Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Erde finden, um mich darauf niederzulassen, so
sehr hatten sie jede Handbreit unter sich zer-
theilt und zerstückelt, und wollten schlechter-
dings von dem Naturrechte, als dem einzigen
allgemeinen und positiven nichts wissen, son-
dern hatten in jedem Winkelchen ihr besonde-
res Recht und ihren besondern Glauben; in
Sparta besangen sie den Dieb, je kunstfertiger
er zu stehlen verstand, und nebenan in Athen
hingen sie ihn auf.

Zu etwas mußte ich indeß greifen um nicht
zu verhungern, hatten sie doch alles freie Ge-
meingut der Natur bis auf die Vögel unterm
Himmel und die Fische im Wasser an sich ge-
rissen, und wollten mir kein Fruchtkorn zuge-
stehen ohne gute baare Bezahlung. Ich wählte
das erste beste Fach, worin ich sie und ihr
Treiben besingen konnte, und wurde Rhapsode
wie der blinde Homer, der auch als Bänkel-
sänger umherziehen mußte.

Blut lieben sie über die Maaßen, und
wenn sie es auch nicht selbst vergießen, so mö-

Erde finden, um mich darauf niederzulaſſen, ſo
ſehr hatten ſie jede Handbreit unter ſich zer-
theilt und zerſtuͤckelt, und wollten ſchlechter-
dings von dem Naturrechte, als dem einzigen
allgemeinen und poſitiven nichts wiſſen, ſon-
dern hatten in jedem Winkelchen ihr beſonde-
res Recht und ihren beſondern Glauben; in
Sparta beſangen ſie den Dieb, je kunſtfertiger
er zu ſtehlen verſtand, und nebenan in Athen
hingen ſie ihn auf.

Zu etwas mußte ich indeß greifen um nicht
zu verhungern, hatten ſie doch alles freie Ge-
meingut der Natur bis auf die Voͤgel unterm
Himmel und die Fiſche im Waſſer an ſich ge-
riſſen, und wollten mir kein Fruchtkorn zuge-
ſtehen ohne gute baare Bezahlung. Ich waͤhlte
das erſte beſte Fach, worin ich ſie und ihr
Treiben beſingen konnte, und wurde Rhapſode
wie der blinde Homer, der auch als Baͤnkel-
ſaͤnger umherziehen mußte.

Blut lieben ſie uͤber die Maaßen, und
wenn ſie es auch nicht ſelbſt vergießen, ſo moͤ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="121"/>
Erde finden, um mich darauf niederzula&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr hatten &#x017F;ie jede Handbreit unter &#x017F;ich zer-<lb/>
theilt und zer&#x017F;tu&#x0364;ckelt, und wollten &#x017F;chlechter-<lb/>
dings von dem Naturrechte, als dem einzigen<lb/>
allgemeinen und po&#x017F;itiven nichts wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;on-<lb/>
dern hatten in jedem Winkelchen ihr be&#x017F;onde-<lb/>
res Recht und ihren be&#x017F;ondern Glauben; in<lb/>
Sparta be&#x017F;angen &#x017F;ie den Dieb, je kun&#x017F;tfertiger<lb/>
er zu &#x017F;tehlen ver&#x017F;tand, und nebenan in Athen<lb/>
hingen &#x017F;ie ihn auf.</p><lb/>
        <p>Zu etwas mußte ich indeß greifen um nicht<lb/>
zu verhungern, hatten &#x017F;ie doch alles freie Ge-<lb/>
meingut der Natur bis auf die Vo&#x0364;gel unterm<lb/>
Himmel und die Fi&#x017F;che im Wa&#x017F;&#x017F;er an &#x017F;ich ge-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en, und wollten mir kein Fruchtkorn zuge-<lb/>
&#x017F;tehen ohne gute baare Bezahlung. Ich wa&#x0364;hlte<lb/>
das er&#x017F;te be&#x017F;te Fach, worin ich &#x017F;ie und ihr<lb/>
Treiben be&#x017F;ingen konnte, und wurde Rhap&#x017F;ode<lb/>
wie der blinde Homer, der auch als Ba&#x0364;nkel-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;nger umherziehen mußte.</p><lb/>
        <p>Blut lieben &#x017F;ie u&#x0364;ber die Maaßen, und<lb/>
wenn &#x017F;ie es auch nicht &#x017F;elb&#x017F;t vergießen, &#x017F;o mo&#x0364;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0123] Erde finden, um mich darauf niederzulaſſen, ſo ſehr hatten ſie jede Handbreit unter ſich zer- theilt und zerſtuͤckelt, und wollten ſchlechter- dings von dem Naturrechte, als dem einzigen allgemeinen und poſitiven nichts wiſſen, ſon- dern hatten in jedem Winkelchen ihr beſonde- res Recht und ihren beſondern Glauben; in Sparta beſangen ſie den Dieb, je kunſtfertiger er zu ſtehlen verſtand, und nebenan in Athen hingen ſie ihn auf. Zu etwas mußte ich indeß greifen um nicht zu verhungern, hatten ſie doch alles freie Ge- meingut der Natur bis auf die Voͤgel unterm Himmel und die Fiſche im Waſſer an ſich ge- riſſen, und wollten mir kein Fruchtkorn zuge- ſtehen ohne gute baare Bezahlung. Ich waͤhlte das erſte beſte Fach, worin ich ſie und ihr Treiben beſingen konnte, und wurde Rhapſode wie der blinde Homer, der auch als Baͤnkel- ſaͤnger umherziehen mußte. Blut lieben ſie uͤber die Maaßen, und wenn ſie es auch nicht ſelbſt vergießen, ſo moͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/123
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/123>, abgerufen am 24.11.2024.