Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben; Wer zwar wohlthut, allein gesehn will werden, und Ehre, Für die leichteste Pflicht der Menschlichkeit, Ehre verlanget! Wer nur halb dem Feinde verzeiht, unbiegsam, der Rache Deß, der rächen will, alles zu überlassen, noch minder Fähig, den, der ihm flucht, aus voller Seele, zu segnen! Alle, die über das Grab zu selten blicken, zu flüchtig An die Unsterblichkeit denken, zu der du, ihr Gott, sie gemacht hast; Wenn sie die Stimme der Huld, die sanfte des Vaters, nicht hören: Herr! so ruf sie durch Leiden, aus ihren Jrren, zurücke! Aber die ganz von Gott abweichen, das Laster zum Abgott Machen, und sclavisch dem falschen, dem spottenden Peiniger dienen; Die Unseligen wecke, von ihrem Tode, durch Elend! Meine Kinder, ach, meine Kinder, er liebt unaussprechlich, Der am Kreuze, für euch, sein Leben dem Ewigen opfert! Jst es möglich, Unsterbliche, könnt ihr euern Versöner, Euern Beruf, zu wandeln im Lichte, im Himmel, verkennen? Rühre die steinernen Herzen mit deiner allmächtigen Liebe! Schaffe sie um, und bringe sie rein zum Ewigen wieder! Euer erschüttertes Herz, es höre die Stimme des Blutes, Das von Golgatha strömt, und Gnade! Gnade! für euch fleht, Gnade! ... Mit heiligem Schauer vernehme sie eure Seele, Mit Anbetung, und jener Entzückung, des ewigen Lebens Vorschmack, welcher die Erben des Grabs, beym Anblick des Todes, Ueberschwenglicher stärkt, als alle Weisheit der Erde! Nicht des Sterbenden brechender Blick! noch der liegende Todte! Nicht die Gruft voll Verwesungen! nicht die verzehrende Flamme! Nicht die Asche des Todten, zerstreut in die Tiefen der Schöpfung! Nichts, was deinen Rächer, den Tod, mit Furchtbarkeit rüstet, Wird sie schrecken! Denn du erhörst mein Flehn, du Erwürgter!
Und
Der Meſſias.
Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben; Wer zwar wohlthut, allein geſehn will werden, und Ehre, Fuͤr die leichteſte Pflicht der Menſchlichkeit, Ehre verlanget! Wer nur halb dem Feinde verzeiht, unbiegſam, der Rache Deß, der raͤchen will, alles zu uͤberlaſſen, noch minder Faͤhig, den, der ihm flucht, aus voller Seele, zu ſegnen! Alle, die uͤber das Grab zu ſelten blicken, zu fluͤchtig An die Unſterblichkeit denken, zu der du, ihr Gott, ſie gemacht haſt; Wenn ſie die Stimme der Huld, die ſanfte des Vaters, nicht hoͤren: Herr! ſo ruf ſie durch Leiden, aus ihren Jrren, zuruͤcke! Aber die ganz von Gott abweichen, das Laſter zum Abgott Machen, und ſclaviſch dem falſchen, dem ſpottenden Peiniger dienen; Die Unſeligen wecke, von ihrem Tode, durch Elend! Meine Kinder, ach, meine Kinder, er liebt unausſprechlich, Der am Kreuze, fuͤr euch, ſein Leben dem Ewigen opfert! Jſt es moͤglich, Unſterbliche, koͤnnt ihr euern Verſoͤner, Euern Beruf, zu wandeln im Lichte, im Himmel, verkennen? Ruͤhre die ſteinernen Herzen mit deiner allmaͤchtigen Liebe! Schaffe ſie um, und bringe ſie rein zum Ewigen wieder! Euer erſchuͤttertes Herz, es hoͤre die Stimme des Blutes, Das von Golgatha ſtroͤmt, und Gnade! Gnade! fuͤr euch fleht, Gnade! … Mit heiligem Schauer vernehme ſie eure Seele, Mit Anbetung, und jener Entzuͤckung, des ewigen Lebens Vorſchmack, welcher die Erben des Grabs, beym Anblick des Todes, Ueberſchwenglicher ſtaͤrkt, als alle Weisheit der Erde! Nicht des Sterbenden brechender Blick! noch der liegende Todte! Nicht die Gruft voll Verweſungen! nicht die verzehrende Flamme! Nicht die Aſche des Todten, zerſtreut in die Tiefen der Schoͤpfung! Nichts, was deinen Raͤcher, den Tod, mit Furchtbarkeit ruͤſtet, Wird ſie ſchrecken! Denn du erhoͤrſt mein Flehn, du Erwuͤrgter!
Und
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Der Meſſias.
Die den Bruder nicht ganz, mit herzlicher Liebe nicht, lieben;
Wer zwar wohlthut, allein geſehn will werden, und Ehre,
Fuͤr die leichteſte Pflicht der Menſchlichkeit, Ehre verlanget!
Wer nur halb dem Feinde verzeiht, unbiegſam, der Rache
Deß, der raͤchen will, alles zu uͤberlaſſen, noch minder
Faͤhig, den, der ihm flucht, aus voller Seele, zu ſegnen!
Alle, die uͤber das Grab zu ſelten blicken, zu fluͤchtig
An die Unſterblichkeit denken, zu der du, ihr Gott, ſie gemacht haſt;
Wenn ſie die Stimme der Huld, die ſanfte des Vaters, nicht hoͤren:
Herr! ſo ruf ſie durch Leiden, aus ihren Jrren, zuruͤcke!
Aber die ganz von Gott abweichen, das Laſter zum Abgott
Machen, und ſclaviſch dem falſchen, dem ſpottenden Peiniger dienen;
Die Unſeligen wecke, von ihrem Tode, durch Elend!
Meine Kinder, ach, meine Kinder, er liebt unausſprechlich,
Der am Kreuze, fuͤr euch, ſein Leben dem Ewigen opfert!
Jſt es moͤglich, Unſterbliche, koͤnnt ihr euern Verſoͤner,
Euern Beruf, zu wandeln im Lichte, im Himmel, verkennen?
Ruͤhre die ſteinernen Herzen mit deiner allmaͤchtigen Liebe!
Schaffe ſie um, und bringe ſie rein zum Ewigen wieder!
Euer erſchuͤttertes Herz, es hoͤre die Stimme des Blutes,
Das von Golgatha ſtroͤmt, und Gnade! Gnade! fuͤr euch fleht,
Gnade! … Mit heiligem Schauer vernehme ſie eure Seele,
Mit Anbetung, und jener Entzuͤckung, des ewigen Lebens
Vorſchmack, welcher die Erben des Grabs, beym Anblick des Todes,
Ueberſchwenglicher ſtaͤrkt, als alle Weisheit der Erde!
Nicht des Sterbenden brechender Blick! noch der liegende Todte!
Nicht die Gruft voll Verweſungen! nicht die verzehrende Flamme!
Nicht die Aſche des Todten, zerſtreut in die Tiefen der Schoͤpfung!
Nichts, was deinen Raͤcher, den Tod, mit Furchtbarkeit ruͤſtet,
Wird ſie ſchrecken! Denn du erhoͤrſt mein Flehn, du Erwuͤrgter!
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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