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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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§. 66. 2) Das Versmaaß gereimter Dichtungen pkl_049.002
muß einfach, die Verschlingung der pkl_049.003
reimenden Verse darf nicht zu verwickelt pkl_049.004
sein.
-- Am wenigsten paßt der Reim für die, den pkl_049.005
quantitirenden Sprachen entnommenen Odenversmaaße, pkl_049.006
auch gereimte Hexameter und Pentameter dürften pkl_049.007
leicht einen unangenehmen Eindruck machen. Ganz pkl_049.008
bestimmt darf man aber auch über diesen Punkt nicht pkl_049.009
absprechen. Der Binnenreim wenigstens wurde mitunter pkl_049.010
auch von den Alten angewendet und auch ein pkl_049.011
Reim-Spondeus am Ende des Hexameters scheint pkl_049.012
uns den Charakter dieses Verses wenig zu beeinträchtigen.

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Beispiele:

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1)

Bertha, du lose, zerpflückst du die Rose, die Wilhelm pkl_049.016
   dir abbrach?
pkl_049.017
Wahrlich, indem ich es seh', thut's in der Seele mir weh!
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L. Wiese.

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2)

Einzug hält nun der König in seines Königthums Haupt   stadt. pkl_049.020
pkl_049.021
Wo man, daß er schon jetzt zurückkäm, schwerlich ge- pkl_049.022
   glaubt hat.
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Derselbe.

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Ueberhaupt läßt sich der Grundsatz, daß nur bei pkl_049.025
kürzern Versen der Reim anzuwenden sei, nicht aufstellen, pkl_049.026
eine große Menge von Dichtungen unserer pkl_049.027
größten Poeten beweist, wie auch in längern Verszeilen pkl_049.028
der gute Reim seine Wirksamkeit behauptet. pkl_049.029
Daß aber die Wirkung stärker wird, je näher sich die pkl_049.030
reimenden Wörter stehen, leidet keinen Zweifel, und pkl_049.031
jedenfalls wird der Eindruck des Reims ein sehr matter pkl_049.032
sein, wenn die reimenden Verse weit auseinander pkl_049.033
liegen. Das tritt z. B. schon in der Canzone hervor.

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§. 66. 2) Das Versmaaß gereimter Dichtungen pkl_049.002
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Beispiele:

pkl_049.015

1)

Bertha, du lose, zerpflückst du die Rose, die Wilhelm pkl_049.016
   dir abbrach?
pkl_049.017
Wahrlich, indem ich es seh', thut's in der Seele mir weh!
pkl_049.018
L. Wiese.

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2)

Einzug hält nun der König in seines Königthums Haupt   stadt. pkl_049.020
pkl_049.021
Wo man, daß er schon jetzt zurückkäm, schwerlich ge- pkl_049.022
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[49/0075] pkl_049.001 §. 66. 2) Das Versmaaß gereimter Dichtungen pkl_049.002 muß einfach, die Verschlingung der pkl_049.003 reimenden Verse darf nicht zu verwickelt pkl_049.004 sein. — Am wenigsten paßt der Reim für die, den pkl_049.005 quantitirenden Sprachen entnommenen Odenversmaaße, pkl_049.006 auch gereimte Hexameter und Pentameter dürften pkl_049.007 leicht einen unangenehmen Eindruck machen. Ganz pkl_049.008 bestimmt darf man aber auch über diesen Punkt nicht pkl_049.009 absprechen. Der Binnenreim wenigstens wurde mitunter pkl_049.010 auch von den Alten angewendet und auch ein pkl_049.011 Reim-Spondeus am Ende des Hexameters scheint pkl_049.012 uns den Charakter dieses Verses wenig zu beeinträchtigen. pkl_049.013 pkl_049.014 Beispiele: pkl_049.015 1) Bertha, du lose, zerpflückst du die Rose, die Wilhelm pkl_049.016 dir abbrach? pkl_049.017 Wahrlich, indem ich es seh', thut's in der Seele mir weh! pkl_049.018 L. Wiese. pkl_049.019 2) Einzug hält nun der König in seines Königthums Haupt stadt. pkl_049.020 pkl_049.021 Wo man, daß er schon jetzt zurückkäm, schwerlich ge- pkl_049.022 glaubt hat. pkl_049.023 Derselbe. pkl_049.024 Ueberhaupt läßt sich der Grundsatz, daß nur bei pkl_049.025 kürzern Versen der Reim anzuwenden sei, nicht aufstellen, pkl_049.026 eine große Menge von Dichtungen unserer pkl_049.027 größten Poeten beweist, wie auch in längern Verszeilen pkl_049.028 der gute Reim seine Wirksamkeit behauptet. pkl_049.029 Daß aber die Wirkung stärker wird, je näher sich die pkl_049.030 reimenden Wörter stehen, leidet keinen Zweifel, und pkl_049.031 jedenfalls wird der Eindruck des Reims ein sehr matter pkl_049.032 sein, wenn die reimenden Verse weit auseinander pkl_049.033 liegen. Das tritt z. B. schon in der Canzone hervor.

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/75>, abgerufen am 05.05.2024.