pkl_172.001 Gefühl der Nichtigkeit unseres irdischen Strebens und pkl_172.002 Lebens muß uns durchdringen und niederdrücken, zugleich pkl_172.003 aber das Bewußtsein, daß der sittliche Wille des pkl_172.004 Menschen auch im Mißgeschick und bis in den Tod vor pkl_172.005 keiner Macht der Welt sich zu beugen braucht, uns pkl_172.006 halten, stärken und erheben. Jn dieser Stimmung, pkl_172.007 worin die wahre Tragödie den nicht gar zu verhärteten pkl_172.008 Zuschauer versetzt, pflegt derselbe denn auch unwillkührlich pkl_172.009 seinen Blick auf das bessere Jenseits zu richten, pkl_172.010 das für die Widerwärtigkeiten dieses Lebens entschädigen pkl_172.011 und Alles, was hier dunkel ist, in hellem Lichte zeigen pkl_172.012 soll.
pkl_172.013
Jn Rücksicht der Wahl des Stoffs lassen sich beschränkende pkl_172.014 Vorschriften zwar nicht aufstellen, doch pkl_172.015 möchte es im Allgemeinen immer zweckmäßiger sein, pkl_172.016 wenn der Dichter seinen Helden den höheren Kreisen pkl_172.017 der Gesellschaft entnimmt und die Handlung in deren pkl_172.018 Bereich vor sich gehen läßt. Hier finden sich im Ganzen pkl_172.019 immer schärfer ausgeprägte Jndividualitäten, die pkl_172.020 überdieß nicht, wie die Menschen niederer Klassen, durch pkl_172.021 kleinliche Verhältnisse eingeengt und gebunden werden. pkl_172.022 Deshalb konnte das sogenannte bürgerliche Trauerspiel,pkl_172.023 das sich in den niederern Lebenskreisenpkl_172.024 oder in dem engen Bezirk der Familie bewegt, pkl_172.025 kein dauerndes Glück machen.
pkl_172.026
§. 233. Die Form der Tragödie ist fast immer pkl_172.027 metrisch; und zwar ist größtentheils der fünffüßige pkl_172.028 Jambus gebraucht. Jndeß finden sich auch Tragödien pkl_172.029 in Prosa, in vierfüßigen Trochäen und in gemischten pkl_172.030 Versarten.
pkl_172.031
§. 234. Erst durch Lessing's Leistungen ist der
pkl_172.001 Gefühl der Nichtigkeit unseres irdischen Strebens und pkl_172.002 Lebens muß uns durchdringen und niederdrücken, zugleich pkl_172.003 aber das Bewußtsein, daß der sittliche Wille des pkl_172.004 Menschen auch im Mißgeschick und bis in den Tod vor pkl_172.005 keiner Macht der Welt sich zu beugen braucht, uns pkl_172.006 halten, stärken und erheben. Jn dieser Stimmung, pkl_172.007 worin die wahre Tragödie den nicht gar zu verhärteten pkl_172.008 Zuschauer versetzt, pflegt derselbe denn auch unwillkührlich pkl_172.009 seinen Blick auf das bessere Jenseits zu richten, pkl_172.010 das für die Widerwärtigkeiten dieses Lebens entschädigen pkl_172.011 und Alles, was hier dunkel ist, in hellem Lichte zeigen pkl_172.012 soll.
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Jn Rücksicht der Wahl des Stoffs lassen sich beschränkende pkl_172.014 Vorschriften zwar nicht aufstellen, doch pkl_172.015 möchte es im Allgemeinen immer zweckmäßiger sein, pkl_172.016 wenn der Dichter seinen Helden den höheren Kreisen pkl_172.017 der Gesellschaft entnimmt und die Handlung in deren pkl_172.018 Bereich vor sich gehen läßt. Hier finden sich im Ganzen pkl_172.019 immer schärfer ausgeprägte Jndividualitäten, die pkl_172.020 überdieß nicht, wie die Menschen niederer Klassen, durch pkl_172.021 kleinliche Verhältnisse eingeengt und gebunden werden. pkl_172.022 Deshalb konnte das sogenannte bürgerliche Trauerspiel,pkl_172.023 das sich in den niederern Lebenskreisenpkl_172.024 oder in dem engen Bezirk der Familie bewegt, pkl_172.025 kein dauerndes Glück machen.
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oder in dem engen Bezirk der Familie bewegt, pkl_172.025
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§. 233. Die Form der Tragödie ist fast immer pkl_172.027
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Jambus gebraucht. Jndeß finden sich auch Tragödien pkl_172.029
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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/198>, abgerufen am 16.02.2025.
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