Wir liefern hier einige dieser Fragmente in der Ordnung, wie sie uns, nach Veranlassung des fort- währenden Gesprächs, sind vorgelesen worden. Nur die Einleitung sezen wir zuerst, obgleich die Vor- lesung nicht damit angefangen wurde. Der Gram- matiker lehrt die Regeln der Sprache, und bemerkt die Bedeutungen der Wörter. Weil er die Sprache nehmen muß, wie sie ist, und nicht, wie sie, nach seinem gegründeten oder ungegründeten Bedünken, seyn solte; so ist es der Sprachgebrauch allein, der, so wol in Absicht auf die Regeln, als auf die Be- merkungen, sein Führer seyn muß. Er mag auf ihn als einen Tyrannen so viel schelten, wie er will; aber gehorchen muß er ihm. Thut er das nicht, so ist er ein grammatischer, bisweilen recht feiner Schwäzer; aber kein Grammatiker. Er wolte frey- lich gern die Sprachähnlichkeit und die selbstge- machte Wortbestimmung zu einer Art von Mäch- ten erheben, und sie dem Tyrannen hier und da ent- gegen stellen; aber sein Bestreben bleibt ohne Wir- kung, und diese kleinen Mächte können wider den Tyrannen nichts ausrichten. Soll die Sprach- ähnlichkeit gelten; so muß sie's in ihrem ganzen Um- fange: und der wäre kein geringerer, als daß wir lauter Regeln ohne Ausname bekämen. Die mei- sten von denen, die sich unter uns an Untersuchun- gen der Sprache gewagt haben, lieben nichts so sehr, als selbstgemachte Wortbestimmungen; aber sind die denn darum in der Sprache auch vorhanden, weil man sie ihr andichtet? Jede Sprache ist gleichsam ein Behältnis der eigensten Begriffe eines Volks. Was würde in unser Behältnis nicht alles hinein geworfen, und was nicht herausgenommen worden seyn, wenn man da nur so nach Belieben schalten
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Wir liefern hier einige dieſer Fragmente in der Ordnung, wie ſie uns, nach Veranlaſſung des fort- waͤhrenden Geſpraͤchs, ſind vorgeleſen worden. Nur die Einleitung ſezen wir zuerſt, obgleich die Vor- leſung nicht damit angefangen wurde. Der Gram- matiker lehrt die Regeln der Sprache, und bemerkt die Bedeutungen der Woͤrter. Weil er die Sprache nehmen muß, wie ſie iſt, und nicht, wie ſie, nach ſeinem gegruͤndeten oder ungegruͤndeten Beduͤnken, ſeyn ſolte; ſo iſt es der Sprachgebrauch allein, der, ſo wol in Abſicht auf die Regeln, als auf die Be- merkungen, ſein Fuͤhrer ſeyn muß. Er mag auf ihn als einen Tyrannen ſo viel ſchelten, wie er will; aber gehorchen muß er ihm. Thut er das nicht, ſo iſt er ein grammatiſcher, bisweilen recht feiner Schwaͤzer; aber kein Grammatiker. Er wolte frey- lich gern die Sprachaͤhnlichkeit und die ſelbſtge- machte Wortbeſtimmung zu einer Art von Maͤch- ten erheben, und ſie dem Tyrannen hier und da ent- gegen ſtellen; aber ſein Beſtreben bleibt ohne Wir- kung, und dieſe kleinen Maͤchte koͤnnen wider den Tyrannen nichts ausrichten. Soll die Sprach- aͤhnlichkeit gelten; ſo muß ſie’s in ihrem ganzen Um- fange: und der waͤre kein geringerer, als daß wir lauter Regeln ohne Ausname bekaͤmen. Die mei- ſten von denen, die ſich unter uns an Unterſuchun- gen der Sprache gewagt haben, lieben nichts ſo ſehr, als ſelbſtgemachte Wortbeſtimmungen; aber ſind die denn darum in der Sprache auch vorhanden, weil man ſie ihr andichtet? Jede Sprache iſt gleichſam ein Behaͤltnis der eigenſten Begriffe eines Volks. Was wuͤrde in unſer Behaͤltnis nicht alles hinein geworfen, und was nicht herausgenommen worden ſeyn, wenn man da nur ſo nach Belieben ſchalten
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Wir liefern hier einige dieſer Fragmente in der
Ordnung, wie ſie uns, nach Veranlaſſung des fort-
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die Einleitung ſezen wir zuerſt, obgleich die Vor-
leſung nicht damit angefangen wurde. Der Gram-
matiker lehrt die Regeln der Sprache, und bemerkt
die Bedeutungen der Woͤrter. Weil er die Sprache
nehmen muß, wie ſie iſt, und nicht, wie ſie, nach
ſeinem gegruͤndeten oder ungegruͤndeten Beduͤnken,
ſeyn ſolte; ſo iſt es der Sprachgebrauch allein, der,
ſo wol in Abſicht auf die Regeln, als auf die Be-
merkungen, ſein Fuͤhrer ſeyn muß. Er mag auf
ihn als einen Tyrannen ſo viel ſchelten, wie er will;
aber gehorchen muß er ihm. Thut er das nicht, ſo
iſt er ein grammatiſcher, bisweilen recht feiner
Schwaͤzer; aber kein Grammatiker. Er wolte frey-
lich gern die Sprachaͤhnlichkeit und die ſelbſtge-
machte Wortbeſtimmung zu einer Art von Maͤch-
ten erheben, und ſie dem Tyrannen hier und da ent-
gegen ſtellen; aber ſein Beſtreben bleibt ohne Wir-
kung, und dieſe kleinen Maͤchte koͤnnen wider den
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fange: und der waͤre kein geringerer, als daß wir
lauter Regeln ohne Ausname bekaͤmen. Die mei-
ſten von denen, die ſich unter uns an Unterſuchun-
gen der Sprache gewagt haben, lieben nichts ſo ſehr,
als ſelbſtgemachte Wortbeſtimmungen; aber ſind die
denn darum in der Sprache auch vorhanden, weil
man ſie ihr andichtet? Jede Sprache iſt gleichſam
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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