die im Interesse des Staats-
und Volkswohls wertvolle Mitarbeit der Frauen hin.

Auf dem Fuße folgte dieser Petition eine Gegen-
eingabe vom
"Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauen-
emanzipation
"

den Frauen das Stimmrecht nicht zu gewähren, sondern es bei
dem bisher bewährten Verfassungszustand zu belassen. Begründung:
das Stimmrecht bedeutet eine schwere Schädigung für die Frau (!!),
es verstößt gegen die weibliche Veranlagung. Die Frau urteilt
mehr nach dem Gefühl des Herzens, als daß sie sachlich bleiben
kann, bei ihr ist nach Goethe "alles Herz, selbst der Verstand"!
Die Politisierung der Frau würde zur Auflösung der Familie und
damit zur Zerstörung der Grundlagen unserer heutigen Gesellschafts-
ordnung führen. Die unmittelbare Teilnahme der Frau an der Ge-
setzgebung bedeutet eine Schwächung des Staates. Eine Frau von
der Geistesgröße, Tatkraft und Fähigkeit eines Stein oder
Bismarck hat es nie gegeben und wird es nie geben.

Die Frauen können den "Antis" nicht dankbar
genug sein: ohne ihre treue Fürsorge für uns un-
selbständige, nur mit dem Herzen denkende Geschöpfe
wäre das Frauenstimmrecht in unserem Parlament
höchst wahrscheinlich gar nicht so ausgiebig zu Worte
gekommen. Der Vertreter der Eingabe hatte auf seiner
Palette die Farben schwarz in tiefschwarz gemischt, um
in längerer Rede die bremische Volksvertretung von
der Gemeingefährlichkeit der bösen Frauenrecht-
lerinnen zu überzeugen. Man ahnt es ja gar nicht,
wie niederziehend die Wirkungen des Frauenstimmrechts
in dem von ihm verseuchten Ländern sind. Man höre:

Kunst, Wissenschaft, Literatur in Neuseeland gleich Null
trotz 13 jährigen Frauenstimmrechtes, die Geburtenziffern von 40
auf 27 gefallen, Schulwesen mangelhaft, "öffentliche" Sittlichkeit
nicht gehoben, Kriminalstatistik weist Verschlechterungen auf!
In Australien haben laut einem dort reisenden Engländer die
Blumen keinen Duft, die Vögel keinen Gesang, die Frauen keine
Tugend, alles unmittelbare Wirkungen des den Frauen verliehenen
Stimmzettels! In Finnland hat infolgedessen nach der uns
unbekannten Edith Seilers bei den Frauen eine merkliche Einbuße
an natürlichem Gefühl, Vernunft und Billigkeit sich gezeigt, und
in Amerika ist das ganze Frauenstimmrecht ein Fehlschlag! -

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Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer
Parlament.

Wahlrechtsdebatten sind stets lehrreich für die um
ihre Rechte kämpfenden Frauen. Sie eröffnen Einblicke
und Ausblicke. Die Frauen sollten sie genau verfolgen,
um uns ein richtiges Urteil über den Stand der Dinge
zu bilden.

Sicher ist eins: so viel wie in den letzten beiden
Monaten ist das oft belachte, verspottete und gefürchtete
Wort „Frauenstimmrecht“ wohl kaum je an maßgebender
Stelle unseres kleinen Freistaates erklungen. Aus den
verschiedensten Lagern drang es ans Ohr unserer Ge-
setzgeber, je nach seiner Herkunft bald in frohen, hell-
strahlenden Dur- bald in traurig warnenden Moll-Akkorden.

Den Wahlrechtsverhandlungen in unserer Bürger-
schaft, dem bremischen Parlament, vom 20. Mai 1914
lag ein sozialdemokratischer Antrag zu Grunde auf
Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und
direkten Wahlrechtes nach dem Verhältniswahlsystem
für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen. Be-
gründet wurde die uns hier besonders interessierende
Forderung des Frauenwahlrechtes damit, daß auch die
Frauen für den Staat Werte schaffen, daß durch die
veränderte Produktionsweise Millionen von Frauen ins
Erwerbsleben hinausgetrieben sind, die durch ihr Wirken
in der Oeffentlichkeit, wo sie den gleichen Bedingungen
unterstehen wie der männliche Arbeiter, auch ein In-
teresse an der Gestaltung dieser Oeffentlichkeit und
ein Recht zur Mitarbeit an Gesetzen und Arbeits-
bedingungen haben.

Von fortschrittlicher Seite lag zu diesem Antrag
ein Amendement vor, dahingehend, die Altersgrenze auf
25 Jahre zu erhöhen, „Männer“ durch „Staatsbürger“
zu ersetzen und die Worte „und Frauen“ zu streichen.

Der Bremer Verein für Frauenstimmrecht war
schon im März d. J. mit einer Petition um Anerkennung
der Staatsbürgerrechte der bremischen Frauen an Senat
und Bürgerschaft herangetreten. Mit dem sozialdemo-
kratischen Antrag deckte sie sich allerdings nicht.
Während dieser im Kampf gegen unser Achtklassen-
wahlrecht auf eine Gesetzesänderung zu Gunsten aller
Männer und Frauen hinauslief, suchte der petitionierende
Verein aus dem Wortlaut unserer heutigen Verfassung
und der Tatsache, daß diesem Wortlaut nach die
Frauen nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind, ein
Wahlrecht für die Frauen abzuleiten. Man übersah da-
bei, daß nicht der Wortlaut, sondern der Sinn des
Gesetzes und der Wille des Gesetzgebers ausschlag-[Spaltenumbruch] gebend sind. Noch einen anderen Irrtum enthielt
die Begründung, nämlich den, daß in Bremen die
allgemeine Wehrpflicht Voraussetzung für die Erlangung
politischer Rechte sei, und die Unmöglichkeit, Militär-
papiere beizubringen, der Grund des Ausschlusses der
Frauen von den Staatsbürgerrechten. Nirgendwo in
unserer Verfassung ist die Ableistung des Staatsbürger-
eides von der Beschaffung der Militärpapiere abhängig
gemacht. Auch ohne ihr Vorhandensein wird der Staats-
bürgereid abgenommen.

Im übrigen weist die Eingabe mit Fug und Recht
auf die Steuerleistung und die Erwerbstätigkeit der
Frauen, sowie als Ergänzung zur sozialdemokratischen
Begründung vor allem auch auf die Hausfrauen- und
Mutterschaftsleistung und auf die im Interesse des Staats-
und Volkswohls wertvolle Mitarbeit der Frauen hin.

Auf dem Fuße folgte dieser Petition eine Gegen-
eingabe vom
Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauen-
emanzipation

den Frauen das Stimmrecht nicht zu gewähren, sondern es bei
dem bisher bewährten Verfassungszustand zu belassen. Begründung:
das Stimmrecht bedeutet eine schwere Schädigung für die Frau (‼),
es verstößt gegen die weibliche Veranlagung. Die Frau urteilt
mehr nach dem Gefühl des Herzens, als daß sie sachlich bleiben
kann, bei ihr ist nach Goethe „alles Herz, selbst der Verstand“!
Die Politisierung der Frau würde zur Auflösung der Familie und
damit zur Zerstörung der Grundlagen unserer heutigen Gesellschafts-
ordnung führen. Die unmittelbare Teilnahme der Frau an der Ge-
setzgebung bedeutet eine Schwächung des Staates. Eine Frau von
der Geistesgröße, Tatkraft und Fähigkeit eines Stein oder
Bismarck hat es nie gegeben und wird es nie geben.

Die Frauen können den „Antis“ nicht dankbar
genug sein: ohne ihre treue Fürsorge für uns un-
selbständige, nur mit dem Herzen denkende Geschöpfe
wäre das Frauenstimmrecht in unserem Parlament
höchst wahrscheinlich gar nicht so ausgiebig zu Worte
gekommen. Der Vertreter der Eingabe hatte auf seiner
Palette die Farben schwarz in tiefschwarz gemischt, um
in längerer Rede die bremische Volksvertretung von
der Gemeingefährlichkeit der bösen Frauenrecht-
lerinnen zu überzeugen. Man ahnt es ja gar nicht,
wie niederziehend die Wirkungen des Frauenstimmrechts
in dem von ihm verseuchten Ländern sind. Man höre:

Kunst, Wissenschaft, Literatur in Neuseeland gleich Null
trotz 13 jährigen Frauenstimmrechtes, die Geburtenziffern von 40
auf 27 gefallen, Schulwesen mangelhaft, „öffentliche“ Sittlichkeit
nicht gehoben, Kriminalstatistik weist Verschlechterungen auf!
In Australien haben laut einem dort reisenden Engländer die
Blumen keinen Duft, die Vögel keinen Gesang, die Frauen keine
Tugend, alles unmittelbare Wirkungen des den Frauen verliehenen
Stimmzettels! In Finnland hat infolgedessen nach der uns
unbekannten Edith Seilers bei den Frauen eine merkliche Einbuße
an natürlichem Gefühl, Vernunft und Billigkeit sich gezeigt, und
in Amerika ist das ganze Frauenstimmrecht ein Fehlschlag! –

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[45/0001] _ Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer Parlament. Von Auguste Kirchhoffin Bremen. Wahlrechtsdebatten sind stets lehrreich für die um ihre Rechte kämpfenden Frauen. Sie eröffnen Einblicke und Ausblicke. Die Frauen sollten sie genau verfolgen, um uns ein richtiges Urteil über den Stand der Dinge zu bilden. Sicher ist eins: so viel wie in den letzten beiden Monaten ist das oft belachte, verspottete und gefürchtete Wort „Frauenstimmrecht“ wohl kaum je an maßgebender Stelle unseres kleinen Freistaates erklungen. Aus den verschiedensten Lagern drang es ans Ohr unserer Ge- setzgeber, je nach seiner Herkunft bald in frohen, hell- strahlenden Dur- bald in traurig warnenden Moll-Akkorden. Den Wahlrechtsverhandlungen in unserer Bürger- schaft, dem bremischen Parlament, vom 20. Mai 1914 lag ein sozialdemokratischer Antrag zu Grunde auf Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes nach dem Verhältniswahlsystem für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen. Be- gründet wurde die uns hier besonders interessierende Forderung des Frauenwahlrechtes damit, daß auch die Frauen für den Staat Werte schaffen, daß durch die veränderte Produktionsweise Millionen von Frauen ins Erwerbsleben hinausgetrieben sind, die durch ihr Wirken in der Oeffentlichkeit, wo sie den gleichen Bedingungen unterstehen wie der männliche Arbeiter, auch ein In- teresse an der Gestaltung dieser Oeffentlichkeit und ein Recht zur Mitarbeit an Gesetzen und Arbeits- bedingungen haben. Von fortschrittlicher Seite lag zu diesem Antrag ein Amendement vor, dahingehend, die Altersgrenze auf 25 Jahre zu erhöhen, „Männer“ durch „Staatsbürger“ zu ersetzen und die Worte „und Frauen“ zu streichen. Der Bremer Verein für Frauenstimmrecht war schon im März d. J. mit einer Petition um Anerkennung der Staatsbürgerrechte der bremischen Frauen an Senat und Bürgerschaft herangetreten. Mit dem sozialdemo- kratischen Antrag deckte sie sich allerdings nicht. Während dieser im Kampf gegen unser Achtklassen- wahlrecht auf eine Gesetzesänderung zu Gunsten aller Männer und Frauen hinauslief, suchte der petitionierende Verein aus dem Wortlaut unserer heutigen Verfassung und der Tatsache, daß diesem Wortlaut nach die Frauen nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind, ein Wahlrecht für die Frauen abzuleiten. Man übersah da- bei, daß nicht der Wortlaut, sondern der Sinn des Gesetzes und der Wille des Gesetzgebers ausschlag- gebend sind. Noch einen anderen Irrtum enthielt die Begründung, nämlich den, daß in Bremen die allgemeine Wehrpflicht Voraussetzung für die Erlangung politischer Rechte sei, und die Unmöglichkeit, Militär- papiere beizubringen, der Grund des Ausschlusses der Frauen von den Staatsbürgerrechten. Nirgendwo in unserer Verfassung ist die Ableistung des Staatsbürger- eides von der Beschaffung der Militärpapiere abhängig gemacht. Auch ohne ihr Vorhandensein wird der Staats- bürgereid abgenommen. Im übrigen weist die Eingabe mit Fug und Recht auf die Steuerleistung und die Erwerbstätigkeit der Frauen, sowie als Ergänzung zur sozialdemokratischen Begründung vor allem auch auf die Hausfrauen- und Mutterschaftsleistung und auf die im Interesse des Staats- und Volkswohls wertvolle Mitarbeit der Frauen hin. Auf dem Fuße folgte dieser Petition eine Gegen- eingabe vom „Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauen- emanzipation“ den Frauen das Stimmrecht nicht zu gewähren, sondern es bei dem bisher bewährten Verfassungszustand zu belassen. Begründung: das Stimmrecht bedeutet eine schwere Schädigung für die Frau (‼), es verstößt gegen die weibliche Veranlagung. Die Frau urteilt mehr nach dem Gefühl des Herzens, als daß sie sachlich bleiben kann, bei ihr ist nach Goethe „alles Herz, selbst der Verstand“! Die Politisierung der Frau würde zur Auflösung der Familie und damit zur Zerstörung der Grundlagen unserer heutigen Gesellschafts- ordnung führen. Die unmittelbare Teilnahme der Frau an der Ge- setzgebung bedeutet eine Schwächung des Staates. Eine Frau von der Geistesgröße, Tatkraft und Fähigkeit eines Stein oder Bismarck hat es nie gegeben und wird es nie geben. Die Frauen können den „Antis“ nicht dankbar genug sein: ohne ihre treue Fürsorge für uns un- selbständige, nur mit dem Herzen denkende Geschöpfe wäre das Frauenstimmrecht in unserem Parlament höchst wahrscheinlich gar nicht so ausgiebig zu Worte gekommen. Der Vertreter der Eingabe hatte auf seiner Palette die Farben schwarz in tiefschwarz gemischt, um in längerer Rede die bremische Volksvertretung von der Gemeingefährlichkeit der bösen Frauenrecht- lerinnen zu überzeugen. Man ahnt es ja gar nicht, wie niederziehend die Wirkungen des Frauenstimmrechts in dem von ihm verseuchten Ländern sind. Man höre: Kunst, Wissenschaft, Literatur in Neuseeland gleich Null trotz 13 jährigen Frauenstimmrechtes, die Geburtenziffern von 40 auf 27 gefallen, Schulwesen mangelhaft, „öffentliche“ Sittlichkeit nicht gehoben, Kriminalstatistik weist Verschlechterungen auf! In Australien haben laut einem dort reisenden Engländer die Blumen keinen Duft, die Vögel keinen Gesang, die Frauen keine Tugend, alles unmittelbare Wirkungen des den Frauen verliehenen Stimmzettels! In Finnland hat infolgedessen nach der uns unbekannten Edith Seilers bei den Frauen eine merkliche Einbuße an natürlichem Gefühl, Vernunft und Billigkeit sich gezeigt, und in Amerika ist das ganze Frauenstimmrecht ein Fehlschlag! –

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-28T14:45:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-28T14:45:38Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Frauenwahlrechtsdebatte im Bremer Parlament. In: Zeitschrift für Frauenstimmrecht (1914), S. 45-46, hier S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenwahlrechtsdebatte_1914/1>, abgerufen am 19.04.2024.