Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_135.001 pkl_135.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0161" n="135"/><lb n="pkl_135.001"/> kann nur dem kranken Gemüth Heilung, dem gesunden <lb n="pkl_135.002"/> keine Nahrung geben; sie kann nicht beleben, nur besänftigen. <lb n="pkl_135.003"/> Diesen in dem Wesen der Jdylle gegründeten <lb n="pkl_135.004"/> Mangel hat alle Kunst der Poeten nicht gut machen <lb n="pkl_135.005"/> können.“ Wir können die hier aufgeführten Mängel <lb n="pkl_135.006"/> der Jdylle, sofern <hi rendition="#g">Schiller</hi> unter letzterer bloß das <lb n="pkl_135.007"/> eigentliche Schäfergedicht verstand, nicht in Abrede <lb n="pkl_135.008"/> stellen, doch sind wir keineswegs geneigt, der idyllischen <lb n="pkl_135.009"/> Poesie überhaupt deshalb den Stab zu brechen. Welches <lb n="pkl_135.010"/> Gemüth, — das hinein geworfen ist in ein bewegtes, <lb n="pkl_135.011"/> arbeitreiches, ruheloses Leben, oder eingeengt durch die <lb n="pkl_135.012"/> Zwangsjacke der Etiquette, oder berauscht durch endlose, <lb n="pkl_135.013"/> lärmende Vergnügungen, — suchte nicht gern zu <lb n="pkl_135.014"/> Zeiten in der Stille des Landlebens, im Umgang mit <lb n="pkl_135.015"/> einfachen, den konventionellen Verschrobenheiten fernen <lb n="pkl_135.016"/> Menschen, im Frieden der Natur Erholung, Freiheit <lb n="pkl_135.017"/> und Ruhe? Wie aber die wirkliche Jdylle des Lebens, <lb n="pkl_135.018"/> so hat auch der poetische Spiegel derselben einen hohen <lb n="pkl_135.019"/> Reiz und auch für gesunde Gemüther einen unbestreitbaren <lb n="pkl_135.020"/> Werth. Je reiner und treuer dieser Spiegel ist, <lb n="pkl_135.021"/> je mehr er unserem ländlichen und bürgerlichen Leben <lb n="pkl_135.022"/> entspricht, je höher ist dieser Werth. Freilich Süßlichkeiten <lb n="pkl_135.023"/> <hi rendition="#aq">à la</hi> <hi rendition="#g">Geßner</hi> müssen uns zuwider sein; aber <lb n="pkl_135.024"/> haben wir nicht mehr als <hi rendition="#g">Geßner</hi> und Consorten? Besitzen <lb n="pkl_135.025"/> wir nicht an solchen idyllenartigen Gedichten, die <lb n="pkl_135.026"/> ihren Stoff aus dem Leben der Gegenwart schöpften, <lb n="pkl_135.027"/> wie <hi rendition="#g">Göthe's</hi> Hermann und Dorothea, <hi rendition="#g">Voß</hi> Luise <lb n="pkl_135.028"/> und siebenzigster Geburtstag, <hi rendition="#g">Kosegarten's</hi> Jucunde, <lb n="pkl_135.029"/> <hi rendition="#g">Eberhard's</hi> Hannchen, <hi rendition="#g">Neufer's</hi> Tag auf dem <lb n="pkl_135.030"/> Lande &c. einen theuren Schatz? Hat nicht <hi rendition="#g">Göthe</hi> <lb n="pkl_135.031"/> selbst erklärt, unter allen seinen Werken sei es nur </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0161]
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kann nur dem kranken Gemüth Heilung, dem gesunden pkl_135.002
keine Nahrung geben; sie kann nicht beleben, nur besänftigen. pkl_135.003
Diesen in dem Wesen der Jdylle gegründeten pkl_135.004
Mangel hat alle Kunst der Poeten nicht gut machen pkl_135.005
können.“ Wir können die hier aufgeführten Mängel pkl_135.006
der Jdylle, sofern Schiller unter letzterer bloß das pkl_135.007
eigentliche Schäfergedicht verstand, nicht in Abrede pkl_135.008
stellen, doch sind wir keineswegs geneigt, der idyllischen pkl_135.009
Poesie überhaupt deshalb den Stab zu brechen. Welches pkl_135.010
Gemüth, — das hinein geworfen ist in ein bewegtes, pkl_135.011
arbeitreiches, ruheloses Leben, oder eingeengt durch die pkl_135.012
Zwangsjacke der Etiquette, oder berauscht durch endlose, pkl_135.013
lärmende Vergnügungen, — suchte nicht gern zu pkl_135.014
Zeiten in der Stille des Landlebens, im Umgang mit pkl_135.015
einfachen, den konventionellen Verschrobenheiten fernen pkl_135.016
Menschen, im Frieden der Natur Erholung, Freiheit pkl_135.017
und Ruhe? Wie aber die wirkliche Jdylle des Lebens, pkl_135.018
so hat auch der poetische Spiegel derselben einen hohen pkl_135.019
Reiz und auch für gesunde Gemüther einen unbestreitbaren pkl_135.020
Werth. Je reiner und treuer dieser Spiegel ist, pkl_135.021
je mehr er unserem ländlichen und bürgerlichen Leben pkl_135.022
entspricht, je höher ist dieser Werth. Freilich Süßlichkeiten pkl_135.023
à la Geßner müssen uns zuwider sein; aber pkl_135.024
haben wir nicht mehr als Geßner und Consorten? Besitzen pkl_135.025
wir nicht an solchen idyllenartigen Gedichten, die pkl_135.026
ihren Stoff aus dem Leben der Gegenwart schöpften, pkl_135.027
wie Göthe's Hermann und Dorothea, Voß Luise pkl_135.028
und siebenzigster Geburtstag, Kosegarten's Jucunde, pkl_135.029
Eberhard's Hannchen, Neufer's Tag auf dem pkl_135.030
Lande &c. einen theuren Schatz? Hat nicht Göthe pkl_135.031
selbst erklärt, unter allen seinen Werken sei es nur
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