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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

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Der Abend.
Zur Poetik.

Von der Handlung, der Leidenschaft, und der
Darstellung.
Je angenehmer Unterre ungen
von den Wissenschaften durch Lebhaftigkeit und
Schnelligkeit, ja selbst durch Unordnung werden,
desto schwerer ist es, wenn man sie hernach wieder
überdenkt, dasjenige genau zu sagen, was darinn
als festgesezt angenommen worden ist. Gleichwol
getrauen wir uns das Hauptsächlichste von dem auf-
zuschreiben, worüber man heute in der Ulmengesel-
schaft überein zu kommen schien.

Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenschaft ist
ein Körper ohne Seele. Handlung besteht in der
Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines
Zweks. Es ist ein falscher Begrif, den man sich
von ihr macht, wenn man sie vornämlich in der
äusserlichen That sezt. Die Handlung fängt mit
dem gefasten Entschlusse an, und geht (wenn sie
nicht gehindert wird) in verschiednen Graden und
Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort. Mit
der Leidenschaft ist wenigstens beginnende Handlung
verbunden. Einige Handlungen geschehen ohne Lei-
denschaft; aber die, welche der Wahl des Dichters
würdig seyn sollen, müssen mit Leidenschaft gesche-
hen. Man sieht, wie beyde Hand in Hand mit
einander fortgehn. Jn diesem Gedicht ist viel Hand-
lung! rufen die Theoristen bisweilen aus; und doch
enthält es nur Begebenheiten.

Zwischen der epischen, und der dramatischen Hand-
lung ist kein wesentlicher Unterschied. Die lezte

wird
Der Abend.
Zur Poetik.

Von der Handlung, der Leidenſchaft, und der
Darſtellung.
Je angenehmer Unterre ungen
von den Wiſſenſchaften durch Lebhaftigkeit und
Schnelligkeit, ja ſelbſt durch Unordnung werden,
deſto ſchwerer iſt es, wenn man ſie hernach wieder
uͤberdenkt, dasjenige genau zu ſagen, was darinn
als feſtgeſezt angenommen worden iſt. Gleichwol
getrauen wir uns das Hauptſaͤchlichſte von dem auf-
zuſchreiben, woruͤber man heute in der Ulmengeſel-
ſchaft uͤberein zu kommen ſchien.

Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenſchaft iſt
ein Koͤrper ohne Seele. Handlung beſteht in der
Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines
Zweks. Es iſt ein falſcher Begrif, den man ſich
von ihr macht, wenn man ſie vornaͤmlich in der
aͤuſſerlichen That ſezt. Die Handlung faͤngt mit
dem gefaſten Entſchluſſe an, und geht (wenn ſie
nicht gehindert wird) in verſchiednen Graden und
Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort. Mit
der Leidenſchaft iſt wenigſtens beginnende Handlung
verbunden. Einige Handlungen geſchehen ohne Lei-
denſchaft; aber die, welche der Wahl des Dichters
wuͤrdig ſeyn ſollen, muͤſſen mit Leidenſchaft geſche-
hen. Man ſieht, wie beyde Hand in Hand mit
einander fortgehn. Jn dieſem Gedicht iſt viel Hand-
lung! rufen die Theoriſten bisweilen aus; und doch
enthaͤlt es nur Begebenheiten.

Zwiſchen der epiſchen, und der dramatiſchen Hand-
lung iſt kein weſentlicher Unterſchied. Die lezte

wird
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[320/0396] Der Abend. Zur Poetik. Von der Handlung, der Leidenſchaft, und der Darſtellung. Je angenehmer Unterre ungen von den Wiſſenſchaften durch Lebhaftigkeit und Schnelligkeit, ja ſelbſt durch Unordnung werden, deſto ſchwerer iſt es, wenn man ſie hernach wieder uͤberdenkt, dasjenige genau zu ſagen, was darinn als feſtgeſezt angenommen worden iſt. Gleichwol getrauen wir uns das Hauptſaͤchlichſte von dem auf- zuſchreiben, woruͤber man heute in der Ulmengeſel- ſchaft uͤberein zu kommen ſchien. Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenſchaft iſt ein Koͤrper ohne Seele. Handlung beſteht in der Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines Zweks. Es iſt ein falſcher Begrif, den man ſich von ihr macht, wenn man ſie vornaͤmlich in der aͤuſſerlichen That ſezt. Die Handlung faͤngt mit dem gefaſten Entſchluſſe an, und geht (wenn ſie nicht gehindert wird) in verſchiednen Graden und Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort. Mit der Leidenſchaft iſt wenigſtens beginnende Handlung verbunden. Einige Handlungen geſchehen ohne Lei- denſchaft; aber die, welche der Wahl des Dichters wuͤrdig ſeyn ſollen, muͤſſen mit Leidenſchaft geſche- hen. Man ſieht, wie beyde Hand in Hand mit einander fortgehn. Jn dieſem Gedicht iſt viel Hand- lung! rufen die Theoriſten bisweilen aus; und doch enthaͤlt es nur Begebenheiten. Zwiſchen der epiſchen, und der dramatiſchen Hand- lung iſt kein weſentlicher Unterſchied. Die lezte wird

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/396>, abgerufen am 22.11.2024.