fragte er verwundert, "was meinen Sie da- mit? Ich verstehe die neuen Terminologien so selten, in denen Sie jezt reden." -- "Weil Sie sich für nichts höheres interessiren; nicht einmal für das Tragische!" -- "Tra- gisch? Ei allerdings!" antwortete er selbstge- fällig, "sehen Sie hier, ich lasse drei Delin- quenten hinrichten!" -- "O weh, welche Sen- timents!" -- "Wie? Ich dachte Ihnen eine Freude damit zu machen, weil in den Büchern die Sie lesen, so viele ums Leben kommen. Deshalb habe ich auch, um Sie zu überraschen, die Hinrichtungen an Ihrem Geburtstage fest- gesezt!" -- "Mein Gott! Meine Nerven!" -- "O weh, Sie bekommen den Zufall jezt so häufig, daß mir jedesmal bang im Voraus wird!" "Ach ja, Sie können leider dabei nicht helfen. Gehen Sie nur, ich bitte, und legen Sie sich schlafen!"
Das Gespräch war zu Ende, und er ging, indem er sich den Schweiß von der Stirn
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fragte er verwundert, „was meinen Sie da- mit? Ich verſtehe die neuen Terminologien ſo ſelten, in denen Sie jezt reden.“ — „Weil Sie ſich fuͤr nichts hoͤheres intereſſiren; nicht einmal fuͤr das Tragiſche!“ — „Tra- giſch? Ei allerdings!“ antwortete er ſelbſtge- faͤllig, „ſehen Sie hier, ich laſſe drei Delin- quenten hinrichten!“ — „O weh, welche Sen- timents!“ — „Wie? Ich dachte Ihnen eine Freude damit zu machen, weil in den Buͤchern die Sie leſen, ſo viele ums Leben kommen. Deshalb habe ich auch, um Sie zu uͤberraſchen, die Hinrichtungen an Ihrem Geburtstage feſt- geſezt!“ — „Mein Gott! Meine Nerven!“ — „O weh, Sie bekommen den Zufall jezt ſo haͤufig, daß mir jedesmal bang im Voraus wird!“ „Ach ja, Sie koͤnnen leider dabei nicht helfen. Gehen Sie nur, ich bitte, und legen Sie ſich ſchlafen!“
Das Geſpraͤch war zu Ende, und er ging, indem er ſich den Schweiß von der Stirn
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fragte er verwundert, „was meinen Sie da-
mit? Ich verſtehe die neuen Terminologien
ſo ſelten, in denen Sie jezt reden.“ —
„Weil Sie ſich fuͤr nichts hoͤheres intereſſiren;
nicht einmal fuͤr das Tragiſche!“ — „Tra-
giſch? Ei allerdings!“ antwortete er ſelbſtge-
faͤllig, „ſehen Sie hier, ich laſſe drei Delin-
quenten hinrichten!“ — „O weh, welche Sen-
timents!“ — „Wie? Ich dachte Ihnen eine
Freude damit zu machen, weil in den Buͤchern
die Sie leſen, ſo viele ums Leben kommen.
Deshalb habe ich auch, um Sie zu uͤberraſchen,
die Hinrichtungen an Ihrem Geburtstage feſt-
geſezt!“ — „Mein Gott! Meine Nerven!“
— „O weh, Sie bekommen den Zufall jezt ſo
haͤufig, daß mir jedesmal bang im Voraus
wird!“ „Ach ja, Sie koͤnnen leider dabei nicht
helfen. Gehen Sie nur, ich bitte, und legen
Sie ſich ſchlafen!“
Das Geſpraͤch war zu Ende, und er ging,
indem er ſich den Schweiß von der Stirn
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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