weil wir zu bescheiden von uns selbst urtheilen, und die Ausländer eben dieß Verdienst mehr nicht nur verkennen, sondern so gar zu unserm Nachtheile anwenden; was wir aus diesen Ursachen zu seyn scheinen, daran liegt wenig: aber alles daran, was wir sind! Wenn wir, in den meisten abhandelnden Wissenschaften, den rechten Weg zuerst gesehen, in vielen ihn zurükgelegt, in keiner unbetreten gelassen ha- ben; wenn wir, in den darstellenden, neue Bahnen gebrochen haben, und auf einigen derselben weiter vorwärts gegangen sind, als manche Ausländer, auf alten lange bereisten Wegen und Stegen; wenn wir überhaupt mehr Altes verkürzt, umgebildet, verworfen, mehr Neues gefunden, entdekt, erfunden, es tiefsinniger bestimt, lebendiger gefast, gerader und stärker zum Gebrauche angewendet haben: wenn das unsre von vielen ungekante, aber wirkliche Vorzüge sind, warum sollen wir län- ger anstehn einen Entschluß zu fassen, zu dem solche Vorzüge nicht nur auffodern, sondern dem sie auch das, was zulezt, die Zuschauer mögen viel oder wenig gezweifelt haben, alles entscheidet, nämlich die glükliche Ausführung, in voraus versichern. Es gelte also das neue Gesez vom Uebertreffen; mit gleichem Ver- fahren werd es aufrecht erhalten, und sein Er-
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weil wir zu beſcheiden von uns ſelbſt urtheilen, und die Auslaͤnder eben dieß Verdienſt mehr nicht nur verkennen, ſondern ſo gar zu unſerm Nachtheile anwenden; was wir aus dieſen Urſachen zu ſeyn ſcheinen, daran liegt wenig: aber alles daran, was wir ſind! Wenn wir, in den meiſten abhandelnden Wiſſenſchaften, den rechten Weg zuerſt geſehen, in vielen ihn zuruͤkgelegt, in keiner unbetreten gelaſſen ha- ben; wenn wir, in den darſtellenden, neue Bahnen gebrochen haben, und auf einigen derſelben weiter vorwaͤrts gegangen ſind, als manche Auslaͤnder, auf alten lange bereiſten Wegen und Stegen; wenn wir uͤberhaupt mehr Altes verkuͤrzt, umgebildet, verworfen, mehr Neues gefunden, entdekt, erfunden, es tiefſinniger beſtimt, lebendiger gefaſt, gerader und ſtaͤrker zum Gebrauche angewendet haben: wenn das unſre von vielen ungekante, aber wirkliche Vorzuͤge ſind, warum ſollen wir laͤn- ger anſtehn einen Entſchluß zu faſſen, zu dem ſolche Vorzuͤge nicht nur auffodern, ſondern dem ſie auch das, was zulezt, die Zuſchauer moͤgen viel oder wenig gezweifelt haben, alles entſcheidet, naͤmlich die gluͤkliche Ausfuͤhrung, in voraus verſichern. Es gelte alſo das neue Geſez vom Uebertreffen; mit gleichem Ver- fahren werd es aufrecht erhalten, und ſein Er-
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weil wir zu beſcheiden von uns ſelbſt urtheilen,
und die Auslaͤnder eben dieß Verdienſt mehr
nicht nur verkennen, ſondern ſo gar zu unſerm
Nachtheile anwenden; was wir aus dieſen
Urſachen zu ſeyn ſcheinen, daran liegt wenig:
aber alles daran, was wir ſind! Wenn wir,
in den meiſten abhandelnden Wiſſenſchaften,
den rechten Weg zuerſt geſehen, in vielen ihn
zuruͤkgelegt, in keiner unbetreten gelaſſen ha-
ben; wenn wir, in den darſtellenden, neue
Bahnen gebrochen haben, und auf einigen
derſelben weiter vorwaͤrts gegangen ſind, als
manche Auslaͤnder, auf alten lange bereiſten
Wegen und Stegen; wenn wir uͤberhaupt
mehr Altes verkuͤrzt, umgebildet, verworfen,
mehr Neues gefunden, entdekt, erfunden, es
tiefſinniger beſtimt, lebendiger gefaſt, gerader
und ſtaͤrker zum Gebrauche angewendet haben:
wenn das unſre von vielen ungekante, aber
wirkliche Vorzuͤge ſind, warum ſollen wir laͤn-
ger anſtehn einen Entſchluß zu faſſen, zu dem
ſolche Vorzuͤge nicht nur auffodern, ſondern
dem ſie auch das, was zulezt, die Zuſchauer
moͤgen viel oder wenig gezweifelt haben, alles
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/511>, abgerufen am 22.11.2024.
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