Schattierungen, als der Gesang. Nur der declamirt gut, dem diese doppelte Tonbil- dung gelingt. Wer Dichter werden will, kann von dem guten Declamator mehr als Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen des Wolklangs. Sogar rauhe Töne gehö- ren, wenn sie der Jnhalt erfodert, mit zum Wolklange. Cynthius zupfe dich beym Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fühlst, diese Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die Wirkungen des Silbenmaasses. Aber hier hat mancher sonst vortrefliche Decla- mator noch selbst zu lernen. Da es so wenig ist, was er zu lernen hat, so ist es merkwürdig, daß er es noch nicht weiß. Wir müssen bey ihm voraus sezen, daß er seine Sprache und also auch ihr Tonmaaß kenne. Dieß also vorausgesezt, so hat er gar nichts weiter zu thun, als die Längen genung und recht hören zu lassen. Recht läst er aber die Längen nicht eher hören, als bis der Zuhörer die Verschiedenheiten der- selben, die durch die Dehnung, und, im abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl und Beschaffenheit der Mitlaute, entstehn, bemerken kann. Geschieht dieses, so erfolgt alles übrige von selbst, und der Rhythmus fängt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder
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Schattierungen, als der Geſang. Nur der declamirt gut, dem dieſe doppelte Tonbil- dung gelingt. Wer Dichter werden will, kann von dem guten Declamator mehr als Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen des Wolklangs. Sogar rauhe Toͤne gehoͤ- ren, wenn ſie der Jnhalt erfodert, mit zum Wolklange. Cynthius zupfe dich beym Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fuͤhlſt, dieſe Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die Wirkungen des Silbenmaaſſes. Aber hier hat mancher ſonſt vortrefliche Decla- mator noch ſelbſt zu lernen. Da es ſo wenig iſt, was er zu lernen hat, ſo iſt es merkwuͤrdig, daß er es noch nicht weiß. Wir muͤſſen bey ihm voraus ſezen, daß er ſeine Sprache und alſo auch ihr Tonmaaß kenne. Dieß alſo vorausgeſezt, ſo hat er gar nichts weiter zu thun, als die Laͤngen genung und recht hoͤren zu laſſen. Recht laͤſt er aber die Laͤngen nicht eher hoͤren, als bis der Zuhoͤrer die Verſchiedenheiten der- ſelben, die durch die Dehnung, und, im abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl und Beſchaffenheit der Mitlaute, entſtehn, bemerken kann. Geſchieht dieſes, ſo erfolgt alles uͤbrige von ſelbſt, und der Rhythmus faͤngt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder
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Schattierungen, als der Geſang. Nur
der declamirt gut, dem dieſe doppelte Tonbil-
dung gelingt. Wer Dichter werden will,
kann von dem guten Declamator mehr als
Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen
des Wolklangs. Sogar rauhe Toͤne gehoͤ-
ren, wenn ſie der Jnhalt erfodert, mit zum
Wolklange. Cynthius zupfe dich beym
Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fuͤhlſt,
dieſe Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die
Wirkungen des Silbenmaaſſes. Aber
hier hat mancher ſonſt vortrefliche Decla-
mator noch ſelbſt zu lernen. Da es ſo
wenig iſt, was er zu lernen hat, ſo iſt es
merkwuͤrdig, daß er es noch nicht weiß.
Wir muͤſſen bey ihm voraus ſezen, daß er
ſeine Sprache und alſo auch ihr Tonmaaß
kenne. Dieß alſo vorausgeſezt, ſo hat er
gar nichts weiter zu thun, als die Laͤngen
genung und recht hoͤren zu laſſen. Recht
laͤſt er aber die Laͤngen nicht eher hoͤren, als
bis der Zuhoͤrer die Verſchiedenheiten der-
ſelben, die durch die Dehnung, und, im
abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl
und Beſchaffenheit der Mitlaute, entſtehn,
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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