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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Neunter Gesang.

Wandte sich Nikodemus zu Petro: Du blickest o Simon,
Wehmutvoll von uns weg. Wir fühlens, was du empfindest,
Ach, wir empfinden den Tod, so den Heiligsten unter den Menschen
Jzt zu tödten beginnt, und vielleicht den gefürchteten Schlag bald,
Bald den lezten gethan hat! Allein, o liebender Jünger!
Sag es uns auch, geuß diesen Balsam in unsere Seelen,
Daß uns dieß dein Auge voll Wehmut zugleich nicht mit ank | agt,
Daß wir vordem den göttlichen Mann ins geheim nur bekannten.
Doch wir verdienen es wohl. ... Wie ein Baum vom Sturmwind ergriffen,
Nach der Einen Seite von brausenden Zügen gebogen
Steht; so stand mit gewandtem Gesichte der bebende Petrus.
Aber izt unterlag er der Angst, verhüllte sich, flohe,
Suchte Ruh in grösserer Qual. Denn er kehrte mit Eile
Zu dem Todeshügel zurück. Er war zu des Hügels
Fusse mit schwerem Schritte gekommen. Jzt athmet sein Leben
Schneller, izt wagt ers zum hohen Kreuze die Augen
Aufzuheben; doch nicht bis zu des Sterbenden Haupte.
Unten am Kreuz erblickt er, nicht fern von einander, Johannes
Und des grossen Geopferten Mutter, beyde vor Jammer
Eingewurzelt, beyde verstummt, und thränenlos beyde.
Auch nicht fern umgaben das Kreuz nicht wenige Treue,
Die aus Galiläa dem Göttlichen nachgefolgt waren.
Wie gering von Geburt, wie unbeladen vom Glück sie,
Und wie unmerklich durch Ansehn auch waren; so hat der Geschichte
Ewigste doch aus dem redlichen Haufen einige Namen,
Einige theure Namen der Nachwelt der Christen erhalten.
Magdale Maria; Maria die Mutter Joses

Und
II. Band. G

Neunter Geſang.

Wandte ſich Nikodemus zu Petro: Du blickeſt o Simon,
Wehmutvoll von uns weg. Wir fuͤhlens, was du empfindeſt,
Ach, wir empfinden den Tod, ſo den Heiligſten unter den Menſchen
Jzt zu toͤdten beginnt, und vielleicht den gefuͤrchteten Schlag bald,
Bald den lezten gethan hat! Allein, o liebender Juͤnger!
Sag es uns auch, geuß dieſen Balſam in unſere Seelen,
Daß uns dieß dein Auge voll Wehmut zugleich nicht mit ank | agt,
Daß wir vordem den goͤttlichen Mann ins geheim nur bekannten.
Doch wir verdienen es wohl. … Wie ein Baum vom Sturmwind ergriffen,
Nach der Einen Seite von brauſenden Zuͤgen gebogen
Steht; ſo ſtand mit gewandtem Geſichte der bebende Petrus.
Aber izt unterlag er der Angſt, verhuͤllte ſich, flohe,
Suchte Ruh in groͤſſerer Qual. Denn er kehrte mit Eile
Zu dem Todeshuͤgel zuruͤck. Er war zu des Huͤgels
Fuſſe mit ſchwerem Schritte gekommen. Jzt athmet ſein Leben
Schneller, izt wagt ers zum hohen Kreuze die Augen
Aufzuheben; doch nicht bis zu des Sterbenden Haupte.
Unten am Kreuz erblickt er, nicht fern von einander, Johannes
Und des groſſen Geopferten Mutter, beyde vor Jammer
Eingewurzelt, beyde verſtummt, und thraͤnenlos beyde.
Auch nicht fern umgaben das Kreuz nicht wenige Treue,
Die aus Galilaͤa dem Goͤttlichen nachgefolgt waren.
Wie gering von Geburt, wie unbeladen vom Gluͤck ſie,
Und wie unmerklich durch Anſehn auch waren; ſo hat der Geſchichte
Ewigſte doch aus dem redlichen Haufen einige Namen,
Einige theure Namen der Nachwelt der Chriſten erhalten.
Magdale Maria; Maria die Mutter Joſes

Und
II. Band. G
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[97/0125] Neunter Geſang. Wandte ſich Nikodemus zu Petro: Du blickeſt o Simon, Wehmutvoll von uns weg. Wir fuͤhlens, was du empfindeſt, Ach, wir empfinden den Tod, ſo den Heiligſten unter den Menſchen Jzt zu toͤdten beginnt, und vielleicht den gefuͤrchteten Schlag bald, Bald den lezten gethan hat! Allein, o liebender Juͤnger! Sag es uns auch, geuß dieſen Balſam in unſere Seelen, Daß uns dieß dein Auge voll Wehmut zugleich nicht mit ank | agt, Daß wir vordem den goͤttlichen Mann ins geheim nur bekannten. Doch wir verdienen es wohl. … Wie ein Baum vom Sturmwind ergriffen, Nach der Einen Seite von brauſenden Zuͤgen gebogen Steht; ſo ſtand mit gewandtem Geſichte der bebende Petrus. Aber izt unterlag er der Angſt, verhuͤllte ſich, flohe, Suchte Ruh in groͤſſerer Qual. Denn er kehrte mit Eile Zu dem Todeshuͤgel zuruͤck. Er war zu des Huͤgels Fuſſe mit ſchwerem Schritte gekommen. Jzt athmet ſein Leben Schneller, izt wagt ers zum hohen Kreuze die Augen Aufzuheben; doch nicht bis zu des Sterbenden Haupte. Unten am Kreuz erblickt er, nicht fern von einander, Johannes Und des groſſen Geopferten Mutter, beyde vor Jammer Eingewurzelt, beyde verſtummt, und thraͤnenlos beyde. Auch nicht fern umgaben das Kreuz nicht wenige Treue, Die aus Galilaͤa dem Goͤttlichen nachgefolgt waren. Wie gering von Geburt, wie unbeladen vom Gluͤck ſie, Und wie unmerklich durch Anſehn auch waren; ſo hat der Geſchichte Ewigſte doch aus dem redlichen Haufen einige Namen, Einige theure Namen der Nachwelt der Chriſten erhalten. Magdale Maria; Maria die Mutter Joſes Und II. Band. G

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/125>, abgerufen am 23.11.2024.