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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Erster Gesang.

Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel,
Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und sag: Jch bin ewig!
Sag, und schwöre dir, Sohn: ich will die Sünde vergeben!

Also sprach er, und schwieg. Jndem die Ewigen sprachen,
Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen,
Zitterten, und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer
Faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz, und um ihn lag wartend,
Wie vorm nahen Gewitter die Erde, sein furchtsamer Weltkreis.
Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam sanftes Entzücken,
Und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.
Aber sinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich,
Sinnlos, wider Gott was zu denken, entstürzten im Abgrund
Jhren Thronen die höllischen Geister. Als jeder dahinsank,
Stürzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
Ungestüm ein, und donnernd erklang die unterste Hölle.
Jesus stand noch vor Gott, und die Leiden seiner Erlösung
Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf seinem Gesichte
Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben.
Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (so lang als die Seele
Sich die Unendlichkeit denkt, wenn sie sich in feurigem Fluge
Wie aus dem Körper verliert,) seit diesen Jahrhunderten hatt er
So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit
Jhre Versohnten, die ewige Liebe des göttlichen Mittlers
Alles eröffnet sich ihm. Gott bildete diese Gedanken
Jn
A 5

Erſter Geſang.

Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel,
Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch bin ewig!
Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: ich will die Suͤnde vergeben!

Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſprachen,
Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen,
Zitterten, und empfanden zuerſt. Ein gewaltiger Schauer
Faßte den Seraph, ihm ſchlug ſein Herz, und um ihn lag wartend,
Wie vorm nahen Gewitter die Erde, ſein furchtſamer Weltkreis.
Nur in die Seelen zukuͤnftiger Chriſten kam ſanftes Entzuͤcken,
Und ein ſuͤßbetaͤubend Gefuͤhl des ewigen Lebens.
Aber ſinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich,
Sinnlos, wider Gott was zu denken, entſtuͤrzten im Abgrund
Jhren Thronen die hoͤlliſchen Geiſter. Als jeder dahinſank,
Stuͤrzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
Ungeſtuͤm ein, und donnernd erklang die unterſte Hoͤlle.
Jeſus ſtand noch vor Gott, und die Leiden ſeiner Erloͤſung
Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf ſeinem Geſichte
Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben.
Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (ſo lang als die Seele
Sich die Unendlichkeit denkt, wenn ſie ſich in feurigem Fluge
Wie aus dem Koͤrper verliert,) ſeit dieſen Jahrhunderten hatt er
So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit
Jhre Verſohnten, die ewige Liebe des goͤttlichen Mittlers
Alles eroͤffnet ſich ihm. Gott bildete dieſe Gedanken
Jn
A 5
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[9/0021] Erſter Geſang. Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel, Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch bin ewig! Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: ich will die Suͤnde vergeben! Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſprachen, Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben. Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen, Zitterten, und empfanden zuerſt. Ein gewaltiger Schauer Faßte den Seraph, ihm ſchlug ſein Herz, und um ihn lag wartend, Wie vorm nahen Gewitter die Erde, ſein furchtſamer Weltkreis. Nur in die Seelen zukuͤnftiger Chriſten kam ſanftes Entzuͤcken, Und ein ſuͤßbetaͤubend Gefuͤhl des ewigen Lebens. Aber ſinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich, Sinnlos, wider Gott was zu denken, entſtuͤrzten im Abgrund Jhren Thronen die hoͤlliſchen Geiſter. Als jeder dahinſank, Stuͤrzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe Ungeſtuͤm ein, und donnernd erklang die unterſte Hoͤlle. Jeſus ſtand noch vor Gott, und die Leiden ſeiner Erloͤſung Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf ſeinem Geſichte Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben. Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (ſo lang als die Seele Sich die Unendlichkeit denkt, wenn ſie ſich in feurigem Fluge Wie aus dem Koͤrper verliert,) ſeit dieſen Jahrhunderten hatt er So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit Jhre Verſohnten, die ewige Liebe des goͤttlichen Mittlers Alles eroͤffnet ſich ihm. Gott bildete dieſe Gedanken Jn A 5

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/21>, abgerufen am 24.11.2024.