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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Neunter Gesang.

Dieser schleunigen Wehmut, nicht kennen, zu fliehn mir gebieten! ...
Nein! sie bemerken mich nicht, vertieft in grosse Gedanken
Von dem göttlichen Manne, zu dem der Richter sie sandte!
Ach wo ist er? Jst er vielleicht in des deckenden Tempels
Allerheiligsten? Betet er dort von neuem? Und soll ihn,
Wie er leidet, kein Endlicher mehr, nicht den blutigen Schweiß sehn,
Der von seinem Angesicht rinnt? ... Doch der himmlischen Augen
Sind mehr auf den Hügel, als auf den Tempel, gerichtet;
Wenn ich anders es sehe, wohin sie blicken. Verworfner!
Ja, so bist du erniedrigt, du darfst dein schamvolles Auge
Nicht zu den Gottgetreuen erheben, obgleich du es wagtest,
Jhnen selber in ihrer verklärten Gestalt dich zu zeigen!
Auf dem gebeinvollen Hügel? ... Vielleicht, daß er dort, wo Verbrecher,
Diese lautesten Zeugen des Falls der Sterblichen, bluten,
Was er auf Erden zu leiden beschloß, vollendet? Vielleicht liegt
Unter Gebeinen der Göttliche dort, und betet zum Richter?
Ach so muß ich denn wieder zum Todeshügel mein Antliz
Wenden! Er wandt es; doch schwebt' er mit bangem, säumenden Fluge;
Seitwärts schwebt' er hinab, und suchte lange mit scharfen,
Schnellen Blicken unter den Kreuzen. Er findet Johannes,
Und begleitet mit seinem Auge die Blicke des Jüngers.
Und der Geopferte für die Verbrecher hing in der Nacht hin;
Schien mit brechendem Aug' ein Grab, zur Ruhe, zu suchen!
Als von dem ersten Entsetzen sich Abbadona emporwand,
Dacht er: Es ist nicht möglich! Es ist nicht möglich! Er ists nicht!
Sterben? ... Es ist nicht möglich! ... Allein, ihr Himmel! (Was wag ich,
Mir zu überreden? ... Jch täusche mich nicht! Jch seh ihn!)

Ja,
II. Band. H

Neunter Geſang.

Dieſer ſchleunigen Wehmut, nicht kennen, zu fliehn mir gebieten! …
Nein! ſie bemerken mich nicht, vertieft in groſſe Gedanken
Von dem goͤttlichen Manne, zu dem der Richter ſie ſandte!
Ach wo iſt er? Jſt er vielleicht in des deckenden Tempels
Allerheiligſten? Betet er dort von neuem? Und ſoll ihn,
Wie er leidet, kein Endlicher mehr, nicht den blutigen Schweiß ſehn,
Der von ſeinem Angeſicht rinnt? … Doch der himmliſchen Augen
Sind mehr auf den Huͤgel, als auf den Tempel, gerichtet;
Wenn ich anders es ſehe, wohin ſie blicken. Verworfner!
Ja, ſo biſt du erniedrigt, du darfſt dein ſchamvolles Auge
Nicht zu den Gottgetreuen erheben, obgleich du es wagteſt,
Jhnen ſelber in ihrer verklaͤrten Geſtalt dich zu zeigen!
Auf dem gebeinvollen Huͤgel? … Vielleicht, daß er dort, wo Verbrecher,
Dieſe lauteſten Zeugen des Falls der Sterblichen, bluten,
Was er auf Erden zu leiden beſchloß, vollendet? Vielleicht liegt
Unter Gebeinen der Goͤttliche dort, und betet zum Richter?
Ach ſo muß ich denn wieder zum Todeshuͤgel mein Antliz
Wenden! Er wandt es; doch ſchwebt’ er mit bangem, ſaͤumenden Fluge;
Seitwaͤrts ſchwebt’ er hinab, und ſuchte lange mit ſcharfen,
Schnellen Blicken unter den Kreuzen. Er findet Johannes,
Und begleitet mit ſeinem Auge die Blicke des Juͤngers.
Und der Geopferte fuͤr die Verbrecher hing in der Nacht hin;
Schien mit brechendem Aug’ ein Grab, zur Ruhe, zu ſuchen!
Als von dem erſten Entſetzen ſich Abbadona emporwand,
Dacht er: Es iſt nicht moͤglich! Es iſt nicht moͤglich! Er iſts nicht!
Sterben? … Es iſt nicht moͤglich! … Allein, ihr Himmel! (Was wag ich,
Mir zu uͤberreden? … Jch taͤuſche mich nicht! Jch ſeh ihn!)

Ja,
II. Band. H
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[113/0141] Neunter Geſang. Dieſer ſchleunigen Wehmut, nicht kennen, zu fliehn mir gebieten! … Nein! ſie bemerken mich nicht, vertieft in groſſe Gedanken Von dem goͤttlichen Manne, zu dem der Richter ſie ſandte! Ach wo iſt er? Jſt er vielleicht in des deckenden Tempels Allerheiligſten? Betet er dort von neuem? Und ſoll ihn, Wie er leidet, kein Endlicher mehr, nicht den blutigen Schweiß ſehn, Der von ſeinem Angeſicht rinnt? … Doch der himmliſchen Augen Sind mehr auf den Huͤgel, als auf den Tempel, gerichtet; Wenn ich anders es ſehe, wohin ſie blicken. Verworfner! Ja, ſo biſt du erniedrigt, du darfſt dein ſchamvolles Auge Nicht zu den Gottgetreuen erheben, obgleich du es wagteſt, Jhnen ſelber in ihrer verklaͤrten Geſtalt dich zu zeigen! Auf dem gebeinvollen Huͤgel? … Vielleicht, daß er dort, wo Verbrecher, Dieſe lauteſten Zeugen des Falls der Sterblichen, bluten, Was er auf Erden zu leiden beſchloß, vollendet? Vielleicht liegt Unter Gebeinen der Goͤttliche dort, und betet zum Richter? Ach ſo muß ich denn wieder zum Todeshuͤgel mein Antliz Wenden! Er wandt es; doch ſchwebt’ er mit bangem, ſaͤumenden Fluge; Seitwaͤrts ſchwebt’ er hinab, und ſuchte lange mit ſcharfen, Schnellen Blicken unter den Kreuzen. Er findet Johannes, Und begleitet mit ſeinem Auge die Blicke des Juͤngers. Und der Geopferte fuͤr die Verbrecher hing in der Nacht hin; Schien mit brechendem Aug’ ein Grab, zur Ruhe, zu ſuchen! Als von dem erſten Entſetzen ſich Abbadona emporwand, Dacht er: Es iſt nicht moͤglich! Es iſt nicht moͤglich! Er iſts nicht! Sterben? … Es iſt nicht moͤglich! … Allein, ihr Himmel! (Was wag ich, Mir zu uͤberreden? … Jch taͤuſche mich nicht! Jch ſeh ihn!) Ja, II. Band. H

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/141>, abgerufen am 27.11.2024.