Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klein, Felix: Über Riemann's Theorie der Algebraischen Functionen und ihrer Integrale. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

dass die umgekehrte Auffassung im Grunde ebenso berechtigt ist. Das Studium einförmiger Strömungen auf gegebenen Flächen kann umsomehr als Selbstzweck betrachtet werden, als es bei zahlreichen physikalischen Problemen unmittelbar zu Verwerthung gelangt. In der unendlichen Mannigfaltigkeit dieser Strömungen orientirt uns die Riemann'sche Theorie, indem sie auf den Zusammenhang hinweist, der zwischen diesen Strömungen und den algebraischen Functionen der Analysis statt hat.

Wir können endlich den geometrischen Gesichtspunct hervorkehren, und die Riemann'sche Theorie als ein Mittel betrachten, um die Lehre von der conformen Abbildung geschlossener Flächen auf einander der analytischen Behandlung zugänglich zu machen. Eben diese Auffassung ist es, der ich im folgenden, dritten Abschnitte meiner Darstellung Ausdruck zu geben bemüht bin. Es wird nicht nöthig sein, schon an dieser Stelle ausführlicher hierauf einzugehen.

§. 18. Weiterbildung der Theorie.

In Riemann's eigenem Gedankengange, wie ich ihn vorstehend zu schildern versuchte, veranschaulicht die Riemann'sche Fläche nicht nur die in Betracht kommenden Functionen, sondern sie definirt dieselben. Es scheint möglich, diese beiden Dinge zu trennen: die Definition der Functionen von anderer Seite zu nehmen und die Fläche nur als Mittel der Veranschaulichung beizubehalten. Das ist es in der That, was von der Mehrzahl der Mathematiker um so lieber geschehen ist, als Riemann's Definition der Function bei genauerer Untersuchung beträchtliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Man beginnt also etwa mit der algebraischen Gleichung und der Begriffsbestimmung des Integrals, und construirt erst hinterher eine zugehörige Riemann'sche Fläche.

Dann aber ist von selbst eine grosse Verallgemeinerung der ursprünglichen Auffassung gegeben. Bislang galten uns zwei Flächen nur dann als gleichwerthig, wenn die eine aus der anderen durch eindeutige conforme Abbildung entstand. Jetzt ist kein Grund mehr, an der Conformität der Abbildung festzuhalten. Jede Fläche, welche durch stetige Abbildung eindeutig

Vergl. die betreffenden Bemerkungen der Vorrede.

dass die umgekehrte Auffassung im Grunde ebenso berechtigt ist. Das Studium einförmiger Strömungen auf gegebenen Flächen kann umsomehr als Selbstzweck betrachtet werden, als es bei zahlreichen physikalischen Problemen unmittelbar zu Verwerthung gelangt. In der unendlichen Mannigfaltigkeit dieser Strömungen orientirt uns die Riemann'sche Theorie, indem sie auf den Zusammenhang hinweist, der zwischen diesen Strömungen und den algebraischen Functionen der Analysis statt hat.

Wir können endlich den geometrischen Gesichtspunct hervorkehren, und die Riemann'sche Theorie als ein Mittel betrachten, um die Lehre von der conformen Abbildung geschlossener Flächen auf einander der analytischen Behandlung zugänglich zu machen. Eben diese Auffassung ist es, der ich im folgenden, dritten Abschnitte meiner Darstellung Ausdruck zu geben bemüht bin. Es wird nicht nöthig sein, schon an dieser Stelle ausführlicher hierauf einzugehen.

§. 18. Weiterbildung der Theorie.

In Riemann's eigenem Gedankengange, wie ich ihn vorstehend zu schildern versuchte, veranschaulicht die Riemann'sche Fläche nicht nur die in Betracht kommenden Functionen, sondern sie definirt dieselben. Es scheint möglich, diese beiden Dinge zu trennen: die Definition der Functionen von anderer Seite zu nehmen und die Fläche nur als Mittel der Veranschaulichung beizubehalten. Das ist es in der That, was von der Mehrzahl der Mathematiker um so lieber geschehen ist, als Riemann's Definition der Function bei genauerer Untersuchung beträchtliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Man beginnt also etwa mit der algebraischen Gleichung und der Begriffsbestimmung des Integrals, und construirt erst hinterher eine zugehörige Riemann'sche Fläche.

Dann aber ist von selbst eine grosse Verallgemeinerung der ursprünglichen Auffassung gegeben. Bislang galten uns zwei Flächen nur dann als gleichwerthig, wenn die eine aus der anderen durch eindeutige conforme Abbildung entstand. Jetzt ist kein Grund mehr, an der Conformität der Abbildung festzuhalten. Jede Fläche, welche durch stetige Abbildung eindeutig

Vergl. die betreffenden Bemerkungen der Vorrede.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="61"/>
dass die umgekehrte Auffassung im Grunde ebenso berechtigt
 ist. Das Studium einförmiger Strömungen auf gegebenen
 Flächen kann umsomehr als Selbstzweck betrachtet werden,
 als es bei zahlreichen <hi rendition="#i">physikalischen</hi> Problemen unmittelbar
 zu Verwerthung gelangt. In der unendlichen Mannigfaltigkeit
 dieser Strömungen orientirt uns die Riemann'sche
 Theorie, indem sie auf den Zusammenhang hinweist, der
 zwischen diesen Strömungen und den algebraischen Functionen
 der Analysis statt hat.</p>
          <p>Wir können endlich den <hi rendition="#i">geometrischen</hi> Gesichtspunct hervorkehren,
 und die Riemann'sche Theorie als ein Mittel betrachten,
 um die Lehre von der conformen Abbildung geschlossener
 Flächen auf einander der analytischen Behandlung
 zugänglich zu machen. Eben diese Auffassung ist es, der ich
 im folgenden, dritten Abschnitte meiner Darstellung Ausdruck
 zu geben bemüht bin. Es wird nicht nöthig sein, schon an
 dieser Stelle ausführlicher hierauf einzugehen.</p>
        </div>
        <div>
          <head>§. 18. Weiterbildung der Theorie.</head><lb/>
          <p>In Riemann's eigenem Gedankengange, wie ich ihn vorstehend
 zu schildern versuchte, veranschaulicht die Riemann'sche
 Fläche nicht nur die in Betracht kommenden
 Functionen, sondern sie <hi rendition="#i">definirt</hi> dieselben. Es scheint möglich,
 diese beiden Dinge zu trennen: die Definition der Functionen
 von anderer Seite zu nehmen und die Fläche nur als
 Mittel der Veranschaulichung beizubehalten. Das ist es in der
 That, was von der Mehrzahl der Mathematiker um so lieber
 geschehen ist, als Riemann's Definition der Function bei genauerer
 Untersuchung beträchtliche Schwierigkeiten mit sich
 bringt<note place="foot"><p>Vergl. die betreffenden Bemerkungen der Vorrede.</p></note>.
 Man beginnt also etwa mit der algebraischen Gleichung
 und der Begriffsbestimmung des Integrals, und construirt
 erst hinterher eine zugehörige Riemann'sche Fläche.</p>
          <p>Dann aber ist von selbst eine grosse Verallgemeinerung
 der ursprünglichen Auffassung gegeben. Bislang galten uns
 zwei Flächen nur dann als gleichwerthig, wenn die eine aus
 der anderen durch eindeutige conforme Abbildung entstand.
 Jetzt ist kein Grund mehr, an der Conformität der Abbildung
 festzuhalten. <hi rendition="#i">Jede Fläche, welche durch stetige Abbildung eindeutig
</hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] dass die umgekehrte Auffassung im Grunde ebenso berechtigt ist. Das Studium einförmiger Strömungen auf gegebenen Flächen kann umsomehr als Selbstzweck betrachtet werden, als es bei zahlreichen physikalischen Problemen unmittelbar zu Verwerthung gelangt. In der unendlichen Mannigfaltigkeit dieser Strömungen orientirt uns die Riemann'sche Theorie, indem sie auf den Zusammenhang hinweist, der zwischen diesen Strömungen und den algebraischen Functionen der Analysis statt hat. Wir können endlich den geometrischen Gesichtspunct hervorkehren, und die Riemann'sche Theorie als ein Mittel betrachten, um die Lehre von der conformen Abbildung geschlossener Flächen auf einander der analytischen Behandlung zugänglich zu machen. Eben diese Auffassung ist es, der ich im folgenden, dritten Abschnitte meiner Darstellung Ausdruck zu geben bemüht bin. Es wird nicht nöthig sein, schon an dieser Stelle ausführlicher hierauf einzugehen. §. 18. Weiterbildung der Theorie. In Riemann's eigenem Gedankengange, wie ich ihn vorstehend zu schildern versuchte, veranschaulicht die Riemann'sche Fläche nicht nur die in Betracht kommenden Functionen, sondern sie definirt dieselben. Es scheint möglich, diese beiden Dinge zu trennen: die Definition der Functionen von anderer Seite zu nehmen und die Fläche nur als Mittel der Veranschaulichung beizubehalten. Das ist es in der That, was von der Mehrzahl der Mathematiker um so lieber geschehen ist, als Riemann's Definition der Function bei genauerer Untersuchung beträchtliche Schwierigkeiten mit sich bringt . Man beginnt also etwa mit der algebraischen Gleichung und der Begriffsbestimmung des Integrals, und construirt erst hinterher eine zugehörige Riemann'sche Fläche. Dann aber ist von selbst eine grosse Verallgemeinerung der ursprünglichen Auffassung gegeben. Bislang galten uns zwei Flächen nur dann als gleichwerthig, wenn die eine aus der anderen durch eindeutige conforme Abbildung entstand. Jetzt ist kein Grund mehr, an der Conformität der Abbildung festzuhalten. Jede Fläche, welche durch stetige Abbildung eindeutig Vergl. die betreffenden Bemerkungen der Vorrede.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
gutenberg.org: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde nicht beibehalten, die Silbentrennung wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klein_riemann_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klein_riemann_1882/69
Zitationshilfe: Klein, Felix: Über Riemann's Theorie der Algebraischen Functionen und ihrer Integrale. Leipzig, 1882, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klein_riemann_1882/69>, abgerufen am 26.11.2024.