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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Vierzehnter Gesang.
Der in der nächtlichen Tiefe der Todesthale daherrauscht!
Und ach warum glaub ich ihr nicht? Kann der nicht erwachen,
Der auf dem Meere ging? und mich hielt auf der wütenden Woge?
Ja, du Todter Gottes, vergieb, vergieb es dem Trauren,
Meiner Seele Jammer, wofern du lebst! Ach, du hieltst mich,
Als ich vor der kommenden Woge zweifelnd dahinsank;
Rett' auch jetzt mich! Jch bin, das weißt du, viel bänger, als damals,
Und du hilfst mir nicht, Herr, und reichst mir nicht deine Rechte,
Deine göttliche Rechte! Bey deiner erbarmenden Liebe,
Bey dem Blicke voll Gnade, voll Gnade, womit du mich ansahst,
Als nun meiner Verleugnung zu schwere Last auf mich stürzte!
Ach bey der Barmherzigkeit, fleh ich dich an: O erbarm dich
Meiner Angst! und erschein auch mir, wofern du erscheinest.
Nein, ich bitte zu viel. Geht, sagts den Jüngern, und Petrus!
Sprach der Engel. War dieses nicht schon unaussprechliche Gnade?
Herr, ach solltest du mir, der dich verleugnet', erscheinen?
Mir? und bist nicht Lebbäus, und nicht Jakobus erschienen,
Nicht Johannes, nicht ihr der liebevollsten der Mütter!
Aber auch Magdale hat gesündigt! Wenn hat sie gesündigt?
Eh sie ihn kannte! Und hab ich geliebt, wie Magdale liebte?

Also dacht er, und stieg mit schwerem Schritte den Hügel
Langsam hinauf, und sank auf seine Knie zu beten,
Schaute nieder, und flehte zu Gott. ... Da er aufsah, erblickt' er
Christus unter dem Kreuz! ... Wer faßt das Erstaunen, die Wonne
Seiner Seele, da er vor sich den Lebenden stehn sah!
Und ihm reichte, mit göttlicher Huld, der Sündeversöhner
Seine

Vierzehnter Geſang.
Der in der naͤchtlichen Tiefe der Todesthale daherrauſcht!
Und ach warum glaub ich ihr nicht? Kann der nicht erwachen,
Der auf dem Meere ging? und mich hielt auf der wuͤtenden Woge?
Ja, du Todter Gottes, vergieb, vergieb es dem Trauren,
Meiner Seele Jammer, wofern du lebſt! Ach, du hieltſt mich,
Als ich vor der kommenden Woge zweifelnd dahinſank;
Rett’ auch jetzt mich! Jch bin, das weißt du, viel baͤnger, als damals,
Und du hilfſt mir nicht, Herr, und reichſt mir nicht deine Rechte,
Deine goͤttliche Rechte! Bey deiner erbarmenden Liebe,
Bey dem Blicke voll Gnade, voll Gnade, womit du mich anſahſt,
Als nun meiner Verleugnung zu ſchwere Laſt auf mich ſtuͤrzte!
Ach bey der Barmherzigkeit, fleh ich dich an: O erbarm dich
Meiner Angſt! und erſchein auch mir, wofern du erſcheineſt.
Nein, ich bitte zu viel. Geht, ſagts den Juͤngern, und Petrus!
Sprach der Engel. War dieſes nicht ſchon unausſprechliche Gnade?
Herr, ach ſollteſt du mir, der dich verleugnet’, erſcheinen?
Mir? und biſt nicht Lebbaͤus, und nicht Jakobus erſchienen,
Nicht Johannes, nicht ihr der liebevollſten der Muͤtter!
Aber auch Magdale hat geſuͤndigt! Wenn hat ſie geſuͤndigt?
Eh ſie ihn kannte! Und hab ich geliebt, wie Magdale liebte?

Alſo dacht er, und ſtieg mit ſchwerem Schritte den Huͤgel
Langſam hinauf, und ſank auf ſeine Knie zu beten,
Schaute nieder, und flehte zu Gott. … Da er aufſah, erblickt’ er
Chriſtus unter dem Kreuz! … Wer faßt das Erſtaunen, die Wonne
Seiner Seele, da er vor ſich den Lebenden ſtehn ſah!
Und ihm reichte, mit goͤttlicher Huld, der Suͤndeverſoͤhner
Seine
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[155/0171] Vierzehnter Geſang. Der in der naͤchtlichen Tiefe der Todesthale daherrauſcht! Und ach warum glaub ich ihr nicht? Kann der nicht erwachen, Der auf dem Meere ging? und mich hielt auf der wuͤtenden Woge? Ja, du Todter Gottes, vergieb, vergieb es dem Trauren, Meiner Seele Jammer, wofern du lebſt! Ach, du hieltſt mich, Als ich vor der kommenden Woge zweifelnd dahinſank; Rett’ auch jetzt mich! Jch bin, das weißt du, viel baͤnger, als damals, Und du hilfſt mir nicht, Herr, und reichſt mir nicht deine Rechte, Deine goͤttliche Rechte! Bey deiner erbarmenden Liebe, Bey dem Blicke voll Gnade, voll Gnade, womit du mich anſahſt, Als nun meiner Verleugnung zu ſchwere Laſt auf mich ſtuͤrzte! Ach bey der Barmherzigkeit, fleh ich dich an: O erbarm dich Meiner Angſt! und erſchein auch mir, wofern du erſcheineſt. Nein, ich bitte zu viel. Geht, ſagts den Juͤngern, und Petrus! Sprach der Engel. War dieſes nicht ſchon unausſprechliche Gnade? Herr, ach ſollteſt du mir, der dich verleugnet’, erſcheinen? Mir? und biſt nicht Lebbaͤus, und nicht Jakobus erſchienen, Nicht Johannes, nicht ihr der liebevollſten der Muͤtter! Aber auch Magdale hat geſuͤndigt! Wenn hat ſie geſuͤndigt? Eh ſie ihn kannte! Und hab ich geliebt, wie Magdale liebte? Alſo dacht er, und ſtieg mit ſchwerem Schritte den Huͤgel Langſam hinauf, und ſank auf ſeine Knie zu beten, Schaute nieder, und flehte zu Gott. … Da er aufſah, erblickt’ er Chriſtus unter dem Kreuz! … Wer faßt das Erſtaunen, die Wonne Seiner Seele, da er vor ſich den Lebenden ſtehn ſah! Und ihm reichte, mit goͤttlicher Huld, der Suͤndeverſoͤhner Seine

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/171>, abgerufen am 21.11.2024.