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Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sei, in welchem er geglaubt habe seine Rettung zu finden. Toni! sagte die Mutter, indem sie die Arme in die Seite stemmte und dieselbe mit großen Augen ansah. -- Gewiß! erwiderte Toni, indem sie die Stimme senkte. Was hat uns dieser Jüngling, der von Geburt gar nicht einmal ein Franzose, sondern, wie wir gesehen haben, ein Schweizer ist, zu Leide gethan, daß wir nach Art der Räuber über ihn herfallen, ihn tödten und ausplündern wollen? Gelten die Beschwerden, die man hier gegen die Pflanzer führt, auch in der Gegend der Insel, aus welcher er herkömmt? Zeigt nicht vielmehr Alles, daß er der edelste und vortrefflichste Mensch ist und gewiß das Unrecht, das die Schwarzen seiner Gattung vorwerfen mögen, auf keine Weise theilt? -- Die Alte, während sie den sonderbaren Ausdruck des Mädchens betrachtete, sagte bloß mit bebenden Lippen, daß sie erstaune. Sie fragte, was der junge Portugiese verschuldet, den man unter dem Thorweg kürzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe. Sie fragte, was die beiden Holländer verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe gefallen wären? Sie wollte wissen, was man den drei Franzosen und so vielen andern einzelnen Flüchtlingen vom Geschlecht der Weißen zur Last gelegt habe, die mit Büchsen, Spießen und Dolchen seit dem Ausbruch der Empörung im Hause hingerichtet worden wären. -- Beim Lichte der Sonne, sagte die Tochter, indem sie wild aufstand, du hast sehr Unrecht, mich an diese Gräuelthaten zu erinnern! Die

sei, in welchem er geglaubt habe seine Rettung zu finden. Toni! sagte die Mutter, indem sie die Arme in die Seite stemmte und dieselbe mit großen Augen ansah. — Gewiß! erwiderte Toni, indem sie die Stimme senkte. Was hat uns dieser Jüngling, der von Geburt gar nicht einmal ein Franzose, sondern, wie wir gesehen haben, ein Schweizer ist, zu Leide gethan, daß wir nach Art der Räuber über ihn herfallen, ihn tödten und ausplündern wollen? Gelten die Beschwerden, die man hier gegen die Pflanzer führt, auch in der Gegend der Insel, aus welcher er herkömmt? Zeigt nicht vielmehr Alles, daß er der edelste und vortrefflichste Mensch ist und gewiß das Unrecht, das die Schwarzen seiner Gattung vorwerfen mögen, auf keine Weise theilt? — Die Alte, während sie den sonderbaren Ausdruck des Mädchens betrachtete, sagte bloß mit bebenden Lippen, daß sie erstaune. Sie fragte, was der junge Portugiese verschuldet, den man unter dem Thorweg kürzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe. Sie fragte, was die beiden Holländer verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe gefallen wären? Sie wollte wissen, was man den drei Franzosen und so vielen andern einzelnen Flüchtlingen vom Geschlecht der Weißen zur Last gelegt habe, die mit Büchsen, Spießen und Dolchen seit dem Ausbruch der Empörung im Hause hingerichtet worden wären. — Beim Lichte der Sonne, sagte die Tochter, indem sie wild aufstand, du hast sehr Unrecht, mich an diese Gräuelthaten zu erinnern! Die

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[0036] sei, in welchem er geglaubt habe seine Rettung zu finden. Toni! sagte die Mutter, indem sie die Arme in die Seite stemmte und dieselbe mit großen Augen ansah. — Gewiß! erwiderte Toni, indem sie die Stimme senkte. Was hat uns dieser Jüngling, der von Geburt gar nicht einmal ein Franzose, sondern, wie wir gesehen haben, ein Schweizer ist, zu Leide gethan, daß wir nach Art der Räuber über ihn herfallen, ihn tödten und ausplündern wollen? Gelten die Beschwerden, die man hier gegen die Pflanzer führt, auch in der Gegend der Insel, aus welcher er herkömmt? Zeigt nicht vielmehr Alles, daß er der edelste und vortrefflichste Mensch ist und gewiß das Unrecht, das die Schwarzen seiner Gattung vorwerfen mögen, auf keine Weise theilt? — Die Alte, während sie den sonderbaren Ausdruck des Mädchens betrachtete, sagte bloß mit bebenden Lippen, daß sie erstaune. Sie fragte, was der junge Portugiese verschuldet, den man unter dem Thorweg kürzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe. Sie fragte, was die beiden Holländer verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln der Neger im Hofe gefallen wären? Sie wollte wissen, was man den drei Franzosen und so vielen andern einzelnen Flüchtlingen vom Geschlecht der Weißen zur Last gelegt habe, die mit Büchsen, Spießen und Dolchen seit dem Ausbruch der Empörung im Hause hingerichtet worden wären. — Beim Lichte der Sonne, sagte die Tochter, indem sie wild aufstand, du hast sehr Unrecht, mich an diese Gräuelthaten zu erinnern! Die

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/36>, abgerufen am 19.04.2024.