Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Doch war sein Abdruck daselbst in Zügen des Schlafes verdunkelt.
Also sieht ein reisender Seraph der blühenden Erde
Halbunkenntliches Antlitz an Frühlingsabenden liegen,
Wenn der Abendstern schon am einsamen Himmel heraufgeht,
Und aus dämmernden Lauben den Weisen, ihn anzuschaun, herwinkt.
Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille.

O du, der du allwissend bist, sprach er mit zärtlicher Stimme,
Der du mich hörst, obgleich dein sterblicher Leib hier ruhet,
Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehorchet.
Als ich dieß that, so eröffnete mir der Erste der Menschen,
Wie er dein Antlitz zu sehn, unsterblicher Mittler, sich sehne.
Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entschließung,
Gleich von hier, deine Versöhnung auch mit zu verherrlichen, eilen.
Unterdeß schweigt hier, o nahe Geschöpfe! den flüchtigsten Anblick
Dieser hineilenden Zeit, da euer Schöpfer noch hier ist,
Müßt ihr für seliger, als viel lange Jahrhunderte halten,
Da ihr den Menschen mit reger sorgfältiger Aemsigkeit dienet.
Schweig, Getöse der Luft, in deinen aufrührischen Hölen,
Oder erhebe dich sanft mit stillem behutsamen Säuseln.
Und du, nahes Gewölk, o treufle du Segen und Wärme
Auf die kühlenden Schatten aus deinen Schössen herunter.
Rausche nicht, Ceder, schweig, heiliger Hain, vorm schlummernden Schöpfer!
Also verlohr sich mit sorgsamem Ton die Stimme des Seraphs.
Und drauf eilt er zu jener Versammlung der heiligen Wächter,
Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen Vorsicht,
Nebst

Der Meßias.

Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes verdunkelt.
Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde
Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen,
Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel heraufgeht,
Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun, herwinkt.
Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille.

O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher Stimme,
Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ruhet,
Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehorchet.
Als ich dieß that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen,
Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne.
Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchließung,
Gleich von hier, deine Verſoͤhnung auch mit zu verherrlichen, eilen.
Unterdeß ſchweigt hier, o nahe Geſchoͤpfe! den fluͤchtigſten Anblick
Dieſer hineilenden Zeit, da euer Schoͤpfer noch hier iſt,
Muͤßt ihr fuͤr ſeliger, als viel lange Jahrhunderte halten,
Da ihr den Menſchen mit reger ſorgfaͤltiger Aemſigkeit dienet.
Schweig, Getoͤſe der Luft, in deinen aufruͤhriſchen Hoͤlen,
Oder erhebe dich ſanft mit ſtillem behutſamen Saͤuſeln.
Und du, nahes Gewoͤlk, o treufle du Segen und Waͤrme
Auf die kuͤhlenden Schatten aus deinen Schoͤſſen herunter.
Rauſche nicht, Ceder, ſchweig, heiliger Hain, vorm ſchlummernden Schoͤpfer!
Alſo verlohr ſich mit ſorgſamem Ton die Stimme des Seraphs.
Und drauf eilt er zu jener Verſammlung der heiligen Waͤchter,
Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen Vorſicht,
Nebſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="33">
              <l>
                <pb facs="#f0036" n="24"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Doch war &#x017F;ein Abdruck da&#x017F;elb&#x017F;t in Zu&#x0364;gen des Schlafes verdunkelt.</l><lb/>
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;ieht ein rei&#x017F;ender Seraph der blu&#x0364;henden Erde</l><lb/>
              <l>Halbunkenntliches Antlitz an Fru&#x0364;hlingsabenden liegen,</l><lb/>
              <l>Wenn der Abend&#x017F;tern &#x017F;chon am ein&#x017F;amen Himmel heraufgeht,</l><lb/>
              <l>Und aus da&#x0364;mmernden Lauben den Wei&#x017F;en, ihn anzu&#x017F;chaun, herwinkt.</l><lb/>
              <l>Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="34">
              <l>O du, der du allwi&#x017F;&#x017F;end bi&#x017F;t, &#x017F;prach er mit za&#x0364;rtlicher Stimme,</l><lb/>
              <l>Der du mich ho&#x0364;r&#x017F;t, obgleich dein &#x017F;terblicher Leib hier ruhet,</l><lb/>
              <l>Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehorchet.</l><lb/>
              <l>Als ich dieß that, &#x017F;o ero&#x0364;ffnete mir der Er&#x017F;te der Men&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Wie er dein Antlitz zu &#x017F;ehn, un&#x017F;terblicher Mittler, &#x017F;ich &#x017F;ehne.</l><lb/>
              <l>Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Ent&#x017F;chließung,</l><lb/>
              <l>Gleich von hier, deine Ver&#x017F;o&#x0364;hnung auch mit zu verherrlichen, eilen.</l><lb/>
              <l>Unterdeß &#x017F;chweigt hier, o nahe Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe! den flu&#x0364;chtig&#x017F;ten Anblick</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er hineilenden Zeit, da euer Scho&#x0364;pfer noch hier i&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Mu&#x0364;ßt ihr fu&#x0364;r &#x017F;eliger, als viel lange Jahrhunderte halten,</l><lb/>
              <l>Da ihr den Men&#x017F;chen mit reger &#x017F;orgfa&#x0364;ltiger Aem&#x017F;igkeit dienet.</l><lb/>
              <l>Schweig, Geto&#x0364;&#x017F;e der Luft, in deinen aufru&#x0364;hri&#x017F;chen Ho&#x0364;len,</l><lb/>
              <l>Oder erhebe dich &#x017F;anft mit &#x017F;tillem behut&#x017F;amen Sa&#x0364;u&#x017F;eln.</l><lb/>
              <l>Und du, nahes Gewo&#x0364;lk, o treufle du Segen und Wa&#x0364;rme</l><lb/>
              <l>Auf die ku&#x0364;hlenden Schatten aus deinen Scho&#x0364;&#x017F;&#x017F;en herunter.</l><lb/>
              <l>Rau&#x017F;che nicht, Ceder, &#x017F;chweig, heiliger Hain, vorm &#x017F;chlummernden Scho&#x0364;pfer!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="35">
              <l>Al&#x017F;o verlohr &#x017F;ich mit &#x017F;org&#x017F;amem Ton die Stimme des Seraphs.</l><lb/>
              <l>Und drauf eilt er zu jener Ver&#x017F;ammlung der heiligen Wa&#x0364;chter,</l><lb/>
              <l>Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen Vor&#x017F;icht,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Neb&#x017F;t</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0036] Der Meßias. Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes verdunkelt. Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen, Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel heraufgeht, Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun, herwinkt. Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille. O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher Stimme, Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ruhet, Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehorchet. Als ich dieß that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen, Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne. Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchließung, Gleich von hier, deine Verſoͤhnung auch mit zu verherrlichen, eilen. Unterdeß ſchweigt hier, o nahe Geſchoͤpfe! den fluͤchtigſten Anblick Dieſer hineilenden Zeit, da euer Schoͤpfer noch hier iſt, Muͤßt ihr fuͤr ſeliger, als viel lange Jahrhunderte halten, Da ihr den Menſchen mit reger ſorgfaͤltiger Aemſigkeit dienet. Schweig, Getoͤſe der Luft, in deinen aufruͤhriſchen Hoͤlen, Oder erhebe dich ſanft mit ſtillem behutſamen Saͤuſeln. Und du, nahes Gewoͤlk, o treufle du Segen und Waͤrme Auf die kuͤhlenden Schatten aus deinen Schoͤſſen herunter. Rauſche nicht, Ceder, ſchweig, heiliger Hain, vorm ſchlummernden Schoͤpfer! Alſo verlohr ſich mit ſorgſamem Ton die Stimme des Seraphs. Und drauf eilt er zu jener Verſammlung der heiligen Waͤchter, Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen Vorſicht, Nebſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/36
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/36>, abgerufen am 24.11.2024.