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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Der Messias.
Lazarus sprach: Wie hat dir bisher, Maria, des Lebens
Und des Todes Geber geholfen? ... Mit Gnade! Denn alles,
Was er thut, ist Erbarmen; wie qualvoll uns es auch scheine!
Ach was hat mein Herz nicht gelitten! und siehe, nun sterb ich!
Wo ist Jesus, mein Bruder? Er weis es gewiß, wie ich leide!
Hat er für mich gebetet? ... Jch kenne dein Leiden, Maria,
Wenn es Nacht um dich wird; doch sage, was leidest du jetzo?
Nicht von jenem Bilde der fürchterlichen Verwesung
Leid ich, noch von dem trüben Gedanken, euch zu verlassen;
Ach ich leide, daß mir der Zweifel die blutende Seele
Jmmer tiefer verwundet: Ob der auf Horeb mein Gott sey?
Ach mein Bruder, wie war dir, als du den Donner: Verflucht ist;
Wer nicht alles erfüllt! im sterbenden Herzen vernahmest?
Aber betete Jesus für mich? Wenn für mich der Gerechte
Betete, siehe so geh ich gern hinab in das dunkle
Nächtliche Thal, zu dem ewigen Schlafe mich niederzulegen.
Hüter! ist sie nun bald, die Nacht der Erde, vorüber?
Jst sie nun bald, o Hüter, vorüber? Sie schweigen, Martha;
Auch Nathanael schweigt! Er hat für mich nicht gebetet!
Nun so gehe denn ganz durch meine Seele, hier bin ich,
Schwert des Herrn! Dein Wille gescheh! dein Will' ist der beste!
Hoch empor hub Lazarus seine gefalteten Hände:
Wie sich ihres Kindes ein Weib erbarmt, so erbarmst du
Unser dich, El Schaddai! und ob sich ihres Kindes
Auch das Weib nicht erbarmt, so wirst du dich dennoch erbarmen!
Du bist Gott, du hast uns in deine Hände gezeichnet!
Lazarus
Der Meſſias.
Lazarus ſprach: Wie hat dir bisher, Maria, des Lebens
Und des Todes Geber geholfen? … Mit Gnade! Denn alles,
Was er thut, iſt Erbarmen; wie qualvoll uns es auch ſcheine!
Ach was hat mein Herz nicht gelitten! und ſiehe, nun ſterb ich!
Wo iſt Jeſus, mein Bruder? Er weis es gewiß, wie ich leide!
Hat er fuͤr mich gebetet? … Jch kenne dein Leiden, Maria,
Wenn es Nacht um dich wird; doch ſage, was leideſt du jetzo?
Nicht von jenem Bilde der fuͤrchterlichen Verweſung
Leid ich, noch von dem truͤben Gedanken, euch zu verlaſſen;
Ach ich leide, daß mir der Zweifel die blutende Seele
Jmmer tiefer verwundet: Ob der auf Horeb mein Gott ſey?
Ach mein Bruder, wie war dir, als du den Donner: Verflucht iſt;
Wer nicht alles erfuͤllt! im ſterbenden Herzen vernahmeſt?
Aber betete Jeſus fuͤr mich? Wenn fuͤr mich der Gerechte
Betete, ſiehe ſo geh ich gern hinab in das dunkle
Naͤchtliche Thal, zu dem ewigen Schlafe mich niederzulegen.
Huͤter! iſt ſie nun bald, die Nacht der Erde, voruͤber?
Jſt ſie nun bald, o Huͤter, voruͤber? Sie ſchweigen, Martha;
Auch Nathanael ſchweigt! Er hat fuͤr mich nicht gebetet!
Nun ſo gehe denn ganz durch meine Seele, hier bin ich,
Schwert des Herrn! Dein Wille geſcheh! dein Will’ iſt der beſte!
Hoch empor hub Lazarus ſeine gefalteten Haͤnde:
Wie ſich ihres Kindes ein Weib erbarmt, ſo erbarmſt du
Unſer dich, El Schaddai! und ob ſich ihres Kindes
Auch das Weib nicht erbarmt, ſo wirſt du dich dennoch erbarmen!
Du biſt Gott, du haſt uns in deine Haͤnde gezeichnet!
Lazarus
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[86/0102] Der Meſſias. Lazarus ſprach: Wie hat dir bisher, Maria, des Lebens Und des Todes Geber geholfen? … Mit Gnade! Denn alles, Was er thut, iſt Erbarmen; wie qualvoll uns es auch ſcheine! Ach was hat mein Herz nicht gelitten! und ſiehe, nun ſterb ich! Wo iſt Jeſus, mein Bruder? Er weis es gewiß, wie ich leide! Hat er fuͤr mich gebetet? … Jch kenne dein Leiden, Maria, Wenn es Nacht um dich wird; doch ſage, was leideſt du jetzo? Nicht von jenem Bilde der fuͤrchterlichen Verweſung Leid ich, noch von dem truͤben Gedanken, euch zu verlaſſen; Ach ich leide, daß mir der Zweifel die blutende Seele Jmmer tiefer verwundet: Ob der auf Horeb mein Gott ſey? Ach mein Bruder, wie war dir, als du den Donner: Verflucht iſt; Wer nicht alles erfuͤllt! im ſterbenden Herzen vernahmeſt? Aber betete Jeſus fuͤr mich? Wenn fuͤr mich der Gerechte Betete, ſiehe ſo geh ich gern hinab in das dunkle Naͤchtliche Thal, zu dem ewigen Schlafe mich niederzulegen. Huͤter! iſt ſie nun bald, die Nacht der Erde, voruͤber? Jſt ſie nun bald, o Huͤter, voruͤber? Sie ſchweigen, Martha; Auch Nathanael ſchweigt! Er hat fuͤr mich nicht gebetet! Nun ſo gehe denn ganz durch meine Seele, hier bin ich, Schwert des Herrn! Dein Wille geſcheh! dein Will’ iſt der beſte! Hoch empor hub Lazarus ſeine gefalteten Haͤnde: Wie ſich ihres Kindes ein Weib erbarmt, ſo erbarmſt du Unſer dich, El Schaddai! und ob ſich ihres Kindes Auch das Weib nicht erbarmt, ſo wirſt du dich dennoch erbarmen! Du biſt Gott, du haſt uns in deine Haͤnde gezeichnet! Lazarus

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/102>, abgerufen am 24.11.2024.