Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_168.001
Unterschied beider klarer und gründlicher dargestellt, pkl_168.002
als Hoffmeister in seinem ausgezeichneten Buche: pkl_168.003
"Schiller's Leben, Geistesentwickelung und Werke." pkl_168.004
Jndem wir uns in dem Folgenden auf ihn beziehen, pkl_168.005
können wir nicht umhin, hier die Gefühle der tiefsten pkl_168.006
Hochachtung und Dankbarkeit gegen diesen Schriftsteller pkl_168.007
aussprechen, der durch seine Leistung seinen Namen und pkl_168.008
seinen Ruhm neben den unsers unsterblichen Schiller pkl_168.009
gestellt hat.

pkl_168.010

§. 230. Sowohl in der antiken, als in der pkl_168.011
modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt, pkl_168.012
wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden pkl_168.013
feindlichen Macht, seiner menschlichen pkl_168.014
Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt, pkl_168.015
während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz pkl_168.016
nach unterliegt.
Je nach der Verschiedenheit pkl_168.017
dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter pkl_168.018
der Tragödie verschieden. Bei den Griechen war diese pkl_168.019
Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung pkl_168.020
der Dinge, das Schicksal, das Verhängniß, pkl_168.021
das Fatum, dem selbst die Götter (die ja überhaupt pkl_168.022
nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen pkl_168.023
und nicht geeinten Willen sich unterwerfen pkl_168.024
mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit pkl_168.025
solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt pkl_168.026
wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche pkl_168.027
hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die pkl_168.028
Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung pkl_168.029
zum Uebersinnlichen. Die ganze Auffassung, pkl_168.030
wie die Darstellung der Handlung war idealisch: pkl_168.031
während die Jdee der sittlichen Freiheit des

pkl_168.001
Unterschied beider klarer und gründlicher dargestellt, pkl_168.002
als Hoffmeister in seinem ausgezeichneten Buche: pkl_168.003
Schiller's Leben, Geistesentwickelung und Werke.“ pkl_168.004
Jndem wir uns in dem Folgenden auf ihn beziehen, pkl_168.005
können wir nicht umhin, hier die Gefühle der tiefsten pkl_168.006
Hochachtung und Dankbarkeit gegen diesen Schriftsteller pkl_168.007
aussprechen, der durch seine Leistung seinen Namen und pkl_168.008
seinen Ruhm neben den unsers unsterblichen Schiller pkl_168.009
gestellt hat.

pkl_168.010

§. 230. Sowohl in der antiken, als in der pkl_168.011
modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt, pkl_168.012
wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden pkl_168.013
feindlichen Macht, seiner menschlichen pkl_168.014
Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt, pkl_168.015
während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz pkl_168.016
nach unterliegt.
Je nach der Verschiedenheit pkl_168.017
dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter pkl_168.018
der Tragödie verschieden. Bei den Griechen war diese pkl_168.019
Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung pkl_168.020
der Dinge, das Schicksal, das Verhängniß, pkl_168.021
das Fatum, dem selbst die Götter (die ja überhaupt pkl_168.022
nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen pkl_168.023
und nicht geeinten Willen sich unterwerfen pkl_168.024
mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit pkl_168.025
solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt pkl_168.026
wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche pkl_168.027
hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die pkl_168.028
Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung pkl_168.029
zum Uebersinnlichen. Die ganze Auffassung, pkl_168.030
wie die Darstellung der Handlung war idealisch: pkl_168.031
während die Jdee der sittlichen Freiheit des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0194" n="168"/><lb n="pkl_168.001"/>
Unterschied beider klarer und gründlicher dargestellt, <lb n="pkl_168.002"/>
als <hi rendition="#g">Hoffmeister</hi> in seinem ausgezeichneten Buche: <lb n="pkl_168.003"/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Schiller's</hi> Leben, Geistesentwickelung und Werke.&#x201C; <lb n="pkl_168.004"/>
Jndem wir uns in dem Folgenden auf ihn beziehen, <lb n="pkl_168.005"/>
können wir nicht umhin, hier die Gefühle der tiefsten <lb n="pkl_168.006"/>
Hochachtung und Dankbarkeit gegen diesen Schriftsteller <lb n="pkl_168.007"/>
aussprechen, der durch seine Leistung seinen Namen und <lb n="pkl_168.008"/>
seinen Ruhm neben den unsers unsterblichen <hi rendition="#g">Schiller</hi> <lb n="pkl_168.009"/>
gestellt hat.</p>
              <lb n="pkl_168.010"/>
              <p>  §. 230. Sowohl in der <hi rendition="#g">antiken,</hi> als in der <lb n="pkl_168.011"/> <hi rendition="#g">modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt, <lb n="pkl_168.012"/>
wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden <lb n="pkl_168.013"/>
feindlichen Macht, seiner menschlichen <lb n="pkl_168.014"/>
Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt, <lb n="pkl_168.015"/>
während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz <lb n="pkl_168.016"/>
nach unterliegt.</hi> Je nach der Verschiedenheit <lb n="pkl_168.017"/>
dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter <lb n="pkl_168.018"/>
der Tragödie verschieden. Bei den <hi rendition="#g">Griechen</hi> war diese <lb n="pkl_168.019"/>
Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung <lb n="pkl_168.020"/>
der Dinge, das <hi rendition="#g">Schicksal,</hi> das <hi rendition="#g">Verhängniß,</hi> <lb n="pkl_168.021"/>
das <hi rendition="#g">Fatum,</hi> dem selbst die Götter (die ja überhaupt <lb n="pkl_168.022"/>
nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen <lb n="pkl_168.023"/>
und nicht geeinten Willen sich unterwerfen <lb n="pkl_168.024"/>
mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit <lb n="pkl_168.025"/>
solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt <lb n="pkl_168.026"/>
wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche <lb n="pkl_168.027"/>
hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die <lb n="pkl_168.028"/>
Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung <lb n="pkl_168.029"/>
zum Uebersinnlichen. Die ganze <hi rendition="#g">Auffassung,</hi> <lb n="pkl_168.030"/>
wie die <hi rendition="#g">Darstellung</hi> der Handlung war <hi rendition="#g">idealisch:</hi> <lb n="pkl_168.031"/>
während die <hi rendition="#g">Jdee der sittlichen Freiheit</hi> des
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0194] pkl_168.001 Unterschied beider klarer und gründlicher dargestellt, pkl_168.002 als Hoffmeister in seinem ausgezeichneten Buche: pkl_168.003 „Schiller's Leben, Geistesentwickelung und Werke.“ pkl_168.004 Jndem wir uns in dem Folgenden auf ihn beziehen, pkl_168.005 können wir nicht umhin, hier die Gefühle der tiefsten pkl_168.006 Hochachtung und Dankbarkeit gegen diesen Schriftsteller pkl_168.007 aussprechen, der durch seine Leistung seinen Namen und pkl_168.008 seinen Ruhm neben den unsers unsterblichen Schiller pkl_168.009 gestellt hat. pkl_168.010 §. 230. Sowohl in der antiken, als in der pkl_168.011 modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt, pkl_168.012 wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden pkl_168.013 feindlichen Macht, seiner menschlichen pkl_168.014 Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt, pkl_168.015 während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz pkl_168.016 nach unterliegt. Je nach der Verschiedenheit pkl_168.017 dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter pkl_168.018 der Tragödie verschieden. Bei den Griechen war diese pkl_168.019 Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung pkl_168.020 der Dinge, das Schicksal, das Verhängniß, pkl_168.021 das Fatum, dem selbst die Götter (die ja überhaupt pkl_168.022 nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen pkl_168.023 und nicht geeinten Willen sich unterwerfen pkl_168.024 mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit pkl_168.025 solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt pkl_168.026 wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche pkl_168.027 hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die pkl_168.028 Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung pkl_168.029 zum Uebersinnlichen. Die ganze Auffassung, pkl_168.030 wie die Darstellung der Handlung war idealisch: pkl_168.031 während die Jdee der sittlichen Freiheit des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/194
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/194>, abgerufen am 01.05.2024.