Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_095.001
Welt dienen; im letztern Falle aber bedenkt man pkl_095.002
nur diejenigen Oden mit dem Namen, deren pkl_095.003
Gegenstand das Lob Gottes ist.
-- Wir sind pkl_095.004
geneigt, die engere Bedeutung als die richtigere pkl_095.005
anzunehmen und dagegen die Gedichte, deren Gegenstand pkl_095.006
die Verherrlichung von etwas Außergöttlichem pkl_095.007
ist, nur Oden, nicht Hymnen zu nennen.

pkl_095.008

Anmerkung. Man könnte zwar sagen, in den zum pkl_095.009
Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten pkl_095.010
sollen nicht diese an sich, sondern nur das Göttliche in pkl_095.011
ihnen
verherrlicht, also gewissermaaßen auch das Lob der pkl_095.012
Gottheit
gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls pkl_095.013
die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes pkl_095.014
erweitern.

pkl_095.015

§. 137. Während in der Ode die Empfindungen pkl_095.016
ausströmen, die die Betrachtung des Großen und pkl_095.017
Erhabenen überhaupt
erzeugt, findet der Dichter pkl_095.018
der Hymne in der unaussprechlichen Größe pkl_095.019
Gottes
den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung pkl_095.020
hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt. pkl_095.021
Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth pkl_095.022
zu wirken vermag, als die Betrachtung der pkl_095.023
Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der pkl_095.024
höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck pkl_095.025
in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen, pkl_095.026
als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall pkl_095.027
sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde pkl_095.028
Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen pkl_095.029
und alle Schranken des irdischen Lebens so pkl_095.030
erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird pkl_095.031
und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz pkl_095.032
verliert -- oder wenn sich neben die anbetende Bewun-

pkl_095.001
Welt dienen; im letztern Falle aber bedenkt man pkl_095.002
nur diejenigen Oden mit dem Namen, deren pkl_095.003
Gegenstand das Lob Gottes ist.
— Wir sind pkl_095.004
geneigt, die engere Bedeutung als die richtigere pkl_095.005
anzunehmen und dagegen die Gedichte, deren Gegenstand pkl_095.006
die Verherrlichung von etwas Außergöttlichem pkl_095.007
ist, nur Oden, nicht Hymnen zu nennen.

pkl_095.008

Anmerkung. Man könnte zwar sagen, in den zum pkl_095.009
Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten pkl_095.010
sollen nicht diese an sich, sondern nur das Göttliche in pkl_095.011
ihnen
verherrlicht, also gewissermaaßen auch das Lob der pkl_095.012
Gottheit
gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls pkl_095.013
die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes pkl_095.014
erweitern.

pkl_095.015

§. 137. Während in der Ode die Empfindungen pkl_095.016
ausströmen, die die Betrachtung des Großen und pkl_095.017
Erhabenen überhaupt
erzeugt, findet der Dichter pkl_095.018
der Hymne in der unaussprechlichen Größe pkl_095.019
Gottes
den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung pkl_095.020
hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt. pkl_095.021
Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth pkl_095.022
zu wirken vermag, als die Betrachtung der pkl_095.023
Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der pkl_095.024
höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck pkl_095.025
in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen, pkl_095.026
als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall pkl_095.027
sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde pkl_095.028
Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen pkl_095.029
und alle Schranken des irdischen Lebens so pkl_095.030
erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird pkl_095.031
und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz pkl_095.032
verliert — oder wenn sich neben die anbetende Bewun-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0121" n="95"/><lb n="pkl_095.001"/>
Welt dienen; im <hi rendition="#g">letztern</hi> Falle aber bedenkt man <lb n="pkl_095.002"/>
nur <hi rendition="#g">diejenigen Oden</hi> mit dem Namen, <hi rendition="#g">deren <lb n="pkl_095.003"/>
Gegenstand das Lob Gottes ist.</hi> &#x2014; Wir sind <lb n="pkl_095.004"/>
geneigt, die <hi rendition="#g">engere</hi> Bedeutung als die <hi rendition="#g">richtigere</hi> <lb n="pkl_095.005"/>
anzunehmen und dagegen <hi rendition="#g">die</hi> Gedichte, deren Gegenstand <lb n="pkl_095.006"/>
die Verherrlichung von etwas <hi rendition="#g">Außergöttlichem</hi> <lb n="pkl_095.007"/>
ist, nur <hi rendition="#g">Oden,</hi> nicht Hymnen zu nennen.</p>
              <lb n="pkl_095.008"/>
              <p><hi rendition="#g">Anmerkung.</hi> Man könnte zwar sagen, in den zum <lb n="pkl_095.009"/>
Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten <lb n="pkl_095.010"/>
sollen nicht diese <hi rendition="#g">an sich,</hi> sondern nur das <hi rendition="#g">Göttliche in <lb n="pkl_095.011"/>
ihnen</hi> verherrlicht, also gewissermaaßen <hi rendition="#g">auch</hi> das <hi rendition="#g">Lob der <lb n="pkl_095.012"/>
Gottheit</hi> gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls <lb n="pkl_095.013"/>
die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes <lb n="pkl_095.014"/>
erweitern.</p>
              <lb n="pkl_095.015"/>
              <p>  §. 137. Während in der <hi rendition="#g">Ode</hi> die Empfindungen <lb n="pkl_095.016"/>
ausströmen, die die <hi rendition="#g">Betrachtung des Großen und <lb n="pkl_095.017"/>
Erhabenen überhaupt</hi> erzeugt, findet der Dichter <lb n="pkl_095.018"/>
der <hi rendition="#g">Hymne</hi> in der <hi rendition="#g">unaussprechlichen Größe <lb n="pkl_095.019"/>
Gottes</hi> den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung <lb n="pkl_095.020"/>
hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt. <lb n="pkl_095.021"/>
Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth <lb n="pkl_095.022"/>
zu wirken vermag, als die Betrachtung der <lb n="pkl_095.023"/>
Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der <lb n="pkl_095.024"/>
höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck <lb n="pkl_095.025"/>
in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen, <lb n="pkl_095.026"/>
als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall <lb n="pkl_095.027"/>
sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde <lb n="pkl_095.028"/>
Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen <lb n="pkl_095.029"/>
und alle Schranken des irdischen Lebens <hi rendition="#g">so</hi> <lb n="pkl_095.030"/>
erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird <lb n="pkl_095.031"/>
und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz <lb n="pkl_095.032"/>
verliert &#x2014; oder wenn sich neben die anbetende Bewun-
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0121] pkl_095.001 Welt dienen; im letztern Falle aber bedenkt man pkl_095.002 nur diejenigen Oden mit dem Namen, deren pkl_095.003 Gegenstand das Lob Gottes ist. — Wir sind pkl_095.004 geneigt, die engere Bedeutung als die richtigere pkl_095.005 anzunehmen und dagegen die Gedichte, deren Gegenstand pkl_095.006 die Verherrlichung von etwas Außergöttlichem pkl_095.007 ist, nur Oden, nicht Hymnen zu nennen. pkl_095.008 Anmerkung. Man könnte zwar sagen, in den zum pkl_095.009 Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten pkl_095.010 sollen nicht diese an sich, sondern nur das Göttliche in pkl_095.011 ihnen verherrlicht, also gewissermaaßen auch das Lob der pkl_095.012 Gottheit gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls pkl_095.013 die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes pkl_095.014 erweitern. pkl_095.015 §. 137. Während in der Ode die Empfindungen pkl_095.016 ausströmen, die die Betrachtung des Großen und pkl_095.017 Erhabenen überhaupt erzeugt, findet der Dichter pkl_095.018 der Hymne in der unaussprechlichen Größe pkl_095.019 Gottes den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung pkl_095.020 hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt. pkl_095.021 Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth pkl_095.022 zu wirken vermag, als die Betrachtung der pkl_095.023 Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der pkl_095.024 höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck pkl_095.025 in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen, pkl_095.026 als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall pkl_095.027 sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde pkl_095.028 Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen pkl_095.029 und alle Schranken des irdischen Lebens so pkl_095.030 erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird pkl_095.031 und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz pkl_095.032 verliert — oder wenn sich neben die anbetende Bewun-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/121
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/121>, abgerufen am 21.11.2024.