Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Jener entartete Römer, ein weicher Kenner der Wollust,
Stolz und grausam dabey; doch klug genung, von der Römer
Alten Gerechtigkeit einige Minen zu zeigen. Er sprach izt:

Wessen beschuldigen Jsraels Aeltesten diesen Verklagten?
Und ... selbst Kaiphas seh ich! Er sprachs mit Hoheit, und schaute
Mehr auf Jesum, als auf die Versammlung. Der Hohepriester
Trat nun näher hinzu, und sprach: Wir glauben, Pilatus
Kenn' uns so, und fälle dieß Urtheil von Jsraels Vätern:
Daß sie diesen vor ihn nicht führen würden, wofern er
Nicht ein Schuldiger wär! Er ist es, Pilatus, er ist es
Mehr, als es einer noch war, seitdem du Jsrael richtest!
Diesen Gram verbergen in sich die Väter Judäa,
Können ihn dir nicht erklären, wie sehr der Jesus sich auflehnt
Wider unsers Propheten Gesetz, und den heiligen Tempel!
Wie er, in blendenden Reden, durch täuschende Wunder, ein Zaubrer,
Unser Volk uns verführt! Schon lange, Pilatus, ach lange
Hat er zu sterben verdient! Hier unterbrach ihn Pilatus:
Aber so richtet ihn denn nach eurem Gesetze! Wie beutst du
Dieß, Pilatus, uns an? Du weist ja, o Römer, wir dürfen
Keinen tödten! Er hält hier inne, den Zorn zu verbergen,
Daß sie, an ihrer entrißnen Freyheit, Pilatus erinnre!
Aber izt redt' er weiter: Du weist, mit welchem Gehorsam,
Welchem tiefen Gehorsam, und unerschütterter Treue,
Wir Tiberius, unserm Veherrscher, des Vaterlands Vater,
Der stets glücklicher sey! wie wir ihm gehorchen! Der Jesus,
Den

Der Meſſias.

Jener entartete Roͤmer, ein weicher Kenner der Wolluſt,
Stolz und grauſam dabey; doch klug genung, von der Roͤmer
Alten Gerechtigkeit einige Minen zu zeigen. Er ſprach izt:

Weſſen beſchuldigen Jſraels Aelteſten dieſen Verklagten?
Und … ſelbſt Kaiphas ſeh ich! Er ſprachs mit Hoheit, und ſchaute
Mehr auf Jeſum, als auf die Verſammlung. Der Hoheprieſter
Trat nun naͤher hinzu, und ſprach: Wir glauben, Pilatus
Kenn’ uns ſo, und faͤlle dieß Urtheil von Jſraels Vaͤtern:
Daß ſie dieſen vor ihn nicht fuͤhren wuͤrden, wofern er
Nicht ein Schuldiger waͤr! Er iſt es, Pilatus, er iſt es
Mehr, als es einer noch war, ſeitdem du Jſrael richteſt!
Dieſen Gram verbergen in ſich die Vaͤter Judaͤa,
Koͤnnen ihn dir nicht erklaͤren, wie ſehr der Jeſus ſich auflehnt
Wider unſers Propheten Geſetz, und den heiligen Tempel!
Wie er, in blendenden Reden, durch taͤuſchende Wunder, ein Zaubrer,
Unſer Volk uns verfuͤhrt! Schon lange, Pilatus, ach lange
Hat er zu ſterben verdient! Hier unterbrach ihn Pilatus:
Aber ſo richtet ihn denn nach eurem Geſetze! Wie beutſt du
Dieß, Pilatus, uns an? Du weiſt ja, o Roͤmer, wir duͤrfen
Keinen toͤdten! Er haͤlt hier inne, den Zorn zu verbergen,
Daß ſie, an ihrer entrißnen Freyheit, Pilatus erinnre!
Aber izt redt’ er weiter: Du weiſt, mit welchem Gehorſam,
Welchem tiefen Gehorſam, und unerſchuͤtterter Treue,
Wir Tiberius, unſerm Veherrſcher, des Vaterlands Vater,
Der ſtets gluͤcklicher ſey! wie wir ihm gehorchen! Der Jeſus,
Den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="3">
              <l>
                <pb facs="#f0056" n="32"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Jener entartete Ro&#x0364;mer, ein weicher Kenner der Wollu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Stolz und grau&#x017F;am dabey; doch klug genung, von der Ro&#x0364;mer</l><lb/>
              <l>Alten Gerechtigkeit einige Minen zu zeigen. Er &#x017F;prach izt:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>We&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;chuldigen J&#x017F;raels Aelte&#x017F;ten die&#x017F;en Verklagten?</l><lb/>
              <l>Und &#x2026; &#x017F;elb&#x017F;t Kaiphas &#x017F;eh ich! Er &#x017F;prachs mit Hoheit, und &#x017F;chaute</l><lb/>
              <l>Mehr auf Je&#x017F;um, als auf die Ver&#x017F;ammlung. Der Hoheprie&#x017F;ter</l><lb/>
              <l>Trat nun na&#x0364;her hinzu, und &#x017F;prach: Wir glauben, Pilatus</l><lb/>
              <l>Kenn&#x2019; uns &#x017F;o, und fa&#x0364;lle dieß Urtheil von J&#x017F;raels Va&#x0364;tern:</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie die&#x017F;en vor ihn nicht fu&#x0364;hren wu&#x0364;rden, wofern er</l><lb/>
              <l>Nicht ein Schuldiger wa&#x0364;r! Er i&#x017F;t es, Pilatus, er i&#x017F;t es</l><lb/>
              <l>Mehr, als es einer noch war, &#x017F;eitdem du J&#x017F;rael richte&#x017F;t!</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;en Gram verbergen in &#x017F;ich die Va&#x0364;ter Juda&#x0364;a,</l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;nnen ihn dir nicht erkla&#x0364;ren, wie &#x017F;ehr der Je&#x017F;us &#x017F;ich auflehnt</l><lb/>
              <l>Wider un&#x017F;ers Propheten Ge&#x017F;etz, und den heiligen Tempel!</l><lb/>
              <l>Wie er, in blendenden Reden, durch ta&#x0364;u&#x017F;chende Wunder, ein Zaubrer,</l><lb/>
              <l>Un&#x017F;er Volk uns verfu&#x0364;hrt! Schon lange, Pilatus, ach lange</l><lb/>
              <l>Hat er zu &#x017F;terben verdient! Hier unterbrach ihn Pilatus:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Aber &#x017F;o richtet ihn denn nach eurem Ge&#x017F;etze! Wie beut&#x017F;t du</l><lb/>
              <l>Dieß, Pilatus, uns an? Du wei&#x017F;t ja, o Ro&#x0364;mer, wir du&#x0364;rfen</l><lb/>
              <l>Keinen to&#x0364;dten! Er ha&#x0364;lt hier inne, den Zorn zu verbergen,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie, an ihrer entrißnen Freyheit, Pilatus erinnre!</l><lb/>
              <l>Aber izt redt&#x2019; er weiter: Du wei&#x017F;t, mit welchem Gehor&#x017F;am,</l><lb/>
              <l>Welchem tiefen Gehor&#x017F;am, und uner&#x017F;chu&#x0364;tterter Treue,</l><lb/>
              <l>Wir Tiberius, un&#x017F;erm Veherr&#x017F;cher, des Vaterlands Vater,</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;tets glu&#x0364;cklicher &#x017F;ey! wie wir ihm gehorchen! Der Je&#x017F;us,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Den</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0056] Der Meſſias. Jener entartete Roͤmer, ein weicher Kenner der Wolluſt, Stolz und grauſam dabey; doch klug genung, von der Roͤmer Alten Gerechtigkeit einige Minen zu zeigen. Er ſprach izt: Weſſen beſchuldigen Jſraels Aelteſten dieſen Verklagten? Und … ſelbſt Kaiphas ſeh ich! Er ſprachs mit Hoheit, und ſchaute Mehr auf Jeſum, als auf die Verſammlung. Der Hoheprieſter Trat nun naͤher hinzu, und ſprach: Wir glauben, Pilatus Kenn’ uns ſo, und faͤlle dieß Urtheil von Jſraels Vaͤtern: Daß ſie dieſen vor ihn nicht fuͤhren wuͤrden, wofern er Nicht ein Schuldiger waͤr! Er iſt es, Pilatus, er iſt es Mehr, als es einer noch war, ſeitdem du Jſrael richteſt! Dieſen Gram verbergen in ſich die Vaͤter Judaͤa, Koͤnnen ihn dir nicht erklaͤren, wie ſehr der Jeſus ſich auflehnt Wider unſers Propheten Geſetz, und den heiligen Tempel! Wie er, in blendenden Reden, durch taͤuſchende Wunder, ein Zaubrer, Unſer Volk uns verfuͤhrt! Schon lange, Pilatus, ach lange Hat er zu ſterben verdient! Hier unterbrach ihn Pilatus: Aber ſo richtet ihn denn nach eurem Geſetze! Wie beutſt du Dieß, Pilatus, uns an? Du weiſt ja, o Roͤmer, wir duͤrfen Keinen toͤdten! Er haͤlt hier inne, den Zorn zu verbergen, Daß ſie, an ihrer entrißnen Freyheit, Pilatus erinnre! Aber izt redt’ er weiter: Du weiſt, mit welchem Gehorſam, Welchem tiefen Gehorſam, und unerſchuͤtterter Treue, Wir Tiberius, unſerm Veherrſcher, des Vaterlands Vater, Der ſtets gluͤcklicher ſey! wie wir ihm gehorchen! Der Jeſus, Den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/56
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/56>, abgerufen am 24.11.2024.