Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian von: Die Zwillinge. Hannover, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
mein lieber Guelfo, wenn einem das genommen
ist, was einem Leben giebt, wenn einem noch da-
zu der Weg verlegt ist, den zu gehen man ge-
macht ist?
Guelfo. Man räumts weg, Grimaldi!
Grimaldi. Denn muß man auch das vo-
rige Gefühl wieder in sich sammlen können. Aber,
Guelfo, wenn das nun all niedergerissen ist, was
uns damals trieb, wie den jungen Adler, der sei-
ne Schwingen stark fühlt, den Weg zur Sonne
zu schweben -- wenn das nun nicht mehr aufzu-
wecken ist -- Lieber Guelfo, ich schein' mir dem
geblendeten Adler zu gleichen, der sein Leben in
den Felsen austrauert. Was hülfe mirs nun
auch, wenn ich mich wieder aufzutreiben suchte,
einige Schritte taumelte, und mich doch nicht an
der Sonne erquicken könnte, worauf es ankömmt!
Guelfo. Das kömmt all wieder. Man findt
sich, und das andre findt sich auch.
(unverwandt
durchs Fenster nach der Strasse.)
Grimaldi. Ja, es kam einstens ein Son-
nenblick! -- Guelfo, Du weißt doch auch, wer
kam, und mir die Nacht vors goldne Strählchen
feindlich stellte, daß ich weiter nichts erblickte, als
Haß und bösen Genius in mir? -- War das
Erquickung für mein Herz, als mir die Lichtge-
stalt
mein lieber Guelfo, wenn einem das genommen
iſt, was einem Leben giebt, wenn einem noch da-
zu der Weg verlegt iſt, den zu gehen man ge-
macht iſt?
Guelfo. Man raͤumts weg, Grimaldi!
Grimaldi. Denn muß man auch das vo-
rige Gefuͤhl wieder in ſich ſammlen koͤnnen. Aber,
Guelfo, wenn das nun all niedergeriſſen iſt, was
uns damals trieb, wie den jungen Adler, der ſei-
ne Schwingen ſtark fuͤhlt, den Weg zur Sonne
zu ſchweben — wenn das nun nicht mehr aufzu-
wecken iſt — Lieber Guelfo, ich ſchein’ mir dem
geblendeten Adler zu gleichen, der ſein Leben in
den Felſen austrauert. Was huͤlfe mirs nun
auch, wenn ich mich wieder aufzutreiben ſuchte,
einige Schritte taumelte, und mich doch nicht an
der Sonne erquicken koͤnnte, worauf es ankoͤmmt!
Guelfo. Das koͤmmt all wieder. Man findt
ſich, und das andre findt ſich auch.
(unverwandt
durchs Fenſter nach der Straſſe.)
Grimaldi. Ja, es kam einſtens ein Son-
nenblick! — Guelfo, Du weißt doch auch, wer
kam, und mir die Nacht vors goldne Straͤhlchen
feindlich ſtellte, daß ich weiter nichts erblickte, als
Haß und boͤſen Genius in mir? — War das
Erquickung fuͤr mein Herz, als mir die Lichtge-
ſtalt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp>
              <p><pb facs="#f0043" n="37"/>
mein lieber Guelfo, wenn einem das genommen<lb/>
i&#x017F;t, was einem Leben giebt, wenn einem noch da-<lb/>
zu der Weg verlegt i&#x017F;t, den zu gehen man ge-<lb/>
macht i&#x017F;t?</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#fr">Guelfo.</hi> </speaker>
              <p>Man ra&#x0364;umts weg, Grimaldi!</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#fr">Grimaldi.</hi> </speaker>
              <p>Denn muß man auch das vo-<lb/>
rige Gefu&#x0364;hl wieder in &#x017F;ich &#x017F;ammlen ko&#x0364;nnen. Aber,<lb/>
Guelfo, wenn das nun all niedergeri&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, was<lb/>
uns damals trieb, wie den jungen Adler, der &#x017F;ei-<lb/>
ne Schwingen &#x017F;tark fu&#x0364;hlt, den Weg zur Sonne<lb/>
zu &#x017F;chweben &#x2014; wenn das nun nicht mehr aufzu-<lb/>
wecken i&#x017F;t &#x2014; Lieber Guelfo, ich &#x017F;chein&#x2019; mir dem<lb/>
geblendeten Adler zu gleichen, der &#x017F;ein Leben in<lb/>
den Fel&#x017F;en austrauert. Was hu&#x0364;lfe mirs nun<lb/>
auch, wenn ich mich wieder aufzutreiben &#x017F;uchte,<lb/>
einige Schritte taumelte, und mich doch nicht an<lb/>
der Sonne erquicken ko&#x0364;nnte, worauf es anko&#x0364;mmt!</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#fr">Guelfo.</hi> </speaker>
              <p>Das ko&#x0364;mmt all wieder. Man findt<lb/>
&#x017F;ich, und das andre findt &#x017F;ich auch.</p>
              <stage>(unverwandt<lb/>
durchs Fen&#x017F;ter nach der Stra&#x017F;&#x017F;e.)</stage>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#fr">Grimaldi.</hi> </speaker>
              <p>Ja, es kam ein&#x017F;tens ein Son-<lb/>
nenblick! &#x2014; Guelfo, Du weißt doch auch, wer<lb/>
kam, und mir die Nacht vors goldne Stra&#x0364;hlchen<lb/>
feindlich &#x017F;tellte, daß ich weiter nichts erblickte, als<lb/>
Haß und bo&#x0364;&#x017F;en Genius in mir? &#x2014; War das<lb/>
Erquickung fu&#x0364;r mein Herz, als mir die Lichtge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;talt</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0043] mein lieber Guelfo, wenn einem das genommen iſt, was einem Leben giebt, wenn einem noch da- zu der Weg verlegt iſt, den zu gehen man ge- macht iſt? Guelfo. Man raͤumts weg, Grimaldi! Grimaldi. Denn muß man auch das vo- rige Gefuͤhl wieder in ſich ſammlen koͤnnen. Aber, Guelfo, wenn das nun all niedergeriſſen iſt, was uns damals trieb, wie den jungen Adler, der ſei- ne Schwingen ſtark fuͤhlt, den Weg zur Sonne zu ſchweben — wenn das nun nicht mehr aufzu- wecken iſt — Lieber Guelfo, ich ſchein’ mir dem geblendeten Adler zu gleichen, der ſein Leben in den Felſen austrauert. Was huͤlfe mirs nun auch, wenn ich mich wieder aufzutreiben ſuchte, einige Schritte taumelte, und mich doch nicht an der Sonne erquicken koͤnnte, worauf es ankoͤmmt! Guelfo. Das koͤmmt all wieder. Man findt ſich, und das andre findt ſich auch. (unverwandt durchs Fenſter nach der Straſſe.) Grimaldi. Ja, es kam einſtens ein Son- nenblick! — Guelfo, Du weißt doch auch, wer kam, und mir die Nacht vors goldne Straͤhlchen feindlich ſtellte, daß ich weiter nichts erblickte, als Haß und boͤſen Genius in mir? — War das Erquickung fuͤr mein Herz, als mir die Lichtge- ſtalt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_zwillinge_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_zwillinge_1796/43
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian von: Die Zwillinge. Hannover, 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_zwillinge_1796/43>, abgerufen am 03.12.2024.