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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

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Musik die erste Sylbe lang ausspreche, oder ob ein
Canzellist zu Jemanden eine tragende Neigung
habe, das ist alles einerley. So etwas wird nicht
mit auf die Wagschale gelegt, wenn es auf Entschei-
dung ankomt.

Da ich diese Grammatik vornämlich für die schrei-
be, die nur unsere Sprache wissen, oder wenn sie
auch ausländische verstehen, diese allein durch die
Uebung gelernt haben; so habe ich mich wenig dar-
um zu bekümmern, was Andre dazu sagen werden,
daß die Kunstwörter, welche ich brauche, deutsch
sind. Jch wil also auch nur mit denen, für die ich
vornämlich schreibe, ein Paar Worte über diese Sa-
che reden. Wenn diese ein deutsches Kunstwort lesen,
so verstehen sie es gleich beym ersten Anblicke, we-
nigstens bis auf einen gewissen Grad, und verstehen
es völlig, so bald sie es noch ein paarmal angetroffen
haben. Man sieht, daß ich gut gemachte Kunstwör-
ter vorausseze. (Ob es die meinigen sind, darüber
habe ich nicht zu entscheiden.) Wem solte es un-
deutlich seyn, wenn ich zum Exempel sagte: Aus
Strom wird Ströme, und sang aus singen, durch
den Umlaut? Wenn aus a ä, aus o ö, und aus
u ü wird, als Kraft Kräfte, floß flösse, Fluß
Flüsse
; so ist der Umlaut bestimt: und wird aus
irgend einem Selbstlaute irgend ein andrer, als kom-
men, kam; laufen, lief; fliehen, floh
; so ist der
Umlaut unbestimt? wem undeutlich, wenn ich sag-
te: Tag wird in Tages, Tage, Tagen, um-
geendet
? Jch könte hierbey etwa fortfahren: Wir
haben so und so viel Umendungen der Hauptwör-
ter
(über Hauptwörter hätte ich mich dann vorher
schon erklärt) und es ist sonderbar, daß wir seit Bö-
dikern so viele Grammatiken geschrieben, und gleich-

wol
P 3

Muſik die erſte Sylbe lang ausſpreche, oder ob ein
Canzelliſt zu Jemanden eine tragende Neigung
habe, das iſt alles einerley. So etwas wird nicht
mit auf die Wagſchale gelegt, wenn es auf Entſchei-
dung ankomt.

Da ich dieſe Grammatik vornaͤmlich fuͤr die ſchrei-
be, die nur unſere Sprache wiſſen, oder wenn ſie
auch auslaͤndiſche verſtehen, dieſe allein durch die
Uebung gelernt haben; ſo habe ich mich wenig dar-
um zu bekuͤmmern, was Andre dazu ſagen werden,
daß die Kunſtwoͤrter, welche ich brauche, deutſch
ſind. Jch wil alſo auch nur mit denen, fuͤr die ich
vornaͤmlich ſchreibe, ein Paar Worte uͤber dieſe Sa-
che reden. Wenn dieſe ein deutſches Kunſtwort leſen,
ſo verſtehen ſie es gleich beym erſten Anblicke, we-
nigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, und verſtehen
es voͤllig, ſo bald ſie es noch ein paarmal angetroffen
haben. Man ſieht, daß ich gut gemachte Kunſtwoͤr-
ter vorausſeze. (Ob es die meinigen ſind, daruͤber
habe ich nicht zu entſcheiden.) Wem ſolte es un-
deutlich ſeyn, wenn ich zum Exempel ſagte: Aus
Strom wird Stroͤme, und ſang aus ſingen, durch
den Umlaut? Wenn aus a aͤ, aus o oͤ, und aus
u uͤ wird, als Kraft Kraͤfte, floß floͤſſe, Fluß
Fluͤſſe
; ſo iſt der Umlaut beſtimt: und wird aus
irgend einem Selbſtlaute irgend ein andrer, als kom-
men, kam; laufen, lief; fliehen, floh
; ſo iſt der
Umlaut unbeſtimt? wem undeutlich, wenn ich ſag-
te: Tag wird in Tages, Tage, Tagen, um-
geendet
? Jch koͤnte hierbey etwa fortfahren: Wir
haben ſo und ſo viel Umendungen der Hauptwoͤr-
ter
(uͤber Hauptwoͤrter haͤtte ich mich dann vorher
ſchon erklaͤrt) und es iſt ſonderbar, daß wir ſeit Boͤ-
dikern ſo viele Grammatiken geſchrieben, und gleich-

wol
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[229/0305] Muſik die erſte Sylbe lang ausſpreche, oder ob ein Canzelliſt zu Jemanden eine tragende Neigung habe, das iſt alles einerley. So etwas wird nicht mit auf die Wagſchale gelegt, wenn es auf Entſchei- dung ankomt. Da ich dieſe Grammatik vornaͤmlich fuͤr die ſchrei- be, die nur unſere Sprache wiſſen, oder wenn ſie auch auslaͤndiſche verſtehen, dieſe allein durch die Uebung gelernt haben; ſo habe ich mich wenig dar- um zu bekuͤmmern, was Andre dazu ſagen werden, daß die Kunſtwoͤrter, welche ich brauche, deutſch ſind. Jch wil alſo auch nur mit denen, fuͤr die ich vornaͤmlich ſchreibe, ein Paar Worte uͤber dieſe Sa- che reden. Wenn dieſe ein deutſches Kunſtwort leſen, ſo verſtehen ſie es gleich beym erſten Anblicke, we- nigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, und verſtehen es voͤllig, ſo bald ſie es noch ein paarmal angetroffen haben. Man ſieht, daß ich gut gemachte Kunſtwoͤr- ter vorausſeze. (Ob es die meinigen ſind, daruͤber habe ich nicht zu entſcheiden.) Wem ſolte es un- deutlich ſeyn, wenn ich zum Exempel ſagte: Aus Strom wird Stroͤme, und ſang aus ſingen, durch den Umlaut? Wenn aus a aͤ, aus o oͤ, und aus u uͤ wird, als Kraft Kraͤfte, floß floͤſſe, Fluß Fluͤſſe; ſo iſt der Umlaut beſtimt: und wird aus irgend einem Selbſtlaute irgend ein andrer, als kom- men, kam; laufen, lief; fliehen, floh; ſo iſt der Umlaut unbeſtimt? wem undeutlich, wenn ich ſag- te: Tag wird in Tages, Tage, Tagen, um- geendet? Jch koͤnte hierbey etwa fortfahren: Wir haben ſo und ſo viel Umendungen der Hauptwoͤr- ter (uͤber Hauptwoͤrter haͤtte ich mich dann vorher ſchon erklaͤrt) und es iſt ſonderbar, daß wir ſeit Boͤ- dikern ſo viele Grammatiken geſchrieben, und gleich- wol P 3

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/305>, abgerufen am 22.11.2024.