Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
den. -- Drei hintereinander folgende Nächte, wäh-
rend welcher seine Mutter nicht von seinem Bette
wich, erzählte er ihr, ihm sei ein Engel erschienen
und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver-
traue! Auf der Gräfin Frage: ob sein Herz sich, durch
diesen Zuruf des Himmlischen, nicht gestärkt fühle?
antwortete er: Gestärkt? Nein! -- und mit einem
Seufzer setzte er hinzu: "doch! doch, Mutter! Wenn
ich sie werde gesehen haben!" -- Die Gräfin fragt:
und wirst du sie sehen? "Gewiß!" antwortet er.
Wann? fragt sie. Wo? -- In der Sylvesternacht,
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr
führen. Wer? fragt sie, Lieber; zu wem? Der Engel,
spricht er, zu meinem Mädchen -- wendet sich und
schläft ein.
Kunigunde.
Geschwätz!
Rosalie.
Hört sie nur weiter. -- Nun?
Brigitte.
Drauf in der Sylvesternacht, in dem Augenblick,
da eben das Jahr wechselt, hebt er sich halb vom La-
ger empor, starrt, als ob er eine Erscheinung hätte, ins
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt:
"Mutter! Mutter! Mutter!" spricht er. Was giebt's?
fragt sie. "Dort! Dort!" Wo? "Geschwind!"
spricht
den. — Drei hintereinander folgende Nächte, wäh-
rend welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette
wich, erzählte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen
und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver-
traue! Auf der Gräfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch
dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtärkt fühle?
antwortete er: Geſtärkt? Nein! — und mit einem
Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter! Wenn
ich ſie werde geſehen haben!“ — Die Gräfin fragt:
und wirſt du ſie ſehen? „Gewiß!“ antwortet er.
Wann? fragt ſie. Wo? — In der Sylveſternacht,
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr
führen. Wer? fragt ſie, Lieber; zu wem? Der Engel,
ſpricht er, zu meinem Mädchen — wendet ſich und
ſchläft ein.
Kunigunde.
Geſchwätz!
Roſalie.
Hört ſie nur weiter. — Nun?
Brigitte.
Drauf in der Sylveſternacht, in dem Augenblick,
da eben das Jahr wechſelt, hebt er ſich halb vom La-
ger empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung hätte, ins
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt:
„Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er. Was giebt's?
fragt ſie. „Dort! Dort!“ Wo? „Geſchwind!“
ſpricht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#BRI">
            <p><pb facs="#f0086" n="80"/>
den. &#x2014; Drei hintereinander folgende Nächte, wäh-<lb/>
rend welcher &#x017F;eine Mutter nicht von &#x017F;einem Bette<lb/>
wich, erzählte er ihr, ihm &#x017F;ei ein Engel er&#x017F;chienen<lb/>
und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver-<lb/>
traue! Auf der Gräfin Frage: ob &#x017F;ein Herz &#x017F;ich, durch<lb/>
die&#x017F;en Zuruf des Himmli&#x017F;chen, nicht ge&#x017F;tärkt fühle?<lb/>
antwortete er: Ge&#x017F;tärkt? Nein! &#x2014; und mit einem<lb/>
Seufzer &#x017F;etzte er hinzu: &#x201E;doch! doch, Mutter! Wenn<lb/>
ich &#x017F;ie werde ge&#x017F;ehen haben!&#x201C; &#x2014; Die Gräfin fragt:<lb/>
und wir&#x017F;t du &#x017F;ie &#x017F;ehen? &#x201E;Gewiß!&#x201C; antwortet er.<lb/>
Wann? fragt &#x017F;ie. Wo? &#x2014; In der Sylve&#x017F;ternacht,<lb/>
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr<lb/>
führen. Wer? fragt &#x017F;ie, Lieber; zu wem? Der Engel,<lb/>
&#x017F;pricht er, zu meinem Mädchen &#x2014; wendet &#x017F;ich und<lb/>
&#x017F;chläft ein.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KUN">
            <speaker><hi rendition="#g">Kunigunde</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Ge&#x017F;chwätz!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ROS">
            <speaker><hi rendition="#g">Ro&#x017F;alie</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Hört &#x017F;ie nur weiter. &#x2014; Nun?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#BRI">
            <speaker><hi rendition="#g">Brigitte</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Drauf in der Sylve&#x017F;ternacht, in dem Augenblick,<lb/>
da eben das Jahr wech&#x017F;elt, hebt er &#x017F;ich halb vom La-<lb/>
ger empor, &#x017F;tarrt, als ob er eine Er&#x017F;cheinung hätte, ins<lb/>
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt:<lb/>
&#x201E;Mutter! Mutter! Mutter!&#x201C; &#x017F;pricht er. Was giebt's?<lb/>
fragt &#x017F;ie. &#x201E;Dort! Dort!&#x201C; Wo? &#x201E;Ge&#x017F;chwind!&#x201C;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;pricht</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0086] den. — Drei hintereinander folgende Nächte, wäh- rend welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette wich, erzählte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver- traue! Auf der Gräfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtärkt fühle? antwortete er: Geſtärkt? Nein! — und mit einem Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter! Wenn ich ſie werde geſehen haben!“ — Die Gräfin fragt: und wirſt du ſie ſehen? „Gewiß!“ antwortet er. Wann? fragt ſie. Wo? — In der Sylveſternacht, wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr führen. Wer? fragt ſie, Lieber; zu wem? Der Engel, ſpricht er, zu meinem Mädchen — wendet ſich und ſchläft ein. Kunigunde. Geſchwätz! Roſalie. Hört ſie nur weiter. — Nun? Brigitte. Drauf in der Sylveſternacht, in dem Augenblick, da eben das Jahr wechſelt, hebt er ſich halb vom La- ger empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung hätte, ins Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt: „Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er. Was giebt's? fragt ſie. „Dort! Dort!“ Wo? „Geſchwind!“ ſpricht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_kaethchen_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_kaethchen_1810/86
Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_kaethchen_1810/86>, abgerufen am 16.05.2024.