Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

und fühlte mich fast human und kleinlaut ge-
gen die Welt gestimmt. Einmal meinte ich
gar, sie könnte doch wohl die beste sein, und
der Mensch selbst wäre etwas mehr, als das
erste Thier darauf, ja er habe einigen Werth
und könne vielleicht gar unsterblich sein.

Als es so weit gekommen war, gab ich mich
selbst verloren, und betrieb es jetzt ganz so
langweilig und alltäglich wie ein anderer Ver-
liebter. Ich entsetzte mich schon nicht mehr,
wenn ich versifizirte, ja ich konnte auf eine
längere Zeit gerührt bleiben, und gewöhnte
mich an manche Ausdrücke, die ich sonst gar
nicht in den Mund genommen hätte. Jetzt
ließ ich den ersten Liebesbrief vom Sta-
pel laufen, den ich hier sammt dem andern
Briefwechsel zur Erbauung anhänge:

Hamlet an Ophelia.

Himmlischer Abgott meiner Seele, reizer-
füllteste Ophelia! Dieser Eingang zwar, mir

und fuͤhlte mich faſt human und kleinlaut ge-
gen die Welt geſtimmt. Einmal meinte ich
gar, ſie koͤnnte doch wohl die beſte ſein, und
der Menſch ſelbſt waͤre etwas mehr, als das
erſte Thier darauf, ja er habe einigen Werth
und koͤnne vielleicht gar unſterblich ſein.

Als es ſo weit gekommen war, gab ich mich
ſelbſt verloren, und betrieb es jetzt ganz ſo
langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver-
liebter. Ich entſetzte mich ſchon nicht mehr,
wenn ich verſifizirte, ja ich konnte auf eine
laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte
mich an manche Ausdruͤcke, die ich ſonſt gar
nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt
ließ ich den erſten Liebesbrief vom Sta-
pel laufen, den ich hier ſammt dem andern
Briefwechſel zur Erbauung anhaͤnge:

Hamlet an Ophelia.

Himmliſcher Abgott meiner Seele, reizer-
fuͤllteſte Ophelia! Dieſer Eingang zwar, mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="239"/>
und fu&#x0364;hlte mich fa&#x017F;t human und kleinlaut ge-<lb/>
gen die Welt ge&#x017F;timmt. Einmal meinte ich<lb/>
gar, &#x017F;ie ko&#x0364;nnte doch wohl die be&#x017F;te &#x017F;ein, und<lb/>
der Men&#x017F;ch &#x017F;elb&#x017F;t wa&#x0364;re etwas mehr, als das<lb/>
er&#x017F;te Thier darauf, ja er habe einigen Werth<lb/>
und ko&#x0364;nne vielleicht gar un&#x017F;terblich &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Als es &#x017F;o weit gekommen war, gab ich mich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t verloren, und betrieb es jetzt ganz &#x017F;o<lb/>
langweilig und allta&#x0364;glich wie ein anderer Ver-<lb/>
liebter. Ich ent&#x017F;etzte mich &#x017F;chon nicht mehr,<lb/>
wenn ich ver&#x017F;ifizirte, ja ich konnte auf eine<lb/>
la&#x0364;ngere Zeit geru&#x0364;hrt bleiben, und gewo&#x0364;hnte<lb/>
mich an manche Ausdru&#x0364;cke, die ich &#x017F;on&#x017F;t gar<lb/>
nicht in den Mund genommen ha&#x0364;tte. Jetzt<lb/>
ließ ich den er&#x017F;ten Liebesbrief vom Sta-<lb/>
pel laufen, den ich hier &#x017F;ammt dem andern<lb/>
Briefwech&#x017F;el zur Erbauung anha&#x0364;nge: </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Hamlet an Ophelia.</hi> </hi> </p><lb/>
        <p>Himmli&#x017F;cher Abgott meiner Seele, reizer-<lb/>
fu&#x0364;llte&#x017F;te Ophelia! Die&#x017F;er Eingang zwar, mir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0241] und fuͤhlte mich faſt human und kleinlaut ge- gen die Welt geſtimmt. Einmal meinte ich gar, ſie koͤnnte doch wohl die beſte ſein, und der Menſch ſelbſt waͤre etwas mehr, als das erſte Thier darauf, ja er habe einigen Werth und koͤnne vielleicht gar unſterblich ſein. Als es ſo weit gekommen war, gab ich mich ſelbſt verloren, und betrieb es jetzt ganz ſo langweilig und alltaͤglich wie ein anderer Ver- liebter. Ich entſetzte mich ſchon nicht mehr, wenn ich verſifizirte, ja ich konnte auf eine laͤngere Zeit geruͤhrt bleiben, und gewoͤhnte mich an manche Ausdruͤcke, die ich ſonſt gar nicht in den Mund genommen haͤtte. Jetzt ließ ich den erſten Liebesbrief vom Sta- pel laufen, den ich hier ſammt dem andern Briefwechſel zur Erbauung anhaͤnge: Hamlet an Ophelia. Himmliſcher Abgott meiner Seele, reizer- fuͤllteſte Ophelia! Dieſer Eingang zwar, mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/241
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/241>, abgerufen am 24.11.2024.