Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Repräsentanten! -- Der lezte Mann war
mein Hanswurst; ich erniedrigte mich für ihn
fast zu Bitten -- allein man that mir kund,
daß durch ein strenges Zensuredikt alle Satire
im Staate ohne Ausnahme verboten sei, und
man sie schon zum voraus in den Köpfen kon-
fiscire. Mit Mühe erhielt ich es nur auf ei-
nen Augenblick noch mit ihm abseits zu treten;
ich nahm ihn mit mir hinter eine Koulisse,
und hier in der Einsamkeit drückte ich unbe-
lauscht seinen hölzernen Mund an den meini-
gen und vergoß die zweite Thräne, denn er
war außer Ophelia das einzige Wesen, das
ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. --

Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf
folgenden Tag wie ein Träumender umher,
und am Abende fand man ihn, weil er die
angesagte Tragikomödie nicht schuldig bleiben
wollte, auf der Bühne an einer Wolke er-
hängt.

So traurig endete auch dieses Unterneh-
men, und ich suchte nun endlich mit Ernst,

nen Repraͤſentanten! — Der lezte Mann war
mein Hanswurſt; ich erniedrigte mich fuͤr ihn
faſt zu Bitten — allein man that mir kund,
daß durch ein ſtrenges Zenſuredikt alle Satire
im Staate ohne Ausnahme verboten ſei, und
man ſie ſchon zum voraus in den Koͤpfen kon-
fiscire. Mit Muͤhe erhielt ich es nur auf ei-
nen Augenblick noch mit ihm abſeits zu treten;
ich nahm ihn mit mir hinter eine Kouliſſe,
und hier in der Einſamkeit druͤckte ich unbe-
lauſcht ſeinen hoͤlzernen Mund an den meini-
gen und vergoß die zweite Thraͤne, denn er
war außer Ophelia das einzige Weſen, das
ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. —

Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf
folgenden Tag wie ein Traͤumender umher,
und am Abende fand man ihn, weil er die
angeſagte Tragikomoͤdie nicht ſchuldig bleiben
wollte, auf der Buͤhne an einer Wolke er-
haͤngt.

So traurig endete auch dieſes Unterneh-
men, und ich ſuchte nun endlich mit Ernſt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="269"/>
nen Repra&#x0364;&#x017F;entanten! &#x2014; Der lezte Mann war<lb/>
mein Hanswur&#x017F;t; ich erniedrigte mich fu&#x0364;r ihn<lb/>
fa&#x017F;t zu Bitten &#x2014; allein man that mir kund,<lb/>
daß durch ein &#x017F;trenges Zen&#x017F;uredikt alle Satire<lb/>
im Staate ohne Ausnahme verboten &#x017F;ei, und<lb/>
man &#x017F;ie &#x017F;chon zum voraus in den Ko&#x0364;pfen kon-<lb/>
fiscire. Mit Mu&#x0364;he erhielt ich es nur auf ei-<lb/>
nen Augenblick noch mit ihm ab&#x017F;eits zu treten;<lb/>
ich nahm ihn mit mir hinter eine Kouli&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und hier in der Ein&#x017F;amkeit dru&#x0364;ckte ich unbe-<lb/>
lau&#x017F;cht &#x017F;einen ho&#x0364;lzernen Mund an den meini-<lb/>
gen und vergoß die zweite Thra&#x0364;ne, denn er<lb/>
war außer Ophelia das einzige We&#x017F;en, das<lb/>
ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf<lb/>
folgenden Tag wie ein Tra&#x0364;umender umher,<lb/>
und am Abende fand man ihn, weil er die<lb/>
ange&#x017F;agte Tragikomo&#x0364;die nicht &#x017F;chuldig bleiben<lb/>
wollte, auf der Bu&#x0364;hne an einer Wolke er-<lb/>
ha&#x0364;ngt.</p><lb/>
        <p>So traurig endete auch die&#x017F;es Unterneh-<lb/>
men, und ich &#x017F;uchte nun endlich mit Ern&#x017F;t,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0271] nen Repraͤſentanten! — Der lezte Mann war mein Hanswurſt; ich erniedrigte mich fuͤr ihn faſt zu Bitten — allein man that mir kund, daß durch ein ſtrenges Zenſuredikt alle Satire im Staate ohne Ausnahme verboten ſei, und man ſie ſchon zum voraus in den Koͤpfen kon- fiscire. Mit Muͤhe erhielt ich es nur auf ei- nen Augenblick noch mit ihm abſeits zu treten; ich nahm ihn mit mir hinter eine Kouliſſe, und hier in der Einſamkeit druͤckte ich unbe- lauſcht ſeinen hoͤlzernen Mund an den meini- gen und vergoß die zweite Thraͤne, denn er war außer Ophelia das einzige Weſen, das ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. — Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf folgenden Tag wie ein Traͤumender umher, und am Abende fand man ihn, weil er die angeſagte Tragikomoͤdie nicht ſchuldig bleiben wollte, auf der Buͤhne an einer Wolke er- haͤngt. So traurig endete auch dieſes Unterneh- men, und ich ſuchte nun endlich mit Ernſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/271
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/271>, abgerufen am 21.11.2024.